23.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil29.06.2017

Kein Anspruch auf höhere Leistungen für Asylbewerber bei falscher Identi­täts­angabeFalsche Angaben über Identität und Staats­an­ge­hö­rigkeit stehen der Gewährung von Analo­g­leis­tungen auch nach Richtigstellung der Angaben entgegen

Asylbewerber, die bei der Einreise in das Bundesgebiet falsche Angaben zur Identität und Staats­an­ge­hö­rigkeit machen, beeinflussen rechts­missbräuchlich die Dauer ihres Aufenthalts und erhalten über die Grundleistungen hinaus keine höheren sogenannten Analo­g­leis­tungen auf Sozia­l­hil­fe­niveau. Das gilt auch dann, wenn die falschen Angaben später berichtigt werden und die betreffende Person sich über einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik aufhält. Dies geht aus einer Entscheidung des Landes­sozial­gerichts Baden-Württemberg hervor.

Im zugrunde liegenden Verfahren legte eine Familie der Auslän­der­behörde im Jahr 2007 erst Auszüge des libanesischen Famili­en­re­gisters und schließlich 2009 die im Jahr 2002 ausgestellten libanesischen Pässe vor. Im Jahr 2013 wurden ihnen von den Auslän­der­be­hörden Duldungen erteilt. Vom beklagten Land erhielten sie lediglich Grundleistungen nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz (AsylbLG), da sie die Dauer des Aufenthalts rechts­miss­bräuchlich selbst beeinflusst hätten.

Familie begehrt höhere Analo­g­leis­tungen auf Sozia­l­hil­fe­niveau

Hiergegen richtete sich Widerspruch und Klage. Die Familie begehrt wegen der langen Dauer des Aufenthalts höhere Leistungen auf SGB-XII-(Sozialhilfe)-Niveau (sogenannte Analo­g­leis­tungen). Mittlerweile lägen libanesische Origi­na­l­do­kumente vor. Zudem hätten sie bei der zuständigen Botschaft die Erteilung von Heimrei­se­do­ku­menten beantragt. Auch die zuständige Auslän­der­behörde habe die notwendigen Heimrei­se­do­kumente bislang nicht erhalten. Dies könne nicht zu ihren Lasten gehen.

SG hält Verweigerung von Analo­g­leis­tungen nach Richtigstellung der Identität der Familie für ungerecht­fertigt

Vor dem Sozialgericht Mannheim hatten die Kläger zunächst Erfolg. Das Sozialgericht verurteilte das Land Baden-Württemberg, höhere Leistungen zu gewähren. Rechts­miss­bräuch­liches Verhalten in der Vergangenheit (falsche Identi­täts­angabe bei Einreise) schließe den Zugang zu den höheren Analo­g­leis­tungen nicht "auf immer und ewig" aus. Nachdem die Kläger ihr rechts­miss­bräuch­liches Verhalten schon im Jahr 2007, spätestens im Jahr 2009 aufgegeben und die Identität der Familie klar gestellt hätten, sei die Verweigerung von Analo­g­leis­tungen nicht mehr gerechtfertigt.

LSG erklärt Kläger aufgrund zahlreichen falschen Angaben für unglaubwürdig

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg bewertete dies anders, hob auf die Berufung des beklagten Landes Baden-Württemberg das erstin­sta­nzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Falsche Angaben über die Identität und Staats­an­ge­hö­rigkeit stehen nach den Entschei­dungs­gründen des Urteils auch dann als rechts­miss­bräuchliche Beeinflussung der Aufent­haltsdauer der Gewährung von sogenannten Analo­g­leis­tungen entgegen, wenn die falschen Angaben mittlerweile berichtigt worden sind und sich der Betroffene über einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik aufhält. Die Darstellung der Eheleute, sie hätten die Pässe bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2002 an ihre Schleuser übergeben, die Pässe seien dann aber später im Libanon wieder aufgetaucht, was Verwandte im Libanon erfahren hätten; diese Pässe seien von diesen im Jahr 2009 in die Bundesrepublik Deutschland gebracht und nach einiger Zeit an sie übergeben worden, ist nicht glaubhaft. Die Kläger selbst sind aufgrund ihrer zahlreichen falschen Angaben zudem unglaubwürdig. So haben sie z.B. gegenüber der Auslän­der­behörde im Jahr 2009 angegeben, sie hätten sich auf Anraten der Schleuser als Iraker ausgegeben, weil ihnen von dort erklärt worden sei, dass Iraker in kurzer Zeit in Europa ein Aufent­haltsrecht bekämen, während sie als Libanesen mit der Rückführung in den Libanon zu rechnen hätten. Die Kläger haben die falschen Angaben zur Identität und Staats­an­ge­hö­rigkeit mindestens bis in das Jahr 2007 und die falschen Angaben zum Besitz ihrer Pässe bis ins Jahr 2009 aufrecht­er­halten. Es kommt nicht darauf an, ob der Missbrauch­s­tat­bestand aktuell andauert oder die Annahme rechtfertigt, er sei noch ursächlich für den derzeitigen Aufenthalt des Ausländers. Ob die Ausreise aktuell zumutbar ist, ist ohne Bedeutung. Maßgebend ist allein der Zusammenhang zwischen der gesamten Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland und dem Fehlverhalten des Ausländers, gleichgültig, ob dieses Fehlverhalten einmalig oder auf Dauer angelegt ist bzw. war oder ob es sich wiederholt hat.

Hintergrund:

Die zentrale Norm für die Gewährung von Leistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesund­heits­pflege und Gebrauchs- und Verbrauchs­gütern des Haushalts ist § 3 AsylbLG (sogenannte Grundleistungen). Ein im Vergleich zum sonstigen Grund­si­che­rungsrecht reduzierter Leistungsumfang ist danach für eine vorübergehende Zeit - nach der damaligen Rechtslage 48 Monate, jetzt 15 Monate - zumutbar. Erst nach einer gewissen "Verfestigung" des Aufenthaltes werden nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Grund­si­che­rungs­leis­tungen auf Sozia­l­hil­fe­niveau, sog. Analo­g­leis­tungen, gewährt, aber nur, wenn die Dauer des Aufenthalts vom Ausländer nicht rechts­miss­bräuchlich selbst beeinflusst wurde.

Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz (AsylbLG)

§ 2 Absatz 1 AsylbLG in der bis 28.02.2015 gültigen Fassung:

Erläuterungen

Abweichend von den §§ 3 bis 7 ist das Zwölfte Buch Sozial­ge­setzbuch auf diejenigen Leistungs­be­rech­tigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechts­miss­bräuchlich selbst beeinflusst haben.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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