Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1956 geborene klagende Patientin aus Dortmund litt unter Wirbelsäulenbeschwerden und musste sich zum Jahreswechsel 2011/2012 im beklagten Krankenhaus in Dortmund notfallmäßig behandeln lassen. Für wenige Tage erhielt sie zunächst einen Venenverweilkatether auf dem linken Handrücken und einen Schmerztropf. Nach dem Entfernen des Katheters zeigte sich eine Entzündung der Vene (Thrombophlebitis) an der Einstichstelle, es bildete sich eine kleine Abszedierung. Diese wurde auf Anordnung des behandelnden Arztes von einem Krankenhauspfleger eröffnet. Dabei trug der Pfleger Handschuhe, mit denen er zuvor die Türklinke des Krankenzimmers berührt hatte. In der Folge heilte die Thrombophlebitis - mit Salbenverbänden und antibiotisch therapiert - aus. Bei einer weiteren stationären Behandlung der Klägerin Ende Januar 2012 in einer Bochumer Klinik zeigte sich eine Infektion der Bandscheiben im Bereich der Lendenwirbel (Spondylodiszitis). Im Blut der Klägerin fanden sich Erreger des Bakteriums Staphylokokkus aureus.
Wegen Hygienemängel und wegen behaupteter weiterer Behandlungsfehler hat die Klägerin die beklagte Klinik und den Chefarzt ihrer orthopädischen Abteilung auf Schadensersatz verklagt, u.a. auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000 Euro.
Die Klage blieb jedoch erfolglos. Nach der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens konnte das Oberlandesgericht Hamm keine Behandlungsfehler feststellten, die eine Haftung der Beklagten begründen. Ein Behandlungsfehler sei - so das Oberlandesgericht - nur insoweit bewiesen, als der Pfleger beim Eröffnen der Abszedierung an der Hand der Klägerin Handschuhe getragen habe, mit denen er zuvor die Türklinke des Krankenzimmers berührt und diese dadurch kontaminiert hatte. Dass die Handschuhe infolge des Anfassens der Türklinke bereits als kontaminiert anzusehen gewesen seien, habe der medizinische Sachverständige bestätigt.
Dieser Hygienemangel führe aber nicht zur Haftung der Beklagten. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass (erst) beim Eröffnen der Abszedierung Erreger in ihren Körper gelangt seien, die dann zu einer Entzündungsreaktion und in deren Folge zu der Spondylodiszitis geführt hätten. Der medizinische Sachverständige habe es als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass Abszess und Phlebitis als die primären Befunde unter fachgerecht durchgeführter Behandlung ausgeheilt wären, zugleich aber an anderer Stelle an eine schwer wiegende Entzündung verursacht hätten.
Eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen über den groben Behandlungsfehler komme der Klägern nicht zugute, da der festgestellte Verstoß gegen den medizinischen Standard nicht als grob zu bewerten sei. Nicht jeder Verstoß gegen den medizinischen Hygienestandard stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Das Oberlandesgericht folge dem medizinischen Sachverständigen, dass ein Hygieneverstoß umso schwerer wiege und umso unverständlicher sei, je höher das Infektionsrisiko und je gravierender die Folgen einer möglichen Infektion sein könnten. Der Sachverständige habe insoweit überzeugend ausgeführt, dass aus klinischer Sicht hinsichtlich der einzuhaltenden hygienischen Anforderungen in vier Risikogruppen unterteilt werde. Dementsprechend werde danach differenziert, in welche Risikogruppe die Tätigkeit falle, welche unter Verletzung des hygienischen Standards vorgenommen worden sei. Im vorliegenden Fall sei die infrage stehende Tätigkeit der untersten Risikogruppe zuzuordnen. Dies deswegen, weil es unwahrscheinlich sei, dass gegen den bei der Eröffnung eines Abszesses ausströmenden Eiter etwas in die Wunde gelange. Zudem sei es unwahrscheinlich, dass es gravierende Folgen nach sich ziehe, wenn die - von vornherein nur bakterienarmen, nicht sterilen - Handschuhe durch das Berühren der Türklinke zusätzlich kontaminiert worden seien. Bei dieser Sachlage Stelle der festgestellte Hygienemangel keinen groben Verstoß gegen medizinische Standards dar.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.09.2015
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online