Der Entscheidung lag der Fall eines 50-jährigen hochgradig schwerhörigen Mannes aus Oldenburg zugrunde, der mit seinen bisherigen Hörgeräten nur noch sehr unzureichend versorgt war. Die bisherigen Hörgeräte waren insbesondere durch eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens so insuffizient geworden, dass der Kläger sich an privaten und beruflichen Gesprächen in weitem Umfang nicht mehr beteiligen konnte. Obwohl er bereits im Jahr 2008 bei der beklagten Rentenversicherung einen Antrag auf eine verbesserte Hörgeräteversorgung gestellt hatte, leitete dieser keine Unterstützung ein. Die Rentenversicherung räumte den Versorgungsbedarf durchaus ein, verwies aber auf eine Zuständigkeit der Krankenkasse.
Dagegen hat der Kläger im Jahr 2009 Klage vor dem Sozialgericht Oldenburg (SG) erhoben. Das SG lud die Krankenversicherung des Klägers bei und verurteilte die beklagte Rentenversicherung, dem Kläger für seine Hörstörung angemessene Geräte zu verschaffen. Dagegen legte die Rentenversicherung im Jahr 2011 Berufung beim LSG ein. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass sie auch als erstangegangener Rehabilitationsträger die erforderliche Hilfe ablehnen könne, wenn die Zuständigkeit eines anderen Trägers in Betracht komme.
Das LSG Niedersachsen - Bremen hat die Rentenversicherung im Eilrechtsschutz verpflichtet, den Hörgeräteakustiker des Klägers zu beauftragen, den Kläger nach einer Neuanpassung mit den Hörgeräten zu versorgen, die den bestmöglichen Ausgleich bringen. Das LSG hat festgestellt, dass sowohl die Rentenversicherung als auch die Krankenversicherung des Klägers eine auffällige Verzögerungstaktik verfolgt haben. Die Rentenversicherung hat trotz der Dringlichkeit der Versorgung des Klägers das Ruhen des Verfahrens beantragt, die Krankenversicherung hat sogar noch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie in den 45 Monaten seit ihrer Beiladung zum Rechtstreit noch keine Gelegenheit gehabt habe, das Anliegen des Klägers zu prüfen.
Angesichts des langjährigen Versorgungsdefizits kann der Kläger nicht auf ein Neubescheidungsurteil gegen die beklagte Rentenversicherung verwiesen werden. Das Gericht kann die Beklagte vielmehr auch im einstweiligen Rechtsschutz zur konkreten Versorgung verpflichten, dies selbst dann, wenn dadurch das Ergebnis der Hauptsache vorweggenommen wird.
Dabei hat das LSG berücksichtigt, dass sich der Kläger zuerst an den Rentenversicherungsträger gewandt hat; dieser hat den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Zweiwochenfrist an einen anderen Träger weitergeleitet. Damit ist der Rentenversicherungsträger nach den ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen und den klaren Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung verpflichtet, den Rehabilitationsbedarf des Klägers umfassend und zeitnah abzudecken und insbesondere für eine leidensgerechte Hörgeräteversorgung Sorge zu tragen.
Weiter hat das LSG erläutert, dass angesichts der Schwere der Hörbeeinträchtigung und ihrer individuellen Ausprägung in diesem Einzelfall der notwendige bestmögliche Ausgleich nicht bereits mit zum sog. Festbetrag erhältlichen preiswerteren Hörgeräten erreicht werden kann. Daher wurde der Rentenversicherungsträger zugleich verpflichtet, in einem angemessenen Rahmen auch über den Festbetrag hinausgehende Kosten der Hörgeräteversorgung zu tragen.
Entscheidend hat das LSG darauf abgestellt, dass der Kläger durch die bisherige stark defizitäre Versorgung seit Jahren im privaten und beruflichen Leben schwer und nachhaltig in seinen Grundrechten beeinträchtigt worden ist. Von Verfassungs wegen ist ihm eine weitere Hinnahme dieses Zustandes schlechthin nicht mehr zumutbar. In solchen Fällen müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dem Staat ist nach der Rechtsprechung des BVerfG die Würde des Menschen in einer Situation der Hilfebedürftigkeit besonders anvertraut. Umso schwerer wiegen die dargelegten Versäumnisse der beteiligten Sozialleistungsträger. Weder der Träger der Rentenversicherung noch die Krankenkasse hat in dem seit Jahren währenden Rechtsstreit auch nur ernsthafte Anstrengungen zu einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Ausgleich der Hörbehinderung gezeigt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 24.12.2013
Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online