23.11.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil15.06.2018

Keine familien­gerichtlichen Auflagen zur Mediennutzung ohne konkrete Kindeswohl­gefährdungGericht darf nicht ohne Anhaltspunkte in die grundrechtlich geschützten Eltern­rechte eingreifen

Familien­gerichtliche Auflagen zur Mediennutzung eines Kindes sind nicht bereits dann zulässig, wenn das Kind im Besitz eines Smartphones ist und freien Internetzugang hat. Derartige Auflagen seien nur geboten, wenn im Einzelfall eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls festgestellt werden könne. Dies hat das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main entschieden.

Im zugrunde liegenden Streitfall sind die Beteiligten getrennt lebende Eheleute. Sie stritten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre neun Jahre alte Tochter. Im Rahmen der Kindesanhörung ergab sich, dass das damals 8-jährige Mädchen freien Zugang zum Internet über Geräte der Mutter hatte und über ein eigenes Smartphone verfügte.

Aufent­halts­be­stim­mungsrecht mit Auflagen zur Mediennutzung für die Tochter

Das Amtsgericht hat das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht der Mutter übertragen und ihr zugleich aufgegeben, feste Regeln, insbesondere verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von im Haushalt verfügbaren Medien (insbesondere TV, Computer, Spielkonsole, Tablet) für das Kind zu finden, umzusetzen und dem Gericht mitzuteilen. Darüber hinaus sollte dem Kind kein eigenes und frei zugängliches Smartphone mehr zur Verfügung gestellt werden. Die Auflage wurde bis zum 12. Geburtstag des Kindes befristet.

Beschwerde gegen Auflagen und Aufent­halts­be­stimmung

Gegen die getroffene Aufent­halts­be­stimmung wandte sich der Vater mit seiner Beschwerde. Der Verfah­rens­beistand der Tochter sowie die Kindsmutter schlossen sich der Beschwerde an und begehrten die Aufhebung der zitierten Auflagen zur Mediennutzung. Das OLG hat daraufhin die erteilten Auflagen aufgehoben.

Staatlicher Eingriff in elterliche Sorge nur bei körperlicher, geistiger oder seelischer Kindes­wohl­ge­fährdung

Zur Begründung verweist es zunächst auf die Voraussetzungen gerichtlicher Auflagen nach §§ 1666, 1666a BGB. Staatliche Maßnahmen tangieren immer auch die Grundrechte der Eltern, so dass verfas­sungs­rechtlich hohe Anforderungen an einen Eingriff in die elterliche Personensorge zu stellen seien. Maßnahmen dürften, so das OLG, nur getroffen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird. Es müsse positiv festgestellt werden, dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadens­nachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schaden­s­ein­tritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht. Es sei nicht Aufgabe des Staates, die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorge­rechts­ausübung - soweit eine solche überhaupt festgestellt werden kann sicherzustellen, grenzt das OLG ab.

Verletzung der grundrechtlich geschützten Elternrechte durch Auflagen

Die Anordnungen zur Mediennutzung und der Nutzung eines Smartphones greifen hier unberechtigt in die grundrechtlich geschützten Elternrechte der Kindesmutter ein. Eine konkrete Gefährdung des Kindes durch die Mediennutzung sei nicht festgestellt worden. Allgemeine Risiken der Nutzung smarter Technologien und Medien durch Minderjährige begründeten nicht per se eine hinreichend konkrete Kindeswohlgefährdung. Medien- und Internetkonsum durch Kinder und Jugendliche berge zwar Gefahren, denen Eltern geeignet begegnen müssten. Dies betreffe sowohl die zeitliche Begrenzung... als auch die inhaltliche Kontrolle.

Keine Gefahr einer Schädigung durch Besitz eines Smartphones

Der Zugang zu jugend­ge­fähr­denden Inhalten über YouTube könne schädliche Wirkungen haben, gleiches gelte hinsichtlich für die aktuelle Altersgruppe nicht freigegebener Spiele mit verstörenden, schädigenden Inhalten oder die Verwendung von WhatsApp, bei denen die Kinder oder Jugendlichen als Sender und Empfänger gewünschter oder unerwünschter Nachrichten betroffen sein könnten. Äußerst fraglich sei jedoch, ob generell eine Schädlichkeit angenommen werden könne, wenn Kindern die Möglichkeit eröffnet werde, Medien in dieser Weise zu nutzen. Die Schädi­gungs­formen seien vielmehr mit anderen Gefahren etwa durch ausgedehnte Fernsehzeiten oder auch eine ausschließliche Ernährung von Junkfood vergleichbar. Zusammenfassend stellt das Gericht deshalb fest: Allein der Besitz eines Smartphones, Tabletts, Computers oder Fernsehers mit oder ohne Internetzugang rechtfertigt nicht die Annahme, dass Eltern durch die Eröffnung eines Zugangs ihr Kind schädigen. Dazu müssen im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte hinzutreten, aus denen sich die konkrete Gefahr einer Schädigung ergeben.

Auch für Familiengericht gilt Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens

Die Nutzung digitaler Medien müsse zum Schutz von Minderjährigen gegebenenfalls pädagogisch begleitet werden. Hierbei ergäben sich jedoch individuelle Spielräume, die solange keine konkrete Kindes­wohl­ge­fährdung vorliege innerhalb der jeweiligen Familien eigen­ver­ant­wortlich festgelegt werden können. Es gelte insoweit auch für die Famili­en­ge­richte der Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens.

Erläuterungen

Erläuterungen:

§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt/Main, ra-online,

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