Im vorliegenden Fall hatte sich ein 19-Jähriger so weit aus dem Fenster eines fahrenden Pkw gelehnt, dass er herausstürzte und sich folgenschwere Verletzungen zuzog. Er erlitt aufgrund des Unfalls multiple Prellungen und Schürfungen, eine Gehirnerschütterung, eine schwere traumatische Schädigung der Netzhaut im rechten Auge sowie eine Einblutung im linken Innenohr mit leichter Hörminderung. Der Geschädigte verklagte daraufhin den Fahrer des Wagens auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Das Oberlandesgerichts Karlsruhe entschied, dass der Kläger Anspruch auf Schmerzensgeld nach §§ 823, 847 BGB, 1 Abs. 2, 23 Abs. 1 StVO, 254 BGB habe. Der Beklagte trage eine Mitschuld zu 50 Prozent am Unfall, da er seiner ihm nach § 1 Abs. 2 StVO obliegenden Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Danach müsse sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt wird. Der Kläger im vorliegenden Fall habe sich als Beifahrer im Schutzbereich des Beklagten befunden. Wenn der Fahrer durch das Verhalten der Mitfahrer behindert werde, müsse er die Fahrt verweigern oder abbrechen, so das Gericht. Gleiches gelte, wenn er bemerke, dass ein Mitfahrer durch unvorschriftsmäßiges Verhalten sich selbst oder andere gefährdet.
Zu seiner Entlastung gab der Beklagte in der Verhandlung an, er habe lediglich gehört, dass der Beifahrer das Fenster heruntergekurbelt habe, sich dabei aber nichts gedacht. Den Sturz habe er erst durch den Hinweis eines weiteren Mitfahrers mitbekommen. Das Gutachten eines Gerichtsmediziners widerlegte jedoch die Aussage, nach der der Beklagte nichts vom Herauslehnen des Geschädigten bei voller Fahrt bemerkt haben will. Vor allem die geringe Größe des Fahrzeugs und die anzunehmende Einstellung des Fahrersitzes hätte dazu führen müssen, dass der Beklagte von den Vorgängen direkt hinter seinem Sitz, beispielsweise durch Stöße gegen die Lehne, etwas mitbekam. Durch einfaches Schauen in den Rückspiegel hätte er erkennen können, dass sich sein Mitfahrer bis zur Körperhälfte aus dem Fenster gelehnt hatte. Es sei zwar zu berücksichtigen, dass ein derartiger Unfall recht ungewöhnlich und demnach nicht unbedingt zu erwarten sei, jedoch hätte der Fahrer erkennen müssen, dass das Verhalten des Insassen absolut verkehrsgefährdend war. In dieser Situation hätte der Beklagte nicht einfach weiterfahren dürfen. Diese Begründung reichte dem Gericht zur Erhebung des Fahrlässigkeitsvorwurfs.
Der Kläger müsse sich jedoch ein Mitverschulden von 50 % gemäß § 254 BGB anrechnen lassen, da er sich in leichtfertiger Weise selbst gefährdet habe. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt zwar alkoholisiert, jedoch nicht in der Weise, dass er nicht mehr wusste, was er tat. Die Blutalkoholkonzentration habe bei etwa 1,3 Promille gelegen. Das Vorliegen eines abnormen oder pathologischen Rauches, was die freie Willensbestimmung des Klägers ausgeschlossen hätte und unter Umständen eine gesteigerte Fürsorgepflicht des Beklagten zur Folge gehabt hätte, wurde demnach nicht festgestellt.
Die Höhe des Schmerzensgeldes bemesse sich nach allen relevanten Umständen des Unfallhergangs sowie der Schwere der gesundheitlichen Folgen des Geschädigten, so das Oberlandesgericht. So befand er sich ca. 3 Wochen in stationärer Behandlung. Das rechte Auge des Geschädigten wurde dauerhaft geschädigt, wodurch die Sehleistung auf diesem nur noch 20 % betrug. Ein Ausgleich durch eine Sehhilfe war nicht möglich. Weiterhin litt der Geschädigte auf dem linken Ohr an eine um ca. 10 % reduzierte Hörleistung, verbunden mit einem wahrnehmbaren leichten Rauschen im Ohr. Der erst 19 Jahre alte Geschädigte müsse mit den Schädigungen der Hör- und Sehorgane den Rest seines Lebens leben. Das Oberlandesgericht erachtete daher unter Berücksichtigung des hälftigem Mitverschuldens ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 DM für angemessen.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahre 1998 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.01.2012
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Karlsruhe (vt/st)