18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 23287

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Oberlandesgericht Hamm Urteil26.08.2016

Später Nachzügler im Kreuzungs­bereich ist nicht mehr vorfahrts­be­rechtigtNachzügler muss Kreuzungs­bereich vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang verlassen

Wer bei Grünlicht in eine Kreuzung einfährt und dann aufgrund eines Rückstaus den Kreuzungs­bereich für längere Zeit nicht räumen kann, darf nicht blindlings auf seinen Status als bevorrechtigter "echter Nachzügler" vertrauen, sondern muss sich vergewissern, dass eine Kollision mit dem Querverkehr, der (erst) nach mehreren Sekunden Grünlicht für seine Fahrtrichtung in die Kreuzung einfährt, ausgeschlossen ist. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Essen ab.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte aus Essen befuhr mit einem Pkw Kia Ceed von Westen kommend die Grillostraße in Essen. In den Kreuzungs­bereich Grillostraße / Gladbecker Straße (B 224) fuhr sie bei Grünlicht ein und kam dann aufgrund eines Rückstaus des Links­ab­bie­ger­verkehrs hinter der Fluchtlinie zum Stehen. Nachdem sie mindestens 40 Sekunden gestanden hatte - die von ihr zuvor passierte Ampel zeigte bereits mehr als 20 Sekunden Rotlicht -, entschloss sie sich dazu, die Kreuzung zu räumen. Im Kreuzungs­bereich stieß sie mit dem vom Ehemann der Klägerin aus Marl gefahrenen PKW Opel Astra zusammen, der die Gladbecker Straße von Norden kommend in Richtung Innenstadt befuhr. Er folgte einem Fahrzeug, welches die Beklagte passieren ließ, und hatte bei seiner Einfahrt in den Kreuzungs­bereich mindestens 19 Sekunden Grünlicht.

Klägerin verlangt durch Unfall verursachten Schaden ersetzt

Den ihr durch den Unfall entstandenen Sachschaden in Höhe von ca. 13.900 Euro hat die Klägerin von der Beklagten, von dem Halter des Beklag­ten­fahrzeugs und von dessen Haftpflicht­ver­si­cherung ersetzt verlangt. Die Versicherung glich vorprozessual zwei Drittel des Schadens der Klägerin aus. Das restliche Drittel in Höhe von ca. 4.600 Euro und weitere entstandene Nebenkosten hat die Klägerin eingeklagt.

OLG bejaht Schaden­s­er­satz­an­spruch des Klägers

Die Klage war in zweiter Instanz erfolgreich. Nach der Aufklärung des Unfallhergangs und der Schadenshöhe sprach das Oberlan­des­ge­richts Hamm der Klägerin ca. 4.600 Euro für den noch nicht regulierten Fahrzeugschaden sowie ca. 450 Euro für durch den Unfall verursachte weitere Aufwendungen und für einen Nutzungsausfall zu.

Räumen der Kreuzung nach mehr als 20 Sekunden Rotlicht Verstoß gegen das Rücksicht­nah­megebot dar

Die Beklagte habe in erheblicher Weise gegen das im Straßenverkehr geltende Rücksicht­nah­megebot (§ 1 Abs. 2 Straßen­ver­kehrs­ordnung) verstoßen. Sie sei zwar bei Grünlicht in den Kreuzungs­bereich eingefahren. Dort sei sie zunächst aufgehalten worden, so dass sie diesen dann grundsätzlich als gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigter "Nachzügler" habe räumen dürfen. Dabei habe sie aber nicht blindlings darauf vertrauen dürfen, vom Querverkehr vorgelassen zu werden. Ein "Nachzügler" habe den Kreuzungs­bereich vielmehr vorsichtig, unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen. Die Anforderungen an seine Aufmerksamkeit erhöhten sich mit seiner Verweildauer im Kreuzungs­bereich. Je länger sich ein "Nachzügler" im Kreuzungs­bereich aufhalte, desto eher habe er mit einem Phasenwechsel und anfahrendem Querverkehr zu rechnen. Er müsse dann davon ausgehen, dass der übrige Verkehr aus seinem Verhalten schließen könnte, dass er nicht weiterfahren werde. Deswegen dürfe er nach einer längeren Verweildauer nur dann weiterfahren, wenn er sich vergewissert habe, dass eine Kollision mit dem Gegen- oder Querverkehr ausgeschlossen sei. Diesen Sorgfalts­an­for­de­rungen habe die Beklagte nicht genügt. Sie sei vielmehr unerwartet und zügig losgefahren, ohne auf das herannahende Klägerfahrzeug zu achten. Mit dieser Fahrweise haben sie den Unfall im erheblichen Umfang verschuldet.

Kein Mitverschulden des Klägers

Den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs treffe demgegenüber kein Verschulden. Der Beklagten habe er als "Nachzügler" nicht mehr die Möglichkeit geben müssen, die Kreuzung zu räumen. Nachdem die für ihn geltende Ampel bereits über 19 Sekunden Grünlicht gezeigt habe, als er in die Kreuzung einfuhr, und vor ihm bereits weitere Fahrzeuge in seiner Richtung sowie aus seiner Gegenrichtung kommend den Kreuzungs­bereich passiert hatten, habe er auf seine freie Durchfahrt vertrauen und nicht mehr mit Nachzüglern aus dem Querverkehr rechnen müssen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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