18.10.2024
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Dokument-Nr. 30052

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss25.03.2021

Eigene Inter­net­re­cherchen des Schiedsgerichts im Schiedsspruch verwertbarOLG Frankfurt am Main zu einem Schiedsspruch zweier Pharma­un­ter­nehmen

Im Schieds­ver­fahren kann das Schiedsgericht dem Schiedsspruch auch Ergebnisse eigener Inter­net­re­cherchen zugrunde legen. Ob das Schiedsgericht verspäteten Vortrag zu Recht berücksichtigt hat, ist im Rahmen des Vollstreck­ba­r­e­r­klärungs­verfahrens nicht zu prüfen. Das Erforschen der materiellen Wahrheit geht insoweit dem Interesse an dem Einhalten von Verspätungs­vorschriften vor. Das OLG erklärte mit am 26.03.2021 veröf­fent­lichter Entscheidung einen Schiedsspruch zwischen zwei Pharma­un­ter­nehmen über gut 140 Mio. € für vollstreckbar.

Die Antragstellerin ist eine österreichische pharmazeutische Gesellschaft, die auf Arzneimittel für seltene Krankheiten spezialisiert ist. Die taiwanesische Antragsgegnerin ist eine Biotechnologie-Gesellschaft und Inhaberin aller Rechte an einem Alpha-Interferon. Die Zusammenarbeit der Parteien betraf die kommerzielle Nutzung dieses Wirkstoffes zur Entwicklung eines Medikaments u.a. gegen seltene Blutkrebsarten. Die Parteien schlossen einen Lizenz- und Herstel­lungs­vertrag. Darin verpflichtete sich die Antragsgegnerin u.a. dazu, der Antragstellerin die Lizenz zur Nutzung in klinischen Studien zu erteilen, während die Antragstellerin die für eine Zulassung in Europa erforderlichen klinischen Studien bezahlt. Die Parteien vereinbarten zudem eine Schiedsklausel. Nachdem es zu Verzögerungen bei den Studien gekommen war, kündigte die Antragsgegnerin wegen behaupteter Pflicht­ver­let­zungen die Lizenz­ver­ein­barung.

Schiedsklage erfolgreich

Die Antragstellerin erhob daraufhin eine Schiedsklage, mit der sie zuletzt die Zahlung ihres entgangenen Gewinns wegen der Verzögerung der Zulassung des gemeinsam entwickelten Medikaments und des daraus resultierenden verspäteten Markteintritts fordert. Das Schiedsgericht hatte daraufhin die Antragsgegnerin zur Zahlung von gut 140 Mio. € verurteilt und festgestellt, dass die Lizenz- und Herstel­lungs­ver­ein­ba­rungen weiterhin gültig seien. Die Antragstellerin beantragt nunmehr vor dem OLG, diesen Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Die Antragsgegnerin verlangt dagegen dessen Aufhebung.

Eigene Internet-Recherchen des Schiedsgerichts sind zulässig

Das OLG ist dem Antrag auf Vollstreck­ba­r­e­r­klärung des Schiedsspruchs nachgekommen. Es stellte fest, dass dem Antrag keine Versagungs- oder Aufhe­bungs­gründe entgegenstünden. Die Antragsgegnerin rüge insbesondere ohne Erfolg, dass das Schiedsgericht eigene Recherchen im Internet angestellt und den Schiedsspruch darauf gestützt habe. Dem Schiedsgericht habe es freigestanden, die „ihm angemessen erscheinenden Internet- Recherchen vorzunehmen“. Zudem habe die Antragsgegnerin selbst auf die berücksichtigte Internetseite hingewiesen. Darüber hinaus gelte im Schieds­ver­fahren auch nicht der zivil­pro­zessuale Grundsatz, dass die Parteien den Streitstoff selbst beibringen müssten. Das Schiedsgericht könne vielmehr den Sachverhalt auch von Amts wegen ermitteln.

Berück­sich­tigung von verspätetem Beweisangebot zulässig

Ohne Erfolg rüge die Antragsgegnerin zudem, dass das Schiedsgericht ein neues Beweisangebot der Antragstellerin in deren letzten Schriftsatz noch zugelassen habe. Im Zivilprozess sei grundsätzlich vom Rechts­mit­tel­gericht nicht zu prüfen, ob das Ausgangsgericht Vorbringen zu Recht oder zu Unrecht zugelassen habe. Hintergrund hierfür sei, dass die Zulassung des verspäteten Vorbringens der Wahrheits­findung diene. Das Interesse an einer materiell richtigen Entscheidung sei höher zu bewerten als das Interesse an einer prozessual richtigen Behandlung der Verspä­tungs­vor­schriften. Es sei nicht ersichtlich, warum dieser zivil­pro­zessuale Grundsatz nicht auch im Verhältnis zwischen dem schieds­ge­richt­lichen Verfahren einerseits und dem Vollstreck­ba­r­e­r­klärungs- und Aufhe­bungs­ver­fahren vor dem OLG andererseits gelten sollte. Demnach komme es nicht darauf an, ob das Schiedsgericht zu Recht oder Unrecht das Beweisangebot berücksichtigt habe.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/aw)

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