18.10.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil16.02.2016

Maßnahmen zur Vermeidung lebens­ge­fähr­dender Dislokationen der Dialysenadel bei Dialyse-Patienten mit Einschränkungen dringend gebotenOLG Hamm konkretisiert die Anforderungen an Dialy­se­be­hand­lungen bei Patienten mit Einschränkungen

Bei der Dialyse von Patienten mit Einschränkungen können besondere Maßnahmen wie z.B. die Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms geboten sein, um eine lebens­ge­fährdende Dislokation (Lageveränderung) der Dialysenadel während der Behandlung von vornherein zu verhindern. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Arnsberg ab.

Die beklagten Ärzte des zugrunde liegenden Verfahrens betreiben im Sauerland eine nephrologische Praxis. In der Praxis ließ ein 67 Jahre alter Patient aus Arnsberg dreimal wöchentlich eine Dialy­se­be­handlung durchführen. Der Patient war aufgrund einer Diabe­te­s­er­krankung erblindet. Bei einer im Juni 2014 durchgeführten Dialy­se­be­handlung löste sich eine der im linken Oberarm befestigten Dialysenadeln. Es kam zu einer Blutung bei dem Patienten.

Klägerin rügt nicht ordnungsgemäße Überwachung und zu spät erfolgte notfallmäßige Behandlung des Patienten

Nach dem Entdecken der Blutung wurde der Patient in der Praxis reanimiert und in ein Krankenhaus verbracht, in dem er am Folgetag verstarb. Er wurde von seiner Ehefrau, der Klägerin, und den gemeinsamen drei Kindern beerbt. Die Klägerin war der Auffassung, dass der Patient nicht ordnungsgemäß von den Beklagten überwacht und zu spät notfallmäßig behandelt worden sei. Für die Erben hat sie Schadensersatz begehrt, u.a. ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro.

OLG: Dialy­se­be­handlung wurde fehlerhaft durchgeführt

Die Klage war überwiegend erfolgreich. Das Oberlan­des­gericht Hamm sprach den Erben des Patienten 5.000 Euro Schmerzensgeld und ca. 2.700 Euro Beerdi­gungs­kosten zu. Die Dialy­se­be­handlung der Beklagten sei, so das Gericht nach medizinisch-sachver­ständiger Beratung, fehlerhaft gewesen. Die Beklagten hätten es versäumt, die in der besonderen Situation des blinden Patienten gebotenen Maßnahmen zu treffen, mit denen eine Dislokation der Dialysenadel von vornherein zu verhindern gewesen sei.

Durch Fixierung hätte Risiko einer Dislokation der Dialysenadel ausgeschlossen werden können

Bewegungen eines Patienten könnten auch eine ordnungsgemäß befestigte Dialysenadel abrutschen lassen. Eine derartige Dislokation der Nadel sei zwar eine seltene Komplikation. Sie könne aber in kürzester Zeit zum Tod eines Patienten führen. Ein Patient könne in wenigen Minuten ausbluten. So habe der bei dem Verstorbenen für die Dialyse eingestellte Blutfluss zu einem Blutverlust von einem Liter in drei Minuten führen können. Da der Patient blind gewesen sei, sei es geboten gewesen, seinen linken Arm während der Dialy­se­be­handlung zu fixieren. Hiermit habe das Risiko einer Dislokation der Dialysenadel mit sehr hoher Wahrschein­lichkeit ausgeschlossen werden können. Aufgrund der Erblindung habe man sich beim Patienten nicht darauf verlassen können, dass er bei einem Blutverlust rechtzeitig Alarm auslöse.

Dauerhafte Überwachung eingeschränkter Patienten nicht erforderlich

Demgegenüber sei von einer Dialysepraxis eine dauerhafte Überwachung eingeschränkter Patienten aufgrund des damit verbundenen personellen und finanziellen Aufwandes nicht zu fordern. Nach den Ausführungen des Sachver­ständigen genüge auch bei Patienten, die nicht selbst Alarm auslösen könnten, in der Regel eine stündliche Kontrolle. Nur bei kreis­lau­fin­stabilen Patienten finde eine häufigere Kontrolle statt.

Patient muss vor Behand­lungs­beginn über Risiko des tödlichen Blutverlust durch Dislokation der Dialysenadel aufgeklärt werden

Dass eine Fixierung nicht gegen den Willen eines Patienten erfolgen könne, schließe die Schaden­s­er­satz­pflicht der Beklagten im vorliegenden Fall nicht aus. Der Patient habe vor Behand­lungs­beginn darüber aufgeklärt werden müssen, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Dialysenadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen könne und dieses Risiko durch eine Fixierung des Arms nahezu ausgeschlossen werde (Sicher­heits­auf­klärung), so dass im Rahmen seines Selbst­be­stim­mungs­rechts über seine Einwilligung in die Fixierung habe entscheiden können. Eine derartige Sicher­heits­auf­klärung sei bei eingeschränkten, insbesondere blinden Patienten zwingend erforderlich, weil sie eine Dislokation voraussichtlich nicht bemerkten und selbst keinen Alarm auslösen würden.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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