23.11.2024
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Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil19.08.2010

Krankenkasse muss Magen­ver­klei­nerung erst nach vorheriger mehrmonatiger Therapie zahlenChirurgische Behandlung der Adipositas nur eine Ultima ratio

Krankenkassen müssen einem stark übergewichtigen Versicherten eine Magen­ver­klei­nerung nur bezahlen, wenn alle anderen Thera­pie­mög­lich­keiten ausgeschöpft sind. Dies geht aus einem Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts Rheinland-Pfalz hervor.

Im zugrunde liegenden Fall verlangte eine Frau von ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für eine so genannte Magen­by­pass­ope­ration in Höhe von 5.378,16 Euro. Sie machte geltend, alle bisherigen Versuche, ihr erhebliches Übergewicht zu verringern, seien erfolglos geblieben. Ihr Körpergewicht betrug damals 115 Kilo bei 171 Zentimetern Körpergröße. Nachdem die Kranken­ver­si­cherung die Kostenübernahme abgelehnt hatte, ließ die Frau die Operation zunächst auf eigene Kosten durchführen und verklagte danach die Krankenkasse.

Sozialgericht verurteilt Krankenkasse zur Kostenübernahme der Operation

Das Sozialgericht Trier verurteilte die Kranken­ver­si­cherung erstinstanzlich, die Kosten der Magen­by­pass­ope­ration zu übernehmen. Die Krankenkasse legte gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung ein und argumentierte, dass vor der Magen­by­pass­ope­ration erst die konservativen Behand­lungs­mög­lich­keiten auszuschöpfen seien. Das Landes­so­zi­al­gericht Rheinland-Pfalz folgte dem Vortrag der Krankenkasse und hob das erstin­sta­nzliche Urteil auf.

Landes­so­zi­al­gericht gibt Krankenkasse recht und weist die Klage ab

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Magen­by­pass­ope­ration nach § 13 SGB V. Vorliegend komme lediglich ein Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V in Betracht. Dieser scheide aber aus, weil die Krankenkasse die Gewährung der Magen­by­pass­ope­ration als Sachleistung nicht zu Unrecht abgelehnt hatte, führte das Gericht das Landes­so­zi­al­gericht aus.

Grundsätzlich ist eine Behandlung erforderlich

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Kranken­be­handlung, wenn diese notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank­heits­be­schwerden zu lindern. Starkes Übergewicht (im Allgemeinen ab einem BMI von größer/gleich 30) stelle eine Krankheit dar. Dabei könne dahinstehen, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukomme. Jedenfalls bestünde bei einem derart ausgeprägten Übergewicht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folge­er­schei­nungen, das eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichts­re­duktion erforderlich mache, führte das Landes­so­zi­al­gericht aus.

Magen­by­pass­ope­ration ist nur eine mittelbare Kranken­be­handlung

Eine Magen­by­pass­ope­ration stelle jedoch eine mittelbare Kranken­be­handlung durch die chirurgische Operation eines funktionell intakten Organs dar, bei der eine anderweitige krankhafte Funkti­o­ns­s­törung behandelt werde. Eine solche mittelbare Kranken­be­handlung bedürfe einer speziellen Rechtfertigung. Eine solche Behandlung sei nur dann ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V), wenn sie nach Art und Schwere der Erkrankung, Dringlichkeit der Inter­ven­ti­o­ns­risiken sowie nach Abwägung der Risiken und des zu erwartenden Nutzens der Therapie sowie etwaiger Folgekosten für die Kranken­ver­si­cherung gerechtfertigt sei.

Chirurgische Behandlung der Adipositas nur eine Ultima ratio

Nach diesen Maßstäben sei eine chirurgische Behandlung der Adipositas nur gerechtfertigt, wenn sie die Ultima ratio ist, d.h. alle anderen unmittelbaren Thera­pie­mög­lich­keiten erfolglos ausgeschöpft worden seien oder nicht in Betracht kämen.

Sechs- bis 12-monatige konservative Behandlung nach definierten Quali­täts­kri­terien sollte einer Operation vorausgehen

Nach der Evidenz­ba­sierten Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2007 (Hrsg: Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Deutsche Gesellschaft für Ernäh­rungs­medizin) sollte eine chirurgische Therapie der Adipositas nur erfolgen, wenn zuvor eine wenigstens sechs- bis 12monatige konservative Behandlung nach definierten Quali­täts­kri­terien stattgefunden hat. Nach der genannten Leitlinie erfordert eine qualifizierte Adipo­si­tas­be­handlung u.a. obligatorisch die Beteiligung eines Arztes mit ernäh­rungs­me­di­zi­nischer Qualifikation und einer Ernäh­rungs­fachkraft, eine medizinische Eingangs­un­ter­suchung und Betreuung, eine strukturierte Schulung in Gruppen, ein integriertes Therapiekonzept aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhal­tens­therapie sowie eine systematische Daten­do­ku­men­tation. Die zahlreichen von der Klägerin bisher durchgeführten Maßnahmen entsprechen nicht diesen Anforderungen an ein qualifiziertes Thera­pie­programm. Die Voraussetzungen für eine mittelbare chirurgische Behandlung der Adipositas durch eine Magen­by­pass­ope­ration waren daher im Zeitpunkt der Durchführung der Operation nicht erfüllt.

Quelle: ra-online, Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (pt)

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