21.11.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Beschluss04.11.2013

Renten­ver­si­cherungs­träger muss hochgradig schwerhörigem Mann Kosten für erforderliches Hörgerät erstattenBei Verzögerung durch die Renten- und Kranken­ver­si­cherer kann der Versicherte das erforderliche Hörgerät im Eilrechtsschutz erhalten

Verzögerungen der Sozia­l­ver­si­cherungs­träger können bei der Versorgung eines schwerhörigen Menschen mit Hörgeräten dazu führen, dass eine auf umgehende und effektive Versorgung ausgerichtete Eilentscheidung durch das Gericht erlassen wird. Der Renten­ver­si­cherungs­träger ist verpflichtet, die konkrete Auswahl des das Hörvermögen bestmöglich fördernden Hörgerätes auf den Hörge­rä­te­akustiker zu übertragen. Dies entschied das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen.

Der Entscheidung lag der Fall eines 50-jährigen hochgradig schwerhörigen Mannes aus Oldenburg zugrunde, der mit seinen bisherigen Hörgeräten nur noch sehr unzureichend versorgt war. Die bisherigen Hörgeräte waren insbesondere durch eine weitere Verschlech­terung des Hörvermögens so insuffizient geworden, dass der Kläger sich an privaten und beruflichen Gesprächen in weitem Umfang nicht mehr beteiligen konnte. Obwohl er bereits im Jahr 2008 bei der beklagten Renten­ver­si­cherung einen Antrag auf eine verbesserte Hörge­rä­te­ver­sorgung gestellt hatte, leitete dieser keine Unterstützung ein. Die Renten­ver­si­cherung räumte den Versor­gungs­bedarf durchaus ein, verwies aber auf eine Zuständigkeit der Krankenkasse.

Renten­ver­si­cherung weist Zuständigkeit von sich

Dagegen hat der Kläger im Jahr 2009 Klage vor dem Sozialgericht Oldenburg (SG) erhoben. Das SG lud die Kranken­ver­si­cherung des Klägers bei und verurteilte die beklagte Renten­ver­si­cherung, dem Kläger für seine Hörstörung angemessene Geräte zu verschaffen. Dagegen legte die Renten­ver­si­cherung im Jahr 2011 Berufung beim LSG ein. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass sie auch als erstan­ge­gangener Rehabi­li­ta­ti­o­ns­träger die erforderliche Hilfe ablehnen könne, wenn die Zuständigkeit eines anderen Trägers in Betracht komme.

LSG stellt auffällige Verzö­ge­rung­s­taktik der Renten- sowie Kranken­ver­si­cherung fest

Das LSG Niedersachsen - Bremen hat die Renten­ver­si­cherung im Eilrechtsschutz verpflichtet, den Hörge­rä­te­akustiker des Klägers zu beauftragen, den Kläger nach einer Neuanpassung mit den Hörgeräten zu versorgen, die den bestmöglichen Ausgleich bringen. Das LSG hat festgestellt, dass sowohl die Renten­ver­si­cherung als auch die Kranken­ver­si­cherung des Klägers eine auffällige Verzö­ge­rung­s­taktik verfolgt haben. Die Renten­ver­si­cherung hat trotz der Dringlichkeit der Versorgung des Klägers das Ruhen des Verfahrens beantragt, die Kranken­ver­si­cherung hat sogar noch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie in den 45 Monaten seit ihrer Beiladung zum Rechtstreit noch keine Gelegenheit gehabt habe, das Anliegen des Klägers zu prüfen.

LSG kann Beklagte im einstweiligen Rechtsschutz zur konkreten Versorgung verpflichten

Angesichts des langjährigen Versor­gungs­de­fizits kann der Kläger nicht auf ein Neube­schei­dungs­urteil gegen die beklagte Renten­ver­si­cherung verwiesen werden. Das Gericht kann die Beklagte vielmehr auch im einstweiligen Rechtsschutz zur konkreten Versorgung verpflichten, dies selbst dann, wenn dadurch das Ergebnis der Hauptsache vorweggenommen wird.

Renten­ver­si­che­rungs­träger muss Rehabi­li­ta­ti­o­ns­bedarf umfassend abdecken

Dabei hat das LSG berücksichtigt, dass sich der Kläger zuerst an den Rentenversicherungsträger gewandt hat; dieser hat den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Zweiwochenfrist an einen anderen Träger weitergeleitet. Damit ist der Renten­ver­si­che­rungs­träger nach den ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen und den klaren Vorgaben der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung verpflichtet, den Rehabi­li­ta­ti­o­ns­bedarf des Klägers umfassend und zeitnah abzudecken und insbesondere für eine leidensgerechte Hörge­rä­te­ver­sorgung Sorge zu tragen.

Renten­ver­si­che­rungs­träger hat auch über den Festpreis hinausgehende Kosten zu tragen

Weiter hat das LSG erläutert, dass angesichts der Schwere der Hörbe­ein­träch­tigung und ihrer individuellen Ausprägung in diesem Einzelfall der notwendige bestmögliche Ausgleich nicht bereits mit zum sog. Festbetrag erhältlichen preiswerteren Hörgeräten erreicht werden kann. Daher wurde der Renten­ver­si­che­rungs­träger zugleich verpflichtet, in einem angemessenen Rahmen auch über den Festbetrag hinausgehende Kosten der Hörge­rä­te­ver­sorgung zu tragen.

Kläger wurde seit Jahren in seinen Grundrechten eingeschränkt

Entscheidend hat das LSG darauf abgestellt, dass der Kläger durch die bisherige stark defizitäre Versorgung seit Jahren im privaten und beruflichen Leben schwer und nachhaltig in seinen Grundrechten beeinträchtigt worden ist. Von Verfassungs wegen ist ihm eine weitere Hinnahme dieses Zustandes schlechthin nicht mehr zumutbar. In solchen Fällen müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dem Staat ist nach der Rechtsprechung des BVerfG die Würde des Menschen in einer Situation der Hilfe­be­dürf­tigkeit besonders anvertraut. Umso schwerer wiegen die dargelegten Versäumnisse der beteiligten Sozia­l­leis­tungs­träger. Weder der Träger der Renten­ver­si­cherung noch die Krankenkasse hat in dem seit Jahren währenden Rechtsstreit auch nur ernsthafte Anstrengungen zu einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Ausgleich der Hörbehinderung gezeigt.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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