21.11.2024
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Landgericht Koblenz Urteil24.03.2006

Arzt muss 100.000,- EUR Schmerzensgeld zahlen - Patient ist nahezu erblindetGrober ärztlicher Behand­lungs­fehler

Ein Patient verlor aufgrund eines Behand­lungs­fehlers fast vollständig die Sehkraft auf beiden Augen. Das Landgericht Koblenz sprach hierfür ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,- EUR zu.

Der 53 Jahre alte Kläger begab sich im Juni 2002 wegen Sehstörungen in die augenärztliche Behandlung des Beklagten. Dieser untersuchte den Kläger, dokumentierte, dass der Kläger an Diabetes leidet und verordnete ihm eine Brille.

Die Beschwerden des Klägers verstärkten sich in der Folgezeit, so dass er den Beklagten im Juli und September 2002 erneut aufsuchte. Der Beklagte überwies ihn zum Ausschluss einer diabetischen Neuropathie an einen Neurologen. Am 19.09.2002 erfolgte eine Eilüberweisung an die Augenklinik des Univer­si­täts­kli­nikums Bonn wegen des Verdachts auf diabetische Retinopathie (Netzhau­t­er­krankung mit Netzhaut­blu­tungen, Netzhautödem mit Sehschär­fe­verlust und Gefäß­neu­bil­dungen auf und vor der Netzhaut). Dort wurde eine proliferative diabetische Retinopathie diagnostiziert und sofort mit Laser­flä­chen­ko­agu­la­tionen und Retino­kryo­ko­agu­la­tionen (therapeutische Maßnahme zur Blutungs­stillung) behandelt. Trotz dieser Behandlung trat bei dem Kläger eine ausgeprägte Sehschär­fen­min­derung an beiden Augen ein. Mit dem rechten Auge kann der Kläger noch die Finger einer Hand erkennen, mit dem linken Auge lediglich Handbewegungen wahrnehmen, hinzu kommt eine ausgeprägte Einschränkung des Gesichtsfeldes. Der Kläger ist infolge seiner Sehbehinderung auf beiden Augen zu 100 % schwer behindert.

Das in einem selbständigen Beweisverfahren eingeholte medizinische Sachver­stän­di­gen­gut­achten kam zum Ergebnis, dass bereits bei der Erstvorstellung des Klägers bei dem Beklagten sehr wahrscheinlich bereits eine diabetische Retinopathie vorgelegen habe und aufgrund der dokumentierten Patien­ten­angaben eine zeitnahe Untersuchung des Augen­hin­ter­grundes unbedingt hätte erfolgen müssen. Trotz dieser gutachterlichen Feststellungen erfolgte eine Schadens­re­gu­lierung durch die Haftpflicht­ver­si­cherung des Beklagten nicht, so dass der Kläger seine Ansprüche auf Schmerzensgeld in Höhe von 150.000.- EUR und einer monatlichen Schmer­zens­geldrente von 500.- EUR auf dem Klagewege verfolgte. Nach Vorlage des Gutachtens im Prozess erkannte die Haftpflicht­ver­si­cherung die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach an und zahlte am 06.07.2005 einen Abschlag in Höhe von 40.000.- Euro.

Das Landgericht Koblenz verurteilte den Beklagten nun zur Zahlung von 100.000.- EUR abzüglich der bereits gezahlten 40.000.- Euro und stellte fest, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und zukünftigen immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem infolge der fehlerhaften augenärztlichen Behandlung entstanden sind oder noch entstehen werden. Bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes berücksichtigte die Kammer die Schwere der immateriellen Schäden, das Verschulden des Arztes sowie die Vermö­gens­ver­hältnisse der Beteiligten und insbesondere auch das Bestehen einer Haftpflicht­ver­si­cherung. Die verspätete Diagnose der diabetischen Retinopathie habe die Chancen auf einen bestmöglichen Sehschär­feerhalt wesentlich gemindert. Der fast vollständige Verlust der Sehkraft auf beiden Augen führe sowohl im privaten, als auch im beruflichen Bereich zu erheblichen Beein­träch­ti­gungen und psychischen Belastungen, da der Kläger umfassend auf Hilfe angewiesen und auch in seiner Freizeit­ge­staltung erheblich eingeschränkt sei. Schmer­zens­gel­der­höhend sei unter dem Gesichtspunkt der Genug­tu­ungs­funktion des Schmer­zens­geldes darüber hinaus zu berücksichtigen, dass es sich bei der verspäteten Diagno­se­stellung um einen groben Behandlungsfehler gehandelt habe. Zum anderen sei aber insbesondere das völlig uneinsichtige Verhalten des Beklagten das den Kläger erheblich belastet habe, durch ein erhöhtes Schmerzensgeld zu kompensieren gewesen. Es sei der Kammer völlig unverständlich, dass der Beklagte bzw. die hinter ihm stehende Haftpflicht­ver­si­cherung auch nach Vorliegen des Sachver­stän­di­gen­gut­achtens weiterhin die Einstands­pflicht verneint und so das für den Kläger belastende Klageverfahren erforderlich gemacht habe. Der Beklagte habe damit die gebotene zeitnahe Entschädigung zumindest teilweise unangemessen hinausgezögert.

Siehe zur Höhe des Schmer­zens­geldes beim Verlust der Sehkraft auch, LG Osnabrück, Urt. v. 21.02.2005: 100.000,- € Schmerzensgeld nach Verlust eines Auges wegen vorsätzlichem Schlag mit einem Bierglas

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des LG Koblenz vom 19.07.2006

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