Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwischen einer Mutter und ihrem Sohn bestand seit längerem ein Erziehungskonflikt. Nachdem sich dieser zuspitzte und ein gewaltsamer Übergriff des Sohns drohte, rief die Mutter die Polizei. Diese sollte ihr dabei behilflich sein den Sohn des Hauses zu verweisen.
Zum Einsatz erschienen eine Polizeibeamtin und ein Polizeibeamter. Diese wurden von dem Sohn beschimpft und mit den Worten "verpisst euch" begrüßt. Nachdem der Polizeibeamte den Sohn mit deutlichen Worten aufforderte das Haus zu verlassen und dieser sich weigerte, kam es zu einer Rangelei zwischen den beiden, in dessen Folge der Polizeibeamte den Sohn an der Wand fixierte. Die Polizeibeamtin konnte die Situation jedoch beruhigen und den Sohn die Folgen eines Platzverweises aufklären. Dieser entfernte sich daraufhin auch vom Wohnhaus.
Der Sohn hatte jedoch sein Mobiltelefon im Haus der Mutter vergessen und kehrte daher zurück. Er klopfte bzw. klingelte an der Haustür, woraufhin der Polizeibeamte die Tür öffnete. Dieser forderte den Sohn den gegen ihn ergangenen Platzverweis folge zu leisten und wählte dazu folgende Worte: "… um es mit Deinen Worten zu sagen, verpiss Dich!". Der Sohn fühlte sich dadurch offenbar provoziert und prustete den Polizeibeamten Zigarettenrauch mit Spuckpartikeln versetzter Atemluft ins Gesicht. Daraufhin schlug der Polizeibeamte dem Sohn mit der flachen linken Hand ins Gesicht, wodurch der Orbitalbogen der rechten Augenhöhle brach. Aufgrund dessen wurde der Polizeibeamte vom Amtsgericht Bonn wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe von 30 Tagesätzen zu je 65 € (insgesamt 1.950 €) verurteilt. Gegen diese Entscheidung legte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Polizeibeamte Berufung ein.
Das Landgericht Bonn als Berufungsgericht stellte zunächst fest, dass der Polizeibeamte durch den Schlag ins Gesicht eine Körperverletzung im Amt verwirklichte. Er habe jedoch nicht rechtswidrig gehandelt.
Der Polizeibeamte habe nach Ansicht des Landgericht nicht rechtswidrig gehandelt, da der Schlag vom Notwehrrecht (§ 32 StGB) gedeckt gewesen sei. Eine Notwehr sei die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren. Dies sei hier der Fall gewesen.
Wer jemanden provozierend mit zuvor bereits inhalierten und damit mit Atemluft und Speichel vermengten Zigarettenrauch in das Gesicht raucht, begehe nach Auffassung des Landgerichts einen rechtswidrigen Angriff gegen die Ehre und gegen die körperliche Unversehrtheit. Denn aufgrund der im Zigarettenrauch enthaltenen krebserregenden Stoffe sowie der in der Spucke enthalten potentiellen Viren und Bakterien sei das Anblasen mit Zigarettenrauch geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen.
Der Schlag ins Gesicht sei in der konkreten Situation rechtlich geboten gewesen, so das Landgericht weiter. Geboten sei eine Handlung dann, wenn sie das relativ mildeste Mittel darstellt. Dies bedeute, dass keine anderen Möglichkeiten zur Abwehr des Angriffs, welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff beenden können, zur Verfügung stehen dürfen. Dies zugrunde gelegt, entschied das Gericht, dass dem Polizeibeamten kein gleich wirksames Mittel zur Verfügung stand.
Nach Einschätzung des Landgerichts haben dem Polizeibeamten keine anderen gleichwertigen Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Ein demütiges Zurückweichen sei dem Angegriffenen nicht zuzumuten gewesen. Der Versuch des Mundzuhaltens sei angesichts des nicht vollständigen Verschlusses des Munds sowie der Gefahr einer Beißattacke ebenfalls nicht in Betracht gekommen. Ein Wegstoßen des Angreifers sei wegen der Gefahr eines Sturzes und möglicher schwerer Kopfverletzungen ebenso ausgeschlossen gewesen.
Der Polizeibeamte habe zudem nicht den Angriff des Sohns provoziert, so das Landgericht. Das Notwehrrecht sei daher nicht wegen einer Notwehrprovokation ausgeschlossen gewesen. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Sohn den Polizeieinsatz verursacht hatte. Darüber hinaus habe sich der Polizeibeamte mit seiner derben Ansprache an den Sohn wenden dürfen. Vielen Polizeibeamten sei es schlichtweg nicht möglich in einer konkreten Situation salonfähige und druckreife Formulierungen zu verwenden. Vielmehr dürfe er sich der Sprache des Gegenübers anpassen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.12.2013
Quelle: Landgericht Bonn, ra-online (vt/rb)