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Landgericht Frankfurt am Main Urteil03.12.2020
Obligatorische Angabe von „Herr“ oder „Frau“ verletzt Person mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in ihrem allgemeinen PersönlichkeitsrechtGeschlechtsneutrale Anrede muss zur Wahl stehen
Das LG Frankfurt hat entschieden, dass die obligatorische Angabe von "Herr" oder "Frau" eine Person mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Die Beklagte ist die Vertriebstochter eines deutschlandweit tätigen Eisenbahnkonzerns. Bei der Buchung einer Fahrkarte über deren Internetauftritt muss der Kunde die Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen. Eine geschlechtsneutrale Anrede ist nicht verfügbar. Die Auswahl kann nicht
offengelassen werden. Auch die Registrierung als Kunde erfordert die Festlegung als „Herr“ oder „Frau“. Zuschriften der Beklagten enthalten ebenfalls eine dieser beiden Anredeformen. Die klagende Person wurde nach dem Kauf einer Rabattkarte in einer Rechnung als „Herr“ angesprochen.
Wahl der geschlechtsneutrale Anrede muss gegeben sein
Das Gericht gab der Klage heute teilweise statt. Die klagende Person könne von dem beklagten Eisenbahnunternehmen verlangen, bei der Nutzung seiner Angebote nicht zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ angeben zu müssen. Es müsse die Wahl einer geschlechtsneutralen Anrede bestehen. Auch in der Kommunikation mit der klagenden Person und bei der Speicherung ihrer Daten sei eine Bezeichnung als „Herr“ oder „Frau“ zu unterlassen. Durch die notwendige Festlegung als „Herr“ oder „Frau“ werde die klagende Person in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dieses Recht schütze auch die geschlechtliche Identität. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelte das unabhängig davon, ob die Person dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden könne oder nicht. „Für das Auftreten in einer bestimmten Geschlechtsidentität ist nach allgemeinem Verständnis die Anredeform von zentraler Bedeutung“, erklärte die Kammer. Um die Dienstleistungen des beklagten Eisenbahnunternehmens zu nutzen, sei das Geschlecht des Kunden völlig irrelevant. Die Beklagte könne daher eine andere Grußformel, etwa „Guten Tag“, schaffen oder auf eine geschlechtsspezifische Anrede gänzlich verzichten.
Schutz des Persönlichkeitsrecht bei nicht-binären Personen bereits vor Personenstandsänderung
Unerheblich sei, dass die klagende Person keine Änderung im Personenstandsregister
veranlasst habe und bei dem Standesamt nicht die Eintragung diversen Geschlechts erfolgt sei. „Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beginnt für Personen nicht-binären Geschlechts nicht erst mit erfolgter Personenstandsänderung“, so die Richterinnen und Richter. Das Recht auf eine der geschlechtlichen Identität entsprechenden Anrede bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits bei gefühlter Geschlechtsidentität.
Voraussetzung für Anspruch auf Geldentschädigung nicht erfüllt
Den weiteren Antrag der klagenden Partei auf Entschädigung in Geld wies das Gericht hingegen ab. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht gegeben. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung sei auch nicht derart schwer-wiegend, dass sie eine Geldentschädigung erfordere. Das Verschulden der Beklagten sei gering: Die Anrede als „Herr“ in einem einzelnen Rechnungsschreiben sei nicht böswillig erfolgt, sondern nur Reflex massenhafter Abwicklung standardisierter Vorgänge.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.12.2020
Quelle: Landgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/aw)
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