Oberlandesgericht Hamm Beschluss29.03.2016
Vormund eines Pflegekindes muss sich an Elternwillen bei Bestimmung der Religionszugehörigkeit des Kindes haltenNach Entzug der elterlichen Sorge ist Vormund nicht zur Änderung der Religionszugehörigkeit des Kindes berechtigt
Bestimmen Kindeseltern die Religionszugehörigkeit ihres Kindes, bleibt diese Bestimmung auch dann verbindlich, wenn das Kind - nach einem Entzug der elterlichen Sorge unter vormundschaftlicher Verantwortung des Jugendamtes - in einer Pflegefamilie aufwächst, die einer anderen Religion angehört und nach dieser lebt. Der Vormund ist dann nicht befugt, die Erstbestimmung der leiblichen Eltern zu ändern. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im 1986 Jahre geborene Verfahrensbeteiligte aus Duisburg ist Mutter der im Jahre 2007 geborenen Tochter. Die Kindesmutter stammt aus einem Land Nordafrikas und ist muslimischen Glaubens. Der im Jahre 1968 in Duisburg geborene, nicht sorgeberechtigte Kindesvater stammt von evangelischen Eltern ab.
Kindesmutter verlangt Erziehung ihres Kindes nach dem muslimischen Glauben
Unmittelbar nach der Geburt nahm das Jugendamt das Kind in Obhut und verbrachte es in eine Bereitschaftspflegefamilie. Tags darauf entzog das Familiengericht der Mutter Teile der elterlichen Sorge, u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge. In dem danach durchgeführten Sorgerechtsverfahren brachte die Kindesmutter in mehreren an das Familiengericht gerichteten Schreiben ihre Erwartung zum Ausdruck, dass das Kind nach dem muslimischen Glauben groß gezogen werden solle. In diesem Sinne äußerte sie sich auch gegenüber der in dem Verfahren bestellten Sachverständigen.
Pflegeeltern planen katholische Taufe des Kindes
Im Jahre 2008 entzog das Familiengericht der Kindesmutter die elterliche Sorge und übertrug diese dem Jugendamt als Vormund. Seit dem Jahre 2009 lebt das Kind inkognito in einer Dauerpflegefamilie, die ihre eigenen Kinder nach christlichen Wertvorstellungen erzieht und römisch-katholisch taufen ließ. Nach den Vorstellungen der Pflegeeltern und des Vormundes soll die Pflegetochter katholisch getauft werden, damit sie nach ihrer Teilnahme am katholischen Religionsunterricht auch die Erstkommunion empfangen kann. Dies entspreche, so diese Beteiligten, auch dem Wunsch des Kindes.
Kindsmutter legt Beschwerde gegen geplante Taufe ihrer Tochter ein
Das Amtsgericht Dorsten hatte die vom Vormund getroffene Anordnung, das Pflegekind in der römisch-katholischen Religion zu erziehen, genehmigt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, die mit einer Taufe ihrer Tochter und ihrer römisch-katholischen Erziehung nicht einverstanden ist.
Vormund kann Religionszugehörigkeit des Kindes nicht mehr bestimmen
Die Beschwerde war erfolgreich. Das Oberlandesgericht Hamm lehnte die familiengerichtliche Genehmigung, das Pflegekind nach dem römisch-katholischen Glauben zu erziehen, ab. Der Vormund könne die (römisch-katholische) Religionszugehörigkeit des Kindes nicht mehr bestimmen, so das Gericht. Das ließen die Vorschriften des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung nicht zu. Die Kindesmutter habe zuvor entschieden, dass ihre Tochter nach dem muslimischen Glauben erzogen werden solle. An diese Erstbestimmung sei der Vormund gebunden. Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung erlaube ihm nicht, diese zu ändern.
Bekenntnis zur Religionszugehörigkeit des Kindes wurde durch Kindsmutter noch vor Entzug der elterlichen Sorge abgegeben
Ihr Erstbestimmungsrecht habe die Kindesmutter noch vor dem vollständigen Entzug der elterlichen Sorge ausgeübt. Das ergebe sich aus ihren im Sorgerechtsverfahren dokumentierten schriftlichen und persönlichen Äußerungen. Zu Zeitpunkt dieser Äußerungen sei die Kindesmutter noch Inhaberin des zur religiösen Erziehung des Kindes berechtigenden Teils der elterlichen Sorge gewesen. Nach dem einschlägigen Gesetz sei insoweit unerheblich, ob diese Entscheidung aus heutiger Sicht dem Kindeswohl entspreche. Unerheblich sei auch, dass die Kindesmutter zu keiner Zeit in der Lage gewesen sei, mit ihrem Kind ihre Religionszugehörigkeit zu leben. Die maßgebliche gesetzliche Vorschrift erfordere lediglich ein nach außen dokumentiertes Bekenntnis der Kindeseltern zur Religionszugehörigkeit des Kindes. Ein solches Bekenntnis habe die Kindesmutter abgegeben.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.05.2016
Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online