21.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil07.12.2017

Sexueller Missbrauch: Gericht spricht Vergewaltigungs­opfer nach "Deal" zugunsten des Täters im Strafverfahren Beschä­dig­tenrente zu"Deal" kann bei Gewaltopfer als weiteres trauma­ti­sie­rendes Erlebnis Gesund­heits­s­törung auslösen

Ein geset­zes­kon­former "Deal" im Strafverfahren zugunsten eines Straftäters kann für das Opfer einer Gewalttat als weiteres trauma­ti­sie­rendes Erlebnis eine Gesund­heits­s­törung auslösen, die als Folgeschaden der Tat anzuerkennen ist. Mit dieser Begründung haben die Richterinnen und Richter des Landes­sozial­gerichts Baden-Württemberg einem Vergewaltigungs­opfer eine Rente nach dem Opfer­entschädigungs­gesetz zugesprochen.

Die zum Tatzeitpunkt 31jährige Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens litt bereits seit längerer Zeit an einer psychischen Erkrankung, als sie im Oktober 2010 in Ludwigsburg nachts auf dem Heimweg von einer Gaststätte vergewaltigt wurde. Der Täter nutzte dabei einen Asthma-Anfall der Frau aus, um ihren Widerstand zu brechen. Sie litt in der Folge unter Angstzuständen und Panikattacken. Medizinische Sachverständige diagnos­ti­zierten eine posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung und einen Grad der Schädigung (GdS) von 20, was beides vom Landes­ver­sor­gungsamt auch anerkannt wurde.

Täter wird durch zulässigen "Deal" zu Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt

Der Täter legte ein Geständnis ab und wurde im April 2011 im Strafverfahren aufgrund eines rechtlich zulässigen sogenannten "Deals" wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer wider­stand­s­un­fähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Zuge und aufgrund der Erfahrungen im Strafprozess verschlechterte sich der Gesund­heits­zustand der Klägerin. Mittlerweile ist sie erwer­bs­ge­mindert und lebt in einer betreuten Wohngruppe.

Klägerin verweist auf erneute Traumatisierung durch Straf­ver­handlung

Eine Rentengewährung nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz wurde vom Landes­ver­sor­gungsamt abgelehnt, da die durch die Gewalttat verursachten Schädigungen nicht das dafür erforderliche Maß (GdS von 30) erreichten. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Frau hatte geltend gemacht, durch die Straf­ver­handlung erneut traumatisiert worden zu sein. Dass sie im Gerichts­ver­fahren nicht angehört worden sei und der Täter nach dem Deal das Gericht quasi als "freier Mann" habe verlassen können (der Täter wurde nach dem Prozess aus der Unter­su­chungshaft auf Bewährung freigelassen), habe einen Folgeschaden verursacht.

LSG bejaht Vorliegen einer Verstärkung der posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung durch demütigende Erlebnisse im Strafverfahren

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg gab der Klägerin Recht, änderte die erstin­sta­nzliche Entscheidung und verurteilte das Landes­ver­sor­gungsamt, ihr eine Beschä­dig­tenrente nach einem GdS von 30 zu zahlen, da es durch die für das Opfer demütigenden Erlebnisse im Strafverfahren zu einer Verstärkung der posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung gekommen ist, wie medizinische Sachverständige bestätigt haben. Der Deal zugunsten des Täters, der das Gericht als freier Mann verlassen konnte und die fehlende Aufarbeitung und Genugtuung für das Opfer, das im Strafverfahren nicht einmal angehört wurde, obwohl dortige Gutachter ihr Aussa­ge­fä­higkeit bescheinigt hatten, sind für die hinzugetretene Verschlech­terung des Gesund­heits­zu­stands verantwortlich, führte das Landes­so­zi­al­gericht aus. Der erforderliche Ursachen­zu­sam­menhang (Kausalität) liegt vor, denn ohne die Vergewaltigung wäre es nicht zu den sich anschließenden weiteren trauma­ti­sie­renden Erlebnissen im Strafprozess gekommen. Diese Bewertung erfolgt nach sozia­l­recht­lichen Maßstäben, losgelöst vom Strafverfahren.

Rechtsgrundlagen

§ 1 Absatz 1 Satz 1 Opferent­schä­di­gungs­gesetz:

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesund­heit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundes­ver­sor­gungs­ge­setzes.

§ 9 Absatz 1 Nr. 3 Bundes­ver­sor­gungs­gesetz (BVG)

Die Versorgung umfasst

[...]

3. Beschä­dig­tenrente (§§ 29 bis 34) und Pflegezulage (§ 35),

§ 30 Absatz 1 Sätze 1-3 BVG

Der Grad der Schädi­gungs­folgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funkti­o­ns­be­ein­träch­ti­gungen, die durch die als Schädi­gungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesund­heits­s­tö­rungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädi­gungs­folgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädi­gungs­folgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesund­heits­s­tö­rungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

§ 31 Absatz 1 BVG:

Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädi­gungs­folgen

von 30 in Höhe von 141 Euro,

[...]

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

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