21.11.2024
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Dokument-Nr. 29256

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Landgericht München I Urteil01.10.2020

Coronabedingte Betrie­bs­schließung: Versicherung muss Münchner Gastwirt entschädigenKeine Befreiung der Betriebs­schließungs­versicherung von der Leistungs­pflicht

Das Landgericht München I hat der Klage eines Gastwirts auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.014.000,00 € aufgrund der Corona-bedingten Betrie­bs­schließung gegen seine Versicherung stattgegeben.

Mitte März 2020 hatte die bayerische Staatregierung die komplette Schließung aller gastronomischen Betriebe verfügt. Der Gastwirt aus München verlangte daraufhin von seiner Betriebsschließungsversicherung einer Entschädigung i.H.v. 1.014.000 Euro.

LG: Versicherung zur Zahlung verpflichtet

Nach Ansicht des Landgerichts besteht im vorliegenden Fall eine Leistungs­pflicht der Versicherung. Das Bayerische Staats­mi­nis­terium für Gesundheit und Pflege habe ab dem 21.03.2020 den klägerischen Betrieb aufgrund des Coronavirus geschlossen. Entgegen der Ansicht der beklagten Versicherung komme es auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht an. Der Kläger habe auch nicht gegen die Anordnungen vorgehen müssen. Zudem sei es nicht erforderlich, dass das Coronavirus im Betrieb des Klägers auftrete, denn nach den Allgemeinen Versi­che­rungs­be­din­gungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes geschlossen worden sei. Dies sei der Fall gewesen, nachdem sich die Allge­mein­ver­fügung des Bayerische Staats­mi­nis­terium für Gesundheit und Pflege vom 21.03.2020 und die nachfolgende Verordnung vom 24.03.2020 ausdrücklich auf die Ermäch­ti­gungs­grundlagen in §§ 28-32 IfSG bezogen hätten.

Außer­haus­verkauf stellt keine unter­neh­me­rische Alternative dar

Der Betrieb des Klägers sei vollständig geschlossen gewesen, nachdem in der fraglichen Zeit tatsächlich kein Außer­haus­verkauf stattfand und letzterer dem Kläger auch unzumutbar gewesen sei. Nach Ansicht des Landgerichts stellt ein Außer­haus­verkauf, wenn er für den Restau­rant­betrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnah­me­ge­schäft sei, keine unter­neh­me­rische Alternative dar, auf die sich der Versi­che­rungs­nehmer verweisen lassen müsse.

Versi­che­rungs­umfang nicht auf gelistete Krankheiten beschränkt

Der Versi­che­rungs­umfang sei auch nicht durch § 1 Ziffer 2 AVB eingeschränkt, denn die Parteien hätten den Versi­che­rungs­vertrag am 04.03.2020 – mithin während der Pandemie und im Hinblick darauf – abgeschlossen. Unabhängig davon sei § 1 Ziffer 2 AVB der beklagten Versicherung intransparent und daher unwirksam. Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versi­che­rungs­nehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versi­che­rungs­schutz trotz der Klausel bestehe. Diesen Anforderungen werde § 1 Ziffer 2 AVB nicht gerecht. Denn der Versi­che­rungs­nehmer gehe auf Basis des Wortlautes von § 1 Ziff. 1 AVB davon aus, dass der Versi­che­rungs­schutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke. Er gehe aufgrund des Wortlautes und der Verweisung in § 1 Ziff. 1 AVB zudem davon aus, dass in § 1 Ziff. 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krank­heits­erreger erfolge, und nur in § 3 AVB Einschränkungen enthalten seien. Die Auflistung der Krankheiten und Krank­heits­erreger sei jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig.

Weder Kurza­r­bei­tergeld noch staatliche Corona-Liqui­di­täts­hilfen mindern Anspruch auf Entschädigung

Außerdem sei das Infek­ti­o­ns­schutz­gesetz seit dessen Einführung vor 20 Jahren bereits mehrfach geändert und um weitere Krankheiten und Erreger ergänzt worden. Dies bliebe dem Versi­che­rungs­nehmer verborgen und damit müsse er auch nicht rechnen. Um den wahren Gehalt des Versi­che­rungs­schutzes zu erfassen, müsste der Versi­che­rungs­nehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziff. 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent. Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung seien weder Kurza­r­bei­tergeld noch staatliche Corona-Liqui­di­täts­hilfen anspruchs­mindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schaden­s­er­satz­zah­lungen gerade für Betrie­bs­schlie­ßungen handele.

Quelle: Landgericht München I, ra-online (pm/ab)

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