21.11.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss21.12.2014

Krankenkasse muss bei Jugendlichen transportable Sauer­stoff­flaschen zur Mobili­täts­er­haltung zur Verfügung stellenÄnderung der Versorgung mit Sauerstoff würde ernstzunehmende Einschränkungen in der Lebensführung mit sich bringen

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat im Eilverfahren entschieden, dass eine 16jährige Antragstellerin Anspruch auf Kostenübernahme für monatlich drei befüllte (transportable) Sauer­stoff­druck­gas­flaschen zur Erhaltung ihrer Mobilität hat.

Die 16jährige Antragstellerin des zugrunde liegenden Streitfalls lebt bei ihren Pflegeeltern und erhält Sozia­l­hil­fe­leis­tungen nach dem Sozial­ge­setzbuch Zwölftes Buch. Neben einer geistigen Behinderung besteht bei ihr eine chronische Herzin­suf­fizienz sowie ein massiver Lungenschaden, aufgrund dessen sie Hilfe beim Atmen bedarf. Über einen Zeitraum von 12 Jahren hat die Krankenkasse ihr Flüssig­s­au­erstoff und zusätzliche Sauer­stoff­druck­gas­flaschen im Umfang von 12 Flaschen pro Monat bewilligt. Seit Februar 2014 hat die Krankenkasse die monatliche Versorgung mit befüllten Sauer­stoff­flaschen nicht mehr übernommen und als kosten­güns­tigere Alternative stattdessen eine Druck­gas­füll­station und zwei Sauer­stoff­flaschen zur Verfügung gestellt. Bei einem längeren Urlaub bestünde die Möglichkeit, die Flaschen durch einen gewerblichen Betrieb am Urlaubsort zu befüllen, so dass keine Einschränkung der Mobilität vorliege. Die Jugendliche führt dagegen an, dass ohne Versorgung mit weiteren - befüllten - Sauer­stoff­flaschen ihre Mobilität, insbesondere in Schule, Freizeit und Urlaub (z.B. Klassenfahrten und Familie­n­ausflüge) nicht mehr gewährleistet sei.

SG: Befüllen der Flaschen bei Kurzurlauben und Klassenfahrten vor Ort zumutbar

Das Sozialgericht Braunschweig hat die Entscheidung der Krankenkasse im Hinblick auf den Wirtschaft­lich­keits­grundsatz (§ 12 Abs. 1 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch - SGB V) bestätigt. Es sei von einer für den täglichen Gebrauch ausreichenden Versorgung auszugehen. Für Kurzurlaube und Klassenfahrten sei die Möglichkeit des Befüllens der Flaschen vor Ort zumutbar.

Versorgung mit Sauer­stoff­druck­gas­flaschen stellt Hilfsmittel zum mittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleich dar

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dagegen ausgeführt, dass es sich bei der Versorgung mit Sauer­stoff­druck­gas­flaschen um ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behin­de­rungs­aus­gleich handele, das die gesetzliche Krankenkasse in diesem Fall zu gewähren habe, weil es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitige bzw. mildere und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Hierzu zähle auch die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes, wobei bei der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität als Grundbedürfnis anerkannt sei. Hier sei es bereits ausreichend, dass durch das begehrte Hilfsmittel die gleich­be­rechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert werde.

Sauer­stoff­druck­gas­flaschen gewähren größere Mobilität

Das Landes­so­zi­al­gericht hat weiter ausgeführt, dass bei der 16jährigen Antragstellerin ein komplexes Krankheitsbild bestünde, sodass nur Kurzurlaube von drei bis vier Tagen unter Berück­sich­tigung ihres Allge­mein­zu­standes und des Wetters möglich seien. Durch die transportablen Sauer­stoff­druck­gas­flaschen würde ihr eine größere Mobilität gewährt und Aktivitäten ermöglicht, die ihr ansonsten nicht oder nur unter erheblicher Gefährdung ihrer Gesundheit möglich wären. Dieser zusätzlich gewonnene Freiraum zähle bei der minderjährigen und schul­pflichtigen Antragstellerin zu den Grund­be­dürf­nissen. Da sie aufgrund der nicht mehr zur Verfügung gestellten Sauer­stoff­druck­flaschen bereits seit Februar 2014 daran gehindert sei, an Klassenfahrten teilzunehmen und entsprechende Unternehmungen mit ihren Pflegeeltern durchzuführen, lägen ernstzunehmende Einschränkungen in ihrer Lebensführung vor.

§§ 12, 30 Abs. 1 SGB V - zitiert nach juris

§ 12 Wirtschaft­lich­keitsgebot

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Leistungen, die nicht notwendig oder unwirt­schaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungs­er­bringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungs­pflicht mit dem Festbetrag.

(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstands­mitglied hiervon gewusst oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichts­behörde nach Anhörung des Vorstands­mit­glieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstands­mitglied auf Ersatz des aus der Pflicht­ver­letzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regress­ver­fahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

§ 33 Hilfsmittel

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körpe­rer­satz­stücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Kranken­be­handlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchs­ge­gen­stände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behin­de­rungs­aus­gleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflege­ein­rich­tungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflege­hilfs­mitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt.

Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt.

Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatz­be­schaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesund­heit­lichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funkti­o­ns­fä­higkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen.

Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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