In dem zugrunde liegenden Fall kam es im Juli 2012 einige Meter vor einer Kreuzung zu einem Auffahrunfall. Dies hatte folgenden Hintergrund: Der Fahrer eines Citroën befand sich auf einer Linksabbiegerspur und beabsichtigte einige Meter vor der Kreuzung nach links in sein Grundstück einzufahren. Er setzte dazu den linken Fahrtrichtungsanzeiger und bremste sein Fahrzeug ab. Letzteres führte dazu, dass ein hinter ihm fahrender Audi auffuhr. Aufgrund des dadurch entstandenen Schadens klagte der Citroën-Fahrer auf Schadensersatz. Der Audi-Fahrer wies jegliche Verantwortung zurück. Er führte an, nicht damit habe rechnen müssen, dass der Citroën-Fahrer unerwartet stark sein Fahrzeug abbremst und nach links abbiegt. Er habe vielmehr davon ausgehen dürfen, dass der vor ihm fahrende Citroën erst an der Kreuzung abbiegt.
Das Landgericht Duisburg gab der Schadensersatzklage zu 50 % statt. Es hielt ein Mithaftungsanteil des Klägers in dieser Höhe für begründet. Gegen beide Parteien spreche ein Anscheinsbeweis. Gegen den Kläger, da er in ein Grundstück einbiegen wollte und gegen den Beklagten, weil er aufgefahren ist. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied zu Gunsten des Klägers und hob daher die Entscheidung des Landgerichts auf. Dem Kläger sei kein Fahrfehler und somit kein Mitverschulden am Unfall anzulasten. Er habe insbesondere an der Unfallstelle nach links abbiegen dürfen.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts spreche kein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Klägers. Zwar habe das Landgericht Saarbrücken entschieden, dass bei einer Kollision mit dem nachfolgenden Verkehr beim Abbiegen in ein Grundstück, der Abbiegende typischerweise gegen die ihm obliegende Pflicht, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, verstoße. Gegen den Abbiegenden spreche insofern aufgrund der gesteigerten Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO ein Anscheinsbeweis (LG Saarbrücken, Urt. v. 24.01.2014 - 13 S 168/13 -). Dieser Ansicht folgte das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch nicht.
Die Anwendung der Grundätze zum Anscheinsbeweis setze Geschehensabläufe voraus, so das Oberlandesgericht, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdränge, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der erforderlichen Sorgfalt verletzt und dadurch den Unfall verursacht habe. Wenn ein nachfolgendes Fahrzeug auf einen Abbieger auffährt, lasse die Lebenserfahrung jedoch nicht den Schluss auf eine Pflichtverletzung des Abbiegenden zu. Denn auch bei Beachtung der hohen Sorgfaltspflichten, könne eine Kollision allein deshalb erfolgen, weil der nachfolgende Verkehr alle deutlichen Anzeichen für das beabsichtigte Abbiegen übersehe oder allein deshalb auf den Abbiegenden auffahre, weil er seine Pflichten nicht genüge. Der Abbiegende habe nur sehr begrenzte Möglichkeiten auf den rückwärtigen Verkehr zu reagieren. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Abbiegende bereits steht.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts spreche ein Anscheinsbeweis vielmehr für ein Verschulden des Beklagten. Es sei nach der Lebenserfahrung wahrscheinlich, dass der Auffahrunfall auf zu geringen Abstand, Unaufmerksamkeit oder unangepasster Geschwindigkeit beruht habe. Dabei sei es unerheblich, dass der Kläger seine Fahrt vor dem Abbiegen verzögerte. Denn der Anscheinsbeweis spreche auch dann gegen den Auffahrenden, wenn der Vorausfahrende habe bremsen müssen, was ein plötzliches starkes Abbremsen mit einschließe.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.07.2017
Quelle: Oberlandesgericht Düsseldorf, ra-online (vt/rb)