Die im Landkreis Heilbronn bei ihren Eltern wohnende mehrfach schwerbehinderte Klägerin leidet an einer an Taubheit grenzenden beidseitigen Schwerhörigkeit. Das siebenjährige Mädchen besucht einen Regelkindergarten und erhält vom Sozialhilfeträger pädagogische und begleitende Hilfen. Für das Erlernen der Gebärdensprache gewährt ihr der Landkreis zudem ein so genanntes "persönliches Budget" in Höhe von 2.400 Euro monatlich. Um mit ihrer Tochter kommunizieren zu können, lassen sich auch die Eltern in der Gebärdensprache unterrichten. Sie haben hierfür einen Hauslehrer engagiert, der einmal wöchentlich für zwei Stunden aus Frankenthal in der Pfalz anreist und seit August 2011 insgesamt 14.250 Euro in Rechnung gestellt hat. Bislang war ein Großteil der Kosten von einer gemeinnützigen Stiftung übernommen worden; deren Höchstförderdauer ist jedoch zwischenzeitlich ausgeschöpft.
Der zuständige Sozialhilfeträger lehnte den Antrag, auch die Kosten für die Unterrichtung der Eltern zu übernehmen, ab. Den Eltern sei es zuzumuten, die Gebärdensprache aus Büchern oder an der Volkshochschule zu erlernen.
Das Sozialgericht Heilbronn erklärte die Ablehnung der Kostenübernahme für rechtswidrig und verurteilte den Landkreis dazu, über den Antrag der Klägerin erneut zu entscheiden. Der Klägerin müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, mit ihrem sozialen Umfeld zu kommunizieren. Hierzu gehöre auch die Familie, deren Kommunikationsfähigkeit mit der Klägerin deshalb gefördert werden müssen.
Dem widersprachen die Richter des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in zweiter Instanz und hoben die Heilbronner Entscheidung auf. Leistungen der Eingliederungshilfe stünden grundsätzlich nur dem behinderten Menschen selbst zu. Angehörige könnten nur ausnahmsweise in den Genuss solcher Leistungen kommen, wenn dies - anders als hier - gesetzlich so vorgesehen sei. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Unterrichtung der Eltern ergebe sich hier auch nicht aus dem Grundgesetz, der Europäischen Grundrechtecharta oder dem Behindertenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.
(1) Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. [...]
(1) Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden.
(2) Leistungen nach Absatz 1 sind insbesondere [...]
3. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen,
4. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt,
[...]
7. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben.
Bedürfen hörbehinderte Menschen oder behinderte Menschen mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit auf Grund ihrer Behinderung zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass der Hilfe Anderer, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt oder angemessene Aufwendungen hierfür erstattet.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.07.2013
Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online