23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss08.06.2015

Notwehrreaktion auch nach Irrtum über Festnahme gerechtfertigtSicherheits­mit­arbeiter darf sich gegen Faustschlag eines vermeintlichen Ladendiebs verteidigen

Wer sich schuldlos irrtümlich zur vorläufigen Festnahme für berechtigt erachtet, darf sich gegen einen rechtswidrigen Faustschlag des Festgehaltenen mit einem eigenen Faustschlag zur Wehr setzen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit ein erstin­sta­nz­liches Urteil des Landgerichts Paderborn.

Der 31 Jahre alte Beklagte des zugrunde liegenden Verfahrens, Mitarbeiter eines Sicher­heits­un­ter­nehmens, hatte im Juni 2013 die Filiale eines Baumarkts in Paderborn zu überwachen. In der Annahme eines Diebstahls von Bauma­rkt­ma­te­rialien hielt der Beklagte den 54 Jahre alten Kläger aus Paderborn und einen Begleiter gegen 23.00 Uhr in der Nähe des Baumarkts an, weil diese einen Kanister mit sich führten. In ihrem - was sich nachträglich herausstellte - nicht versicherten und vom Kläger ohne gültige Fahrerlaubnis geführten Fahrzeug befanden sich mehrere Kunst­stoff­ka­nister, von denen einer mit Diesel gefüllt war. Weil ihm dies verdächtig erschien, informierte der Beklagte die Polizei, woraufhin der Kläger versuchte, in das Fahrzeug einzusteigen. Dies verhinderte der Beklagte, indem er die Fahrertür zudrückte. Hierauf schlug der Kläger den Beklagten ins Gesicht, worauf der Beklagte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Klägers reagierte. Durch diesen Schlag erlitt der Kläger eine Gesichts­schä­del­fraktur. Vom Beklagten hat der Kläger deswegen Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 4.000 Euro. Der Beklagte hat eine Zahlung abgelehnt, weil er in Notwehr gehandelt habe.

Aufgrund nachträglich gewonnener Erkenntnisse ist der Kläger wegen unerlaubten Führen eines nicht versicherten Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden.

OLG verneint Schaden­s­er­satz­an­spruch des Klägers

Nach der Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm blieb die Schaden­s­er­satzklage des Klägers erfolglos. Durch den Faustschlag des Sicher­heits­mi­t­a­r­beiters habe der Kläger zwar eine Gesund­heits­ver­letzung erlitten. Dies begründe aber keinen Schaden­s­er­satz­an­spruch des Klägers, weil der Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter in Notwehr gehandelt habe.

Recht zur vorläufigen Festnahme bestand nicht

Dem Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter habe zwar kein Recht zur vorläufigen Festnahme gemäß § 127 Straf­pro­zess­ordnung wegen eines Diebstahls zum Nachteil des Baumarkts zugestanden, weil er noch vor der Ausein­an­der­setzung mit dem Kläger erkannt habe, dass dieser keine Materialien des Baumarkts entwendet hatte. Auch die verkehrs­recht­lichen Straftaten des Klägers könnten die Festnahme durch den Beklagten nicht rechtfertigen, weil sie dem Beklagten seinerzeit nicht bekannt gewesen seien.

Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter durfte sich gegen rechtswidrigen Schlag des Klägers verteidigen

Ob dem Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter demgegenüber bereits ein Festnahmerecht zugestanden habe, weil er nach den äußeren Umständen habe annehmen dürfen, den Kläger beim Diebstahl von Diesel­kraftstoff auf frischer Tat betroffen zu haben, müsse nicht entschieden werden. Jedenfalls habe der Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter aufgrund der tatsächlichen Umstände schuldlos annehmen dürfen, den Kläger auf frischer Tat bei einem Vermögensdelikt angetroffen zu haben. Dies habe der Kläger auch in dem Moment erfahren, in dem ihm der Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter mitgeteilt habe, dass die Polizei informiert sei und gleich eintreffen werde. In dieser Situation habe die Aufklärung eines verdächtig anmutenden Sachverhalts unmittelbar bevorgestanden. Deswegen habe sich der Kläger gegen sein unberechtigtes Festhalten durch den Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter nicht mit einem Schlag ins Gesicht des Sicher­heits­mi­t­a­r­beiters verteidigen dürfen. Das sei keine erforderliche Vertei­di­gungs­handlung gewesen. Der Kläger habe das Eintreffen der Polizei abwarten können, um Missver­ständnisse aufzuklären. Dass er sich anders verhalten habe, lasse darauf schließen, dass er das Eintreffen der Polizeibeamten nur deshalb nicht habe abwarten wollen, weil er - zu Recht - befürchtet habe, dass bei der polizeilichen Überprüfung die später zur Verurteilung führenden Straftaten aufgedeckt werden würden. Gegen den damit rechtswidrigen Schlag des Klägers habe sich der Sicher­heits­mi­t­a­r­beiter mit einem Faustschlag ins Gesicht des Klägers verteidigen dürfen und deswegen in Notwehr gehandelt.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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