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Oberlandesgericht Hamm Beschluss12.10.2008
"Elefantenrennen" von LKW auf Autobahn - Höchstens 45 Sekunden für ÜberholvorgangOberlandesgericht Hamm stellt neue Faustregel für Lkw-Fahrer auf
Überholvorgänge auf zweispurigen Autobahnen, die bei einer Dauer von mehr als 45 Sekunden bzw. einer Differenzgeschwindigkeit von unter 10 km/h zu einer deutlichen Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer führen, unterliegen der bußgeldrechtlichen Ahndung, so das Oberlandesgericht Hamm (OLG).
Zuvor hatte das Amtsgericht gegen einen Lkw-Fahrer wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 5 Absatz 2 Satz 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) eine Geldbuße von 80 € festgesetzt. Die dagegen erhobene Beschwerde des Fahrers verwarf das OLG als unbegründet. Es ging um einen Fall des Autobahnalltags.
Sachverhalt
Der betroffene Lkw-Fahrer war beim langsamen Überholen eines anderen Lkw auf einer zweispurigen Autobahn von der Autobahnpolizei erwischt worden. Im Laufe des Überholvorganges fiel den Polizisten auf, dass der Fahrer mit seinem Fahrzeug an dem anderen Lkw nicht wirklich vorbeikam. Beide Fahrzeuge fuhren mit nahezu gleicher Geschwindigkeit nebeneinander, ohne dass es der Betroffene schaffte, an dem Fahrzeug des Anderen vorbeizukommen. Dieses Nebeneinanderherfahren dauerte über 2 Kilometer lang an. Hinter den beiden Lkws bildete sich eine Pkw-Schlange. Der andere Lkw hielt während des Überholvorgangs seine Geschwindigkeit gleichmäßig bei, ohne zu beschleunigen.
StVO soll Behinderung übriger Verkehrsteilnehmer durch langen Überholvorgang verhindern
Die bislang zu der Verkehrssituation des sogenannten "Elefantenrennens" zweier Lkw-Fahrer ergangene Rechtsprechung hatte stets andere Fragen als die durch den vorliegenden Fall aufgeworfenen im Blick. Auch der Gesetzeswortlaut des § 5 Abs. 2 StVO ist eher vage und lässt Interpretationsspielraum. Deshalb stellten die Richter des OLG Hamm in ihrer Entscheidungsfindung neue Grundsätze auf. Diese entnahmen sie dem Sinn und Zweck der streitentscheidenden Norm, nämlich § 5 StVO. Diese Norm bezwecke, eine Behinderung des übrigen Verkehrs durch lang andauernde Überholvorgänge zu vermeiden. Dies gelte vor allem für Überholvorgänge von Lkws auf zweispurigen Autobahnen. Dabei dürfe bei der Bestimmung der wesentlich höheren Geschwindigkeit nicht einseitig das Interesse der am schnellen Fortkommen interessierten Pkw-Fahrer im Vordergrund stehen mit der Folge, dass das Erfordernis nach einer zu großen Geschwindigkeitsdifferenz einem faktischen Überholverbot für Lkws auf zweispurigen Autobahnen gleich komme. Sollte dies politisch beabsichtigt sein, so müsse der Gesetzgeber eine eindeutige und klare Regelung treffen.
Praktikable Lösung: 45-Sekunden-Faustregel
Deshalb gelte es, so das OLG, im Rahmen des § 5 StVO eine sowohl für Lkw- als auch für Pkw-Fahrer zumutbare und für Verkehrsüberwachungsmaßnahmen praktikable Lösung zu finden. Wesentliche Voraussetzung laut Gesetzeswortlaut sei, dass der Verkehrsfluss durch einen Lkw-Überholvorgang nicht unangemessen behindert werde. Dazu komme es von vornherein etwa dann nicht, wenn sich ein solcher Vorgang zu verkehrsarmer Zeit auf einer dreispurigen Autobahn abspiele. Ahndungswürdig sei ein Überholen unter Lkws aber dann, wenn ein solcher Vorgang wegen zu geringer Differenzgeschwindigkeit eine unangemessene Zeitspanne in Anspruch nehme und der schnellere Pkw-Verkehr nicht nur kurzfristig behindert werde. Als Faustregel gehe das OLG von einer Dauer von maximal 45 Sekunden aus.
Faustregel gilt nur dort, wo sie zur Verkehrssituation passt
Die Richter führten einschränkend aus, dass sie sich dessen bewusst seien, dass mit dieser Faustregel den unterschiedlichen Interessen der Verkehrsteilnehmer und der Vielzahl denkbarer Verkehrssituationen nicht immer hinreichend Rechnung tragen können. Auch sei die maßgebliche StVO-Norm nicht geeignet, jegliche Behinderung des schnelleren Verkehrs durch Lkws auszuschließen. Überholvorgänge auf zweispurigen Autobahnen, die bei einer Dauer von mehr als 45 Sekunden bzw. einer Differenzgeschwindigkeit von unter 10 km/h zu einer deutlichen Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer führten, unterliegen jedoch nach dieser Vorschrift einer bußgeldrechtlichen Ahndung.
§ 5 Abs. 2 StVO
Überholen darf nur, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Überholen darf ferner nur, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.02.2009
Quelle: ra-online (we)
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