18.10.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil24.10.2019

Umstrittenen Gebüh­ren­for­derung: Androhung einer Anschlusssperre außerhalb der gesetzlichen Voraussetzungen ist unlauterAusübung von Druck durch Drohung mit rechtlich zweifelhaften Maßnahmen kann Entscheidungs­fähig­keit von Verbrauchern einschränken

Droht ein Mobil­funk­unternehmen seinem Kunden an, im Fall der Nichtzahlung einer umstrittenen Gebüh­ren­for­derung seinen Anschluss zu sperren, ist das eine unlautere aggressive geschäftliche Handlung (§ 4 a UWG), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anschlusssperre (§ 45 k Abs. 2 TKG) nicht erfüllt sind. Dies entschied das Oberlandgericht Frankfurt am Main.

Die Parteien des zugrunde liegenden Falls stritten über die wettbe­wer­bs­rechtliche Zulässigkeit einer Sperrandrohung für einen Mobil­funk­an­schluss. Der Kläger ist ein eingetragener Verbrau­cher­schutz­verband. Die Beklagte bietet Mobil­funk­dienste an. Einer ihrer Kunden übersandte sie eine Rechnung über rund 1.300 Euro, die u.a. die Position "GPS- Auslands­ver­bin­dungs­auf­kommen" mit über 1.250 Euro enthielt.

Beklagte verweist auf mögliche Sperrung des Mobil­funk­an­schlusses bei nicht fristgerechter Zahlung

Nachdem die Kundin die Rechnungshöhe beanstandet hatte, verwies die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Forderung auf einen von ihr eingeholten Prüfbericht des Netzbetreibers und erteilte eine Kulanz­gut­schrift in Höhe der Hälfte des Betrages. Die verbleibende Forderung mahnte sie an. Zugleich wies sie darauf hin, dass sie sich im Falle nicht fristgerechter Zahlung die Sperrung des Mobil­funk­an­schlusses vorbehalte. Der Kläger hielt das Vorgehen der Beklagten für wettbe­wer­bs­widrig.

Ankündigung der Sperre stellt sich als aggressive Geschäftspraxis dar

Das Landgericht wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main Erfolg. Die Beklagte dürfe säumigen Verbrauchern gegenüber keine Anschlusssperre androhen, wenn die geltend gemachte Forderung nach Abzug der seitens des Verbrauchers form- und fristgerecht beanstandeten Forderungen weniger als 75 Euro betrage, entschied das Oberlan­des­gericht. Die Ankündigung der Sperre stelle sich als aggressive Geschäftspraxis im Sinne des § 4 a UWG dar, die laut Gericht geeignet sei, die Kundin zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie anderenfalls nicht getroffen hätte. Das Schreiben sei eine unzulässige Beeinflussung, da es geeignet sei, die Rationalität der Entscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. Geschäftliche Handlungen seien "aggressiv" i.S. von § 4 a Abs. 1 S. 2 UWG, wenn mit rechtlich unzulässigen Handlungen gedroht werde. Darunter falle auch die Drohung mit einem Vertragsbruch. In rechtlichen Zweifelsfällen dürfe jedenfalls die vertretene Rechtsansicht (hier Zulässigkeit einer Sperre) nicht als feststehend hingestellt werden. Die Ausübung von Druck durch Drohung mit einer rechtlich zweifelhaft Maßnahme könne die Fähigkeit der Verbraucher zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränken und damit den Tatbestand der unzulässigen Beeinflussung erfüllen, wenn bei dieser Drohung zwanghafte Zulässigkeit verschleiert werde. So liege es hier.

Verbraucher in aller Regel auf Mobil­funk­an­schluss dringend angewiesen

Die angekündigte Drohung, den Mobil­funk­an­schluss bei nicht fristgerechter Zahlung zu sperren, sei auch als erhebliches "Übel" einzuordnen. Die Verbraucher seien in aller Regel auf ihren Mobil­funk­an­schluss dringend angewiesen. Viele verfügten nicht über einen Festnetz­an­schluss und wickelten ihre gesamte Kommunikation über den Mobil­funk­an­schluss ab.

Angedrohte Sperre rechtlich unzulässig

Die angedrohte Sperre sei zudem rechtlich unzulässig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Sperre richteten sich nach § 45 k TKG. Die Kundin habe sich nicht mit einem Betrag von mindestens 75 Euro im Verzug befunden, da die angemahnte Forderung um den beanstandeten Betrag (hier: Auslands­da­ten­ver­kehr­s­auf­kommen) zu kürzen gewesen sei. Die Kundin habe die Forderung auch ausreichend beanstandet. Beanstandungen seien zu berücksichtigen, wenn der Kunde äußere Umstände so darstellt, dass sich bei objektiver Betrach­tungsweise die Einwände als nachvollziehbar darstellen und Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung aufkommen lassen können. Hier stellte die - auch im Vergleich zu früheren Zeiträumen - ungewöhnliche Höhe der Forderung einen äußeren Umstand dar, der Zweifel an der richtigen Erfassung des Gesprächs­vo­lumens aufkommen lasse. Eine weitere Substantiierung könne von der Kundin nicht verlangt werden, da sie keinen Zugriff auf die Erfassungsdaten hätten.

Erläuterungen:

Erläuterungen

§ 45 k TKG Sperre

(1) 1 Der Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste darf zu erbringende Leistungen an einen Teilnehmer unbeschadet anderer gesetzlicher Vorschriften nur nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 und nach § TKG § 45 o Satz 3 ganz oder teilweise verweigern (Sperre). 2 § TKG § 108 Abs. TKG § 108 Absatz 1 bleibt unberührt.

(2) 1 Wegen Zahlungsverzugs darf der Anbieter eine Sperre durchführen, wenn der Teilnehmer nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungs­ver­pflich­tungen von mindestens 75 Euro in Verzug ist und der Anbieter die Sperre mindestens zwei Wochen zuvor schriftlich angedroht und dabei auf die Möglichkeit des Teilnehmers, Rechtsschutz vor den Gerichten zu suchen, hingewiesen hat. 2 Bei der Berechnung der Höhe des Betrags nach Satz 1 bleiben nicht titulierte Forderungen, die der Teilnehmer form- und fristgerecht und schlüssig begründet beanstandet hat, außer Betracht. 3 Ebenso bleiben nicht titulierte bestrittene Forderungen Dritter im Sinne des § TKG § 45 h Absatz TKG § 45 H Absatz 1 Satz 1 außer Betracht. 4 Dies gilt auch dann, wenn diese Forderungen abgetreten worden sind. 5 Die Bestimmungen der Sätze 2 bis 4 gelten nicht, wenn der Anbieter den Teilnehmer zuvor zur vorläufigen Zahlung eines Durch­schnitts­betrags nach § TKG § 45 j aufgefordert und der Teilnehmer diesen nicht binnen zwei Wochen gezahlt hat.

(3) Der Anbieter darf seine Leistung einstellen, sobald die Kündigung des Vertrags­ver­hält­nisses wirksam wird.

(4) Der Anbieter darf eine Sperre durchführen, wenn wegen einer im Vergleich zu den vorangegangenen sechs Abrech­nungs­zeit­räumen besonderen Steigerung des Verbin­dungs­auf­kommens auch die Höhe der Entgelt­for­derung des Anbieters in besonderem Maße ansteigt und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Teilnehmer diese Entgelt­for­derung beanstanden wird.

(5) 1 Die Sperre ist, soweit technisch möglich und dem Anlass nach sinnvoll, auf bestimmte Leistungen zu beschränken. 2 Sie darf nur aufrecht­er­halten werden, solange der Grund für die Sperre fortbesteht. 3 Eine auch ankommende Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bindung erfassende Vollsperrung des Netzzugangs darf frühestens eine Woche nach Sperrung abgehender Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­bin­dungen erfolgen.

§ 4 a UWG Aggressive geschäftliche Handlungen

(1) 1 Unlauter handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte. 2 Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berück­sich­tigung aller Umstände geeignet ist, die Entschei­dungs­freiheit des Verbrauchers oder sonstigen Markt­teil­nehmers erheblich zu beeinträchtigen durch

1.Belästigung,

2.Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder

3.unzulässige Beeinflussung.

3 Eine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Markt­teil­nehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online (pm/kg)

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