24.10.2024
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Dokument-Nr. 34481

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Urteil19.09.2024Landessozialgericht Baden-WürttembergL 7 SO 2479/23
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil19.09.2024

Behörde erlangt auch mit einem unvollständigen Antrag Kenntnis auf möglichen Bedarf von SozialhilfeLeistungen sind ab Kenntnis zu gewähren

Erhält die Behörde einen unvollständigen Antrag auf Sozialhilfe und fordert daraufhin weitere Unterlagen an, so hat sie zu diesem Zeitpunkt von einen eventuellen Bedarf eines Leistungs­be­rech­tigten Kenntnis erlangt. Nach diesem "Kennt­nis­grundsatz" besteht ein Anspruch auf Sozialhilfe ab diesem Zeitpunkt. Das geht aus einem Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts Baden-Württemberg hervor.

Für Menschen, die ihren Lebensbedarf nicht mit eigenen Mitteln decken können und die auch keinen ausreichenden Anspruch auf andere, vorrangige staatliche Leistungen haben, soll die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozial­ge­setz­buches (SGB XII) die Deckung des menschen­würdigen Existenz­mi­nimums sicherstellen.

Sozialhilfe ist nicht von einem Antrag abhängig

Um einen einfachen Zugang zu gewährleisten, sind die meisten der Leistungen nach dem SGB XII nicht von einem Antrag abhängig. Es genügt vielmehr, dass die zuständige Behörde davon Kenntnis erlangt, dass ein möglicher Leistungs­berechtigter seinen Bedarf nicht selbst decken kann. Dies ist der sogenannte Kennt­nis­grundsatz. Was genau die Behörde für eine solche „Kenntnis“ wissen muss, ist jedoch nicht im Gesetz geregelt und in der Rechtsprechung umstritten. Dies ist vor allen Dingen deswegen wichtig, weil ein Anspruch auf Sozialhilfe grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt der Kenntnis besteht.

Sachverhalt

Eine pflege­be­dürftige ältere Dame, die spätere Klägerin, kam in ein Pflegeheim in Albstadt-Ebingen, konnte aber die Heimkosten mit ihrer Rente nicht decken. Vermögen hatte sie nicht. Ihr Betreuer wandte sich an das Sozialamt des zuständigen Landkreises (den Beklagten), um die Übernahme der ungedeckten Kosten zu beantragen, wie ein Vermerk des Beklagten festhielt. Er legte verschiedene Unterlagen vor, aus denen sich unter anderem die Rentenhöhe, die Heimkosten und aufgelaufene Rückstände ergaben. Angaben zum Vermögen machte er nicht. Der Beklagte bat den Betreuer schriftlich um weitere Unterlagen und wies darauf hin, dass Leistungen der Hilfe zur Pflege erst ab dem Bekanntwerden der Notlage gewährt werden könnten. Eine Reaktion des Betreuers erfolgte nicht und auch der Beklagte unternahm nichts Weiteres, auch nicht auf eine Nachfrage des Pflegeheims. Erst nachdem eine neue Betreuerin bei dem Beklagten nochmals Leistungen geltend machte, gewährte der Beklagte Hilfe zur Pflege. Für die vorangegangene Zeit lehnte der Beklagte Leistungen ab. Die Leistungen könnten erst nach positiver Kenntnis von den anspruchs­be­grün­denden Tatsachen bestehen. Insbesondere zum Vermögen hätten zuvor keine Nachweise vorgelegen.

Unvollständiger Antrag reicht

Das LSG hat den Beklagten zur Übernahme der ungedeckten Heimkosten verurteilt. Der entscheidende Senat hat zunächst festgehalten, dass der Beklagte – neben einer internen Verfügung – Kennt­ni­ser­langung bestätigt habe und diesbezüglich beim Wort zu nehmen sei. Der Beklagte könne insoweit nicht mit der im Verfahren getätigten Behauptung überzeugen, er habe die Notlage noch nicht einmal erahnen können. Dies könne jedoch im Ergebnis sogar dahinstehen. Denn die Kenntnis vom Bedarfsfall solle einen nieder­schwelligen Zugang zur Sozialhilfe gewährleisten. Das schließe aber die Möglichkeit einer Antragstellung keineswegs aus. In der Vorsprache des Betreuers sei eine solche – formlos mögliche – Antragstellung zu sehen.

Leistungen ab Antragstellung zu gewähren

Dies sei von dem Beklagten auch erkannt und entsprechend in dem diesbezüglichen Vermerk notiert worden. Werde ein formloser Antrag auf Sozia­l­hil­fe­leis­tungen gestellt, der die Behörde ohne weitere Angaben des Antragstellers noch nicht in die Lage versetze, die Anspruchs­vor­aus­set­zungen zu prüfen, seien – soweit die Voraussetzungen im Weiteren erwiesen würden – Leistungen dennoch ab Antragstellung zu zahlen. Leistungs­be­rechtigte von antrags­ge­bundenen Leistungen würden sonst gegen den Willen des Gesetzgebers bevorzugt. Es wäre widersinnig, wenn antrags­ge­bundene Leistungen auch bei einem unvollständigen Antrag bereits ab Antragstellung gewährt würden, während die Sozialhilfe im Übrigen trotz gleicher Ausgangslage erst später einsetzen würde.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg, ra-online (pm/ab)

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