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Landgericht München I Urteil05.09.2024
Wirecard-Vorstände zu Schadenersatz verurteiltVorstandsmitglieder wegen fahrlässig begangener Pflichtverletzungen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet
Das Landgericht München I hat der Klage des Insolvenzverwalters auf Zahlung von Schadensersatz gegen drei ehemalige Vorstandsmitglieder der Wirecard AG in Höhe von € 140 Mio. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit stattgegeben, die ehemaligen Vorstandsmitglieder haften als Gesamtschuldner. Die Klage gegen ein ehemaliges Aufsichtsratsmitglied hat die Kammer dagegen abgewiesen.
Der in diesem Zivilverfahren klagende Insolvenzverwalter wirft den Beklagten vor, sie hätten ihre Pflichten als Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglied bei unternehmerischen Entscheidungen verletzt. Konkret sei dies - laut Kläger - im Zusammenhang mit der Vergabe eines unbesicherten Darlehens über € 100 Mio. durch eine Tochtergesellschaft der Wirecard AG aus Mitteln der Wirecard AG an die oCap Management Pte Ltd. (O-CAP) sowie der auf Weisung der Wirecard AG erfolgten Zeichnung einer Schuldverschreibung über € 100 Mio. durch eine Tochtergesellschaft geschehen. Die Beklagten gehen davon aus, ihre Pflichten nicht, jedenfalls nicht schuldhaft verletzt zu haben. Die Entscheidungen seien durch das Unternehmensinteresse gerechtfertigt gewesen.
Zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung: Darlehen nicht besichert
Das LG sieht dies anders. Aufgrund von § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Die Kammer bejahte eine jeweils jedenfalls fahrlässig begangene Pflichtverletzung aller drei Vorstandsmitglieder wegen der Vergabe eines Darlehens in Höhe von € 100 Mio., das nach dem Vertragsinhalt dem Aufbau eines MCA-Geschäfts in Asien dienen sollte. Beim Merchant Cash Advanced-Geschäft (MCA) im engeren Sinn, um das es hier geht, erhält der Händler eine Art Betriebsmittelkredit, der dadurch zurückgezahlt wird, dass von den künftig abgewickelten Kreditkartenzahlungen Anteile sukzessive einbehalten werden.
Die zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung sah die Kammer darin, dass dieses Darlehen nicht besichert wurde. Eine ungesicherte Kreditvergabe an einen finanzschwachen Vertragspartner wertete die Kammer als unvertretbares Risiko und als gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmanns verstoßend. Dies beruht vor allem auf in der Vergangenheit bei einem anderen Darlehen aufgelaufene Rückstände von € 2,375 Mio. sowie der Tatsache, dass infolge der vom Aufsichtsrat beauftragen Sonderprüfung durch KPMG unsicher war, ob mit dem Darlehen in engem Zusammenhang stehende Third Party Acquiring-Geschäft tatsächlich existierte. Hierfür waren angesichts des gerade auch von den Beklagten betonten strategischen Charakters des Darlehens sowohl der Vorstandsvorsitzende als auch der Finanzvorstand nach der internen Geschäftsverteilung des Vorstands der Wirecard AG unmittelbar ressortverantwortlich. Die Produktvorständin traf zwar keine unmittelbare Ressortverantwortung; jedoch hatte sie Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsführung insbesondere durch ein flüchtiges weiteres ehemaliges Vorstandsmitglied haben musste, nachdem in der Vergangenheit ein Darlehen ohne den erforderlichen vorherigen Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrates ausbezahlt worden war. Die Vorstandsmitglieder konnten sich nach Auffassung der Kammer auch nicht darauf berufen, es habe im Zusammenhang mit einem früheren Darlehen keine Hinweise auf fehlende Liquidität der Darlehensnehmerin gegeben. Den Vorstandsmitgliedern lagen keine hinreichenden Unterlagen zur Prüfung der Kapitaldienstfähigkeit vor. Andere Unterlagen in Bezug auf die Liquidität hatten immer nur im Jahr 2018 ausgereichte Darlehen über einen Gesamtumfang von € 115 Mio. zum Gegenstand.
Da auf dieses Darlehen ein Betrag von € 60 Mio. aus der Zeichnung einer Schuldverschreibung getilgt wurde, entstand der Wirecard AG aus diesem Komplex ein Schaden in Höhe von € 40 Mio., nachdem die Darlehensnehmerin insolvent ist und keine Zahlungen zu erwarten sind. Rückzahlungen auf andere Kredite sind nicht geeignet, den Schaden zu verringern.
Weitere Pflichtverletzung bei Zeichnung von Schuldverschreibungen
Im Zusammenhang mit der Zeichnung von Schuldverschreibungen nahm die Kammer eine zu einem Schaden in Höhe von € 100 Mio. führende fahrlässig begangene Pflichtverletzung an, weil die Vorstandsmitglieder vor der Zeichnung entgegen anwaltlichem Rat eine Financial Due Diligence zur Überprüfung der Werthaltigkeit und Existenz der verbrieften Forderungen sowie der Solvenz des Sicherungsgebers unterließen. Um dies beurteilen zu können, wäre indes die Durchführung einer Financial Due Diligence durch den damaligen Vorstand der Schuldnerin, die die Gelder für den Erwerb der verbrieften Forderung zur Verfügung gestellt hat, erforderlich gewesen, um dem objektivierten branchenüblichen Standard zu genügen. Die Pflichtverletzung ließ sich nicht mit dem Argument verneinen, der mandatierte Rechtsanwalt hätte erklärt, aus rechtlicher Hinsicht gebe es keine "Dealbreaker", weil dieser Hinweis die Prüfung der Existenz und Werthaltigkeit der Forderungen sowie der Solvenz eines Sicherungsgebers gerade nicht betreffe. Auch andere vorliegende Unterlagen gaben keine verlässlichen Informationen hierzu.
Da es keinen Rückfluss aus diesen Schuldverschreibungen an die Wirecard AG gab und wegen Insolvenz des Emittenten der Schuldverschreibung, dem die Wirecard AG die Mittel für die Zeichnung zur Verfügung gestellt hatte, bejahte die Kammer einen Schaden in voller Höhe.
Ehemaliges Aufsichtsratsmitglied muss nicht zahlen
Erfolglos blieb die Klage des Wirecard-Insolvenzverwalters in Bezug auf den ehemaligen stellvertretenden Aufsichtsratschef. Dieser hafte nicht mit - auch wenn er seine Überwachungspflichten, die zentrale Aufgabe eines jeden Aufsichtsrates seien, vernachlässigt habe. Doch das LG zweifelt daran, ob eine ordnungsgemäße Überwachung etwas am Agieren der anderen Vorstände geändert hätte. Denn der Vorstand habe sich bereits in der Vergangenheit nicht an Vorgaben des Aufsichtsrates gehalten. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.09.2024
Quelle: Landgericht München I, ra-online (pm/ab)
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