18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen den Schriftzug des Landgericht München I, welcher an der Südseite des Justizpalast in München zu finden ist.

Dokument-Nr. 34348

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Landgericht München I Urteil05.09.2024

Wirecard-Vorstände zu Schadenersatz verurteiltVorstands­mit­glieder wegen fahrlässig begangener Pflicht­ver­let­zungen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet

Das Landgericht München I hat der Klage des Insol­venz­ver­walters auf Zahlung von Schadensersatz gegen drei ehemalige Vorstands­mit­glieder der Wirecard AG in Höhe von € 140 Mio. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechts­hän­gigkeit stattgegeben, die ehemaligen Vorstands­mit­glieder haften als Gesamtschuldner. Die Klage gegen ein ehemaliges Aufsichtsrats­mitglied hat die Kammer dagegen abgewiesen.

Der in diesem Zivilverfahren klagende Insol­venz­ver­walter wirft den Beklagten vor, sie hätten ihre Pflichten als Vorstands- bzw. Aufsichts­rats­mitglied bei unter­neh­me­rischen Entscheidungen verletzt. Konkret sei dies - laut Kläger - im Zusammenhang mit der Vergabe eines unbesicherten Darlehens über € 100 Mio. durch eine Tochter­ge­sell­schaft der Wirecard AG aus Mitteln der Wirecard AG an die oCap Management Pte Ltd. (O-CAP) sowie der auf Weisung der Wirecard AG erfolgten Zeichnung einer Schuld­ver­schreibung über € 100 Mio. durch eine Tochter­ge­sell­schaft geschehen. Die Beklagten gehen davon aus, ihre Pflichten nicht, jedenfalls nicht schuldhaft verletzt zu haben. Die Entscheidungen seien durch das Unter­neh­men­s­in­teresse gerechtfertigt gewesen.

Zum Schadensersatz führende Pflicht­ver­letzung: Darlehen nicht besichert

Das LG sieht dies anders. Aufgrund von § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG haben die Vorstands­mit­glieder bei ihrer Geschäfts­führung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Vorstands­mit­glieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Die Kammer bejahte eine jeweils jedenfalls fahrlässig begangene Pflichtverletzung aller drei Vorstands­mit­glieder wegen der Vergabe eines Darlehens in Höhe von € 100 Mio., das nach dem Vertragsinhalt dem Aufbau eines MCA-Geschäfts in Asien dienen sollte. Beim Merchant Cash Advanced-Geschäft (MCA) im engeren Sinn, um das es hier geht, erhält der Händler eine Art Betrie­bs­mit­tel­kredit, der dadurch zurückgezahlt wird, dass von den künftig abgewickelten Kredit­kar­ten­zah­lungen Anteile sukzessive einbehalten werden.

Die zum Schadensersatz führende Pflicht­ver­letzung sah die Kammer darin, dass dieses Darlehen nicht besichert wurde. Eine ungesicherte Kreditvergabe an einen finanzschwachen Vertragspartner wertete die Kammer als unvertretbares Risiko und als gegen die Sorgfalts­pflicht eines ordentlichen Geschäftsmanns verstoßend. Dies beruht vor allem auf in der Vergangenheit bei einem anderen Darlehen aufgelaufene Rückstände von € 2,375 Mio. sowie der Tatsache, dass infolge der vom Aufsichtsrat beauftragen Sonderprüfung durch KPMG unsicher war, ob mit dem Darlehen in engem Zusammenhang stehende Third Party Acquiring-Geschäft tatsächlich existierte. Hierfür waren angesichts des gerade auch von den Beklagten betonten strategischen Charakters des Darlehens sowohl der Vorstands­vor­sitzende als auch der Finanzvorstand nach der internen Geschäfts­ver­teilung des Vorstands der Wirecard AG unmittelbar ressort­ver­ant­wortlich. Die Produkt­vor­ständin traf zwar keine unmittelbare Ressort­ver­ant­wortung; jedoch hatte sie Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Geschäfts­führung insbesondere durch ein flüchtiges weiteres ehemaliges Vorstandsmitglied haben musste, nachdem in der Vergangenheit ein Darlehen ohne den erforderlichen vorherigen Zustim­mungs­be­schluss des Aufsichtsrates ausbezahlt worden war. Die Vorstands­mit­glieder konnten sich nach Auffassung der Kammer auch nicht darauf berufen, es habe im Zusammenhang mit einem früheren Darlehen keine Hinweise auf fehlende Liquidität der Darle­hens­nehmerin gegeben. Den Vorstands­mit­gliedern lagen keine hinreichenden Unterlagen zur Prüfung der Kapita­l­dienst­fä­higkeit vor. Andere Unterlagen in Bezug auf die Liquidität hatten immer nur im Jahr 2018 ausgereichte Darlehen über einen Gesamtumfang von € 115 Mio. zum Gegenstand.

Da auf dieses Darlehen ein Betrag von € 60 Mio. aus der Zeichnung einer Schuld­ver­schreibung getilgt wurde, entstand der Wirecard AG aus diesem Komplex ein Schaden in Höhe von € 40 Mio., nachdem die Darle­hens­nehmerin insolvent ist und keine Zahlungen zu erwarten sind. Rückzahlungen auf andere Kredite sind nicht geeignet, den Schaden zu verringern.

Weitere Pflicht­ver­letzung bei Zeichnung von Schuld­ver­schrei­bungen

Im Zusammenhang mit der Zeichnung von Schuld­ver­schrei­bungen nahm die Kammer eine zu einem Schaden in Höhe von € 100 Mio. führende fahrlässig begangene Pflicht­ver­letzung an, weil die Vorstands­mit­glieder vor der Zeichnung entgegen anwaltlichem Rat eine Financial Due Diligence zur Überprüfung der Werthaltigkeit und Existenz der verbrieften Forderungen sowie der Solvenz des Siche­rungs­gebers unterließen. Um dies beurteilen zu können, wäre indes die Durchführung einer Financial Due Diligence durch den damaligen Vorstand der Schuldnerin, die die Gelder für den Erwerb der verbrieften Forderung zur Verfügung gestellt hat, erforderlich gewesen, um dem objektivierten branchen­üb­lichen Standard zu genügen. Die Pflicht­ver­letzung ließ sich nicht mit dem Argument verneinen, der mandatierte Rechtsanwalt hätte erklärt, aus rechtlicher Hinsicht gebe es keine "Dealbreaker", weil dieser Hinweis die Prüfung der Existenz und Werthaltigkeit der Forderungen sowie der Solvenz eines Siche­rungs­gebers gerade nicht betreffe. Auch andere vorliegende Unterlagen gaben keine verlässlichen Informationen hierzu.

Da es keinen Rückfluss aus diesen Schuld­ver­schrei­bungen an die Wirecard AG gab und wegen Insolvenz des Emittenten der Schuld­ver­schreibung, dem die Wirecard AG die Mittel für die Zeichnung zur Verfügung gestellt hatte, bejahte die Kammer einen Schaden in voller Höhe.

Ehemaliges Aufsichts­rats­mitglied muss nicht zahlen

Erfolglos blieb die Klage des Wirecard-Insol­venz­ver­walters in Bezug auf den ehemaligen stell­ver­tre­tenden Aufsichts­ratschef. Dieser hafte nicht mit - auch wenn er seine Überwa­chungs­pflichten, die zentrale Aufgabe eines jeden Aufsichtsrates seien, vernachlässigt habe. Doch das LG zweifelt daran, ob eine ordnungsgemäße Überwachung etwas am Agieren der anderen Vorstände geändert hätte. Denn der Vorstand habe sich bereits in der Vergangenheit nicht an Vorgaben des Aufsichtsrates gehalten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle: Landgericht München I, ra-online (pm/ab)

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