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Landgericht Freiburg Urteil15.10.2018
Hersteller von Hüftprothesen zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteiltRisikopotential des neuen Prothesentyps war erkennbar
Das Landgericht Freiburg hat zwei Patienten, denen im Jahr 2005 Hüftprothesen eines international tätigen Medizinprodukteherstellers implantiert worden waren, Schmerzensgeld in Höhe von jeweils 25.000 Euro zugesprochen. Nach Überzeugung des Gerichts wiesen die Hüftprothesen einen Produktfehler auf, für den die schweizerische Muttergesellschaft als Herstellerin und die deutsche Tochtergesellschaft (die die Prothese in Deutschland vertrieben hatte) einstehen müssen.
Die beiden Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens litten an einer schmerzhaften Hüftgelenksarthrose und entschlossen sich deshalb auf Anraten ihrer Ärzte im Jahr 2005, sich mit einer Hüftprothese versorgen zu lassen. Ausgewählt wurde ein damals neuartiger, erst seit 2003 in Deutschland vertriebener Prothesentyp, der mehrere Besonderheiten aufwies. So waren sowohl der Hüftkopf als auch die Hüftpfanne aus Metall gefertigt und wiesen einen besonders großen Durchmesser auf. Außerdem wurde der Hüftkopf nicht direkt mit dem im Oberschenkelknochen befestigten Prothesenschaft verbunden, sondern auf einen Konusadapter gesteckt, der seinerseits auf den Prothesenschaft aufgeschlagen wurde (Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese).
Implantate aufgrund anhaltender Hüftschmerzen wieder entfernt
Da beide Kläger in den folgenden Jahren an Hüftschmerzen litten, wurden die Implantate 2009 bzw. 2010 entfernt. Es zeigten sich in beiden Fällen Osteolysen (Knochenauflösungen) am Oberschenkelknochen sowie schwärzlicher Metallabrieb im Bereich des Prothesenschaftes. Das umliegende Gewebe wies Spuren von Chrom und Kobalt, in einem der Fälle auch von Titan auf.
Prothesentyp weist Konstruktionsfehler auf
Das Landgericht Freiburg stellt nach einer umfangreichen Beweisaufnahme, in der unter anderem drei Sachverständige aus den Bereichen der Orthopädie und der Biomechanik Gutachten erstattet hatten, fest, dass die Schmerzzustände der Kläger und die Notwendigkeit des Prothesenwechsels darauf zurückzuführen sind, dass der damals neuartige Prothesentyp der Beklagten, der heute nicht mehr vertrieben wird, einen Konstruktionsfehler aufweist. Es kam zu erhöhtem Metallabrieb insbesondere im Bereich der Konussteckverbindung. Die Freisetzung von Metallpartikeln und Metallionen im menschlichen Körper führte dann zu Entzündungen und Knochenverlust bei den Klägern. Von besonderer Bedeutung für die Stabilität der Konussteckverbindung ist zudem die Kraft, mit der die Prothesenteile während der Operationen ineinander geschlagen werden. Bei diesem Prothesentyp wird eine sichere Verbindung allerdings erst durch Kräfte bewirkt, die so hoch sind, dass der Operateur sie nicht stets gewährleisten kann. Außerdem hatten die Beklagten in der Operationsanweisung nicht in der nötigen Weise darauf hingewiesen, dass die Steckverbindung besonders stark zusammengefügt werden muss.
Hersteller hätte aufgrund bekannter Risiken vor Implantationen weitere Tests mit neuem Prothesentyp durchführen müssen
Das Gericht hat sich durch eine umfangreiche Auswertung der medizinischen Studienlage des Jahres 2005 außerdem davon überzeugt, dass die Beklagten zum damaligen Zeitpunkt über alle Erkenntnisse verfügt haben, die nötig waren, um das Risikopotential des neuen Prothesentyps zu erkennen. Zwar haben einzelne der durch das Gericht angehörten Sachverständigen diese Frage anders beurteilt und darauf hingewiesen, dass es bisher nicht gelungen ist, wissenschaftlich aufzudecken, wie genau der Prozess der Schadensentstehung verläuft und warum manche Prothesen funktionieren, während andere ausgetauscht werden müssen. Auf solche naturwissenschaftlichen Nachweislücken komme es für die Frage der Produkthaftung aber nicht an. Die Beklagten konnten und mussten nach dem damaligen Stand der Wissenschaft erkennen, dass mehrere der in dem neuen Prothesentyp verknüpften Designänderungen (große Durchmesser, Metall-Gleitpaarung, modulare Steckverbindung) Risiken bargen. In dieser Situation wäre es geboten gewesen, weitere Tests durchzuführen, bevor Patienten mit der Prothese in Berührung gebracht werden.
Beklagte bereits zuvor wegen Produktfehler verurteilt
Bereits im Jahre 2017 war die Herstellerin der Prothesen in einem ähnlich gelagerten Fall durch eine andere Kammer des Landgerichts zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt worden (vgl. Landgericht Freiburg, Urteil v. 24.02.2017 - 6 O 359/10 -).
§§ 1 und 3 des Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte - Produkthaftungsgesetz lauten:
§ 1
(1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 2 Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
(2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn
[...]
5.der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.
[...]
§ 3 Fehler
(1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere
a) seiner Darbietung,
b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde,
berechtigterweise erwartet werden kann.
(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.10.2018
Quelle: Landgericht Freiburg/ra-online
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