24.11.2024
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Landgericht Frankfurt am Main Urteil05.10.2006

Im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens darf namentlich über einen verurteilten Straftäter berichtet werdenNeuer, aktueller Anlass rechtfertigt identifizierte Presse­be­rich­t­er­stattung

Über einen Straftäter, der einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt hat, darf die Presse namentlich berichten. Ein solcher Antrag stellt einen neuen, aktuellen Anlass dar über den Täter zu schreiben. Dies gilt erst recht, wenn der Straftäter sich an Journalisten gewandt hat und deren Berich­t­er­stattung lobt. Dies hat das Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen zweier einstweiliger Verfü­gungs­ver­fahren (siehe auch Paral­le­l­ent­scheidung, Az. 2-03 O 305/06) entschieden.

Die 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilten Verfü­gungs­kläger machen jeweils Unter­las­sungs­ansprüche wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts geltend. Die Verfü­gungs­be­klagten, die jeweils Online-Ausgaben von deutschen Tageszeitungen verantworten, haben über 10 Jahre nach der Verurteilung der Verfü­gungs­kläger jeweils unter Namensnennung über diese berichtet. Hier wurde über einen vom Verfü­gungs­kläger früher gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens berichtet.

Die Online-Berich­t­er­stattung im Zusammenhang mit dem beantragten Wieder­auf­nah­me­ver­fahren des Verfü­gungs­klägers hat die Kammer unter Aufhebung ihrer einstweiligen Verfügung vom 02.06.2006 den Antrag, der Beklagten eine identi­fi­zierende Berichterstattung und Bildver­öf­fent­lichung im Zusammenhang mit dem Mord an Sedlmayr zu untersagen, zurückgewiesen.

Zur Begründung führt sie aus, dass eine öffentliche Berich­t­er­stattung über einen in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung und Abbildung dessen Persön­lich­keitsrecht erheblich beeinträchtige und die Ausstrah­lungs­wirkung des verfas­sungs­recht­lichen Schutzes der Persönlichkeit es deshalb nicht zulasse, dass sich die Medien über die aktuelle Berich­t­er­stattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters befassten. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten komme deshalb nur im Rahmen der aktuellen Berich­t­er­stattung - also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren - genereller Vorrang zu. Mit forts­chrei­tender zeitlicher Distanz trete dagegen das Interesse und Infor­ma­ti­o­ns­be­dürfnis der Öffentlichkeit, über diesen Fall unter Abbildung und namentlicher Erwähnung unterrichtet zu werden, immer weiter zurück, während das Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Anony­mi­täts­in­teresses und des Rehabi­li­ta­ti­o­ns­in­teresses zunehmend an Bedeutung gewinne. Etwas anderes gelte dann, wenn es einen neuen, aktuellen Anlass für die zu beurteilende Berich­t­er­stattung gebe. Einen solch aktuellen Anlass hat die Kammer im Zusammenhang mit dem beantragten Wieder­auf­nah­me­ver­fahren bejaht und eine Berich­t­er­stattung unter Namensnennung und Abbildung insoweit für zulässig erachtet. Verneint hat die Kammer einen solchen Anlass dagegen im Fall der Berich­t­er­stattung im Zusammenhang mit der vorzeitigen Haftentlassung.

Die Kammer führt in ihrer Entscheidung aus:

"Für die hier zu beurteilende (Bild-)Berich­t­er­stattung vom 25.10.2004 bzw. vom 11.04.2005 gab es jeweils einen neuen, aktuellen Anlass. Nachdem der Kläger (...) 1997 einen ersten Wieder­auf­nah­meantrag gestellt hatte, folgte im Juli 2004 ein erneuter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens durch ihn, gestützt auf neue Beweise.

Offen bleiben kann, ob ein Antrag auf Wiederaufnahme eines Strafprozesses schon allein deshalb eine erneute Berich­t­er­stattung über den wegen der Tat Verurteilten rechtfertigt, weil die Wiederaufnahme von diesem selbst ausgeht, weil ihr grundsätzlich neue Erkenntnisse zugrunde liegen müssen und weil die verfolgte Abänderung der rechtskräftigen Verurteilung sich zugunsten des Betroffenen auswirken würde.

Denn im vorliegenden Fall kann nicht unberück­sichtigt bleiben, dass der Kläger sich selbst mit seinen beiden Schreiben an den in der Sache bei der X-Zeitung zuständigen Journalisten H. vom August bzw. November 2004 gewandt hat, um ihm Unterlagen aus dem Wieder­auf­nah­me­ver­fahren und Informationen zur Verfügung zu stellen. In diesen Schreiben hat er ausdrücklich die Berich­t­er­stattung in der X-Zeitung gelobt und den Journalisten zu weiterer Berich­t­er­stattung aufgefordert, indem dieser die „Öffentlichkeit objektiv informiere“.

Vor diesem tatsächlichen Hintergrund hält die Kammer die angegriffene Online-Berich­t­er­stattung vom 25.10.2004 (...) unter voller Namensnennung und Bildver­öf­fent­lichung des Klägers für zulässig. Zum Zeitpunkt dieser Veröf­fent­lichung stand eine vorzeitige Haftentlassung des Klägers noch nicht bevor. Dem Resozi­a­li­sie­rungs­in­teresse des Klägers kam deshalb noch kein die Pressefreiheit und das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit überwiegendes Gewicht zu.

Das Persön­lich­keitsrecht des Klägers ist auch nicht dadurch verletzt, dass die Artikel aus den Jahren 2004/2005 unter voller Namensnennung noch im Mai 2006 im Internet abrufbar waren. Der Beklagten oblag nicht die Pflicht, die damals rechtmäßig ins Netz gestellten Berichte zu entfernen oder so zu verändern, dass eine namentliche Identifizierung des Antragstellers nicht mehr möglich gewesen wäre. Dies gilt auch bezüglich der Bildver­öf­fent­lichung (...). Die Beklagte trifft nicht die Verpflichtung, ihre Archive ständig daraufhin zu kontrollieren, ob ggf. ein sich im Archiv befindlicher Beitrag entfernt oder geändert werden müsste. Insofern besteht kein Unterschied zu einem Archiv, das Printmedien aufbewahrt. Eine derartige Kontrollpflicht würde die öffentliche Aufgabe, die der Presse im Hinblick auf die Information der Öffentlichkeit über aktuelle Ereignisse zukommt, über Gebühr beeinträchtigen. Sie würde zudem (...) dem Infor­ma­ti­o­ns­be­dürfnis der Öffentlichkeit zuwiderlaufen, das auch eine Recherche nach Berichten aus vergangenen Zeiten umfasst."

Siehe auch die Entscheidung in der Paral­le­l­ent­scheidung, LG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.10.2006 - 2-03 O 305/06.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/06 des LG Frankfurt am Main

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