21.11.2024
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Dokument-Nr. 3163

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Landgericht Frankfurt am Main Urteil05.10.2006

Presse darf einen verurteilten Straftäter anlässlich der vorzeitigen Haftentlassung nicht namentlich nennenIdentifizierte Presse­be­rich­t­er­stattung verletzt das allgemeine Persön­lich­keits­rechts eines verurteilten Straftäters

Eine Presse­be­rich­t­er­stattung unter Namensnennung und Abbildung eines bereits vor längerer Zeit verurteilten Straftäters verletzt dessen allgemeines Persön­lich­keitsrecht, wenn für die Berich­t­er­stattung kein neuer aktueller Anlass besteht. Dies hat das Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen zweier einstweiliger Verfü­gungs­ver­fahren (siehe auch Paral­le­l­ent­scheidung, Az. 2-03 O 358/06) entschieden. Das Persön­lich­keitsrecht tritt nur bei aktueller Berich­t­er­stattung hinter dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse zurück. Die Haftentlassung ist kein aktueller Anlass, um einen Straftäter namentlich in der Berich­t­er­stattung zu nennen.

Die 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilten Verfü­gungs­kläger machen jeweils Unter­las­sungs­ansprüche wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts geltend. Die Verfü­gungs­be­klagten, die jeweils Online-Ausgaben von deutschen Tageszeitungen verantworten, haben über 10 Jahre nach der Verurteilung der Verfü­gungs­kläger jeweils unter Namensnennung über diese berichtet. Hier wurde über den Verfü­gungs­kläger aus Anlass einer Gericht­s­ent­scheidung betreffend dessen vorzeitige Haftentlassung berichtet.

Die Kammer ihre einstweilige Verfügung vom 23.05.2006 aufrecht­er­halten und es der Beklagten untersagt, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr in identi­fi­zie­render Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu berichten.

Zur Begründung führt sie aus, dass eine öffentliche Berichterstattung über einen in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung und Abbildung dessen Persön­lich­keitsrecht erheblich beeinträchtige und die Ausstrah­lungs­wirkung des verfas­sungs­recht­lichen Schutzes der Persönlichkeit es deshalb nicht zulasse, dass sich die Medien über die aktuelle Berich­t­er­stattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters befassten. Dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten komme deshalb nur im Rahmen der aktuellen Berich­t­er­stattung - also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren - genereller Vorrang zu. Mit forts­chrei­tender zeitlicher Distanz trete dagegen das Interesse und Infor­ma­ti­o­ns­be­dürfnis der Öffentlichkeit, über diesen Fall unter Abbildung und namentlicher Erwähnung unterrichtet zu werden, immer weiter zurück, während das Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Anony­mi­täts­in­teresses und des Rehabi­li­ta­ti­o­ns­in­teresses zunehmend an Bedeutung gewinne. Etwas anderes gelte dann, wenn es einen neuen, aktuellen Anlass für die zu beurteilende Berich­t­er­stattung gebe. Einen solch aktuellen Anlass hat die Kammer im Zusammenhang mit dem beantragten Wieder­auf­nah­me­ver­fahren bejaht und eine Berich­t­er­stattung unter Namensnennung und Abbildung insoweit für zulässig erachtet. Verneint hat die Kammer einen solchen Anlass dagegen im Fall der Berich­t­er­stattung im Zusammenhang mit der vorzeitigen Haftentlassung.

Die Kammer führt in ihrer Entscheidung aus:

"Eine öffentliche Berich­t­er­stattung über einen in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung beeinträchtigt dessen Persön­lich­keitsrecht erheblich, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums, insbesondere bei grausamen Taten, negativ qualifiziert wird. Die Ausstrah­lungs­wirkung des verfas­sungs­recht­lichen Schutzes der Persönlichkeit lässt es deshalb nicht zu, dass die Medien sich über die aktuelle Berich­t­er­stattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses sein Recht, „allein gelassen zu werden“ zunehmende Bedeutung und setzt den Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, Straftat und –täter zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. (...) Dem Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten kommt deshalb nur im Rahmen der aktuellen Berich­t­er­stattung, also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren, genereller Vorrang zu. Mit forts­chrei­tender zeitlicher Distanz tritt dagegen das Interesse und Infor­ma­ti­o­ns­be­dürfnis der Öffentlichkeit, über diesen Fall unter Abbildung und namentlicher Erwähnung unterrichtet zu werden, immer weiter zurück, während das Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Anony­mi­täts­in­teresses und des Rehabi­li­ta­ti­o­ns­in­teresses zunehmend an Bedeutung gewinnt (...). Die Nennung des Namens eines Straftäters in der Presse­be­rich­t­er­stattung über seine früheren Straftaten verletzt daher das allgemeine Persön­lich­keitsrecht und ist nach der Güterabwägung im Einzelfall wegen des seit der Verurteilung verstrichenen Zeitraumes trotz der Schwere der Tat nicht gerechtfertigt, wenn für die Berich­t­er­stattung kein aktueller Anlass besteht (...).

Für die hier zu beurteilende Berich­t­er­stattung gab es keinen neuen, aktuellen Anlass (...).

Ein aktueller Anlass für eine identi­fi­zierende Berich­t­er­stattung über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr besteht nicht bereits angesichts der in Aussicht gestellten Entscheidung des Landgerichts Marburg betreffend dessen vorzeitige Haftentlassung. Angesichts der zeitlichen Distanz zur Straftat und Verurteilung, welche seinerzeit das zeitge­schichtliche Ereignis begründete, durch welches der Kläger zur relativen Person der Zeitgeschichte wurde, kann bei der gebotenen Güter- und Inter­es­se­n­ab­wägung einem etwaigen Publi­ka­ti­o­ns­in­teresse kein Vorrang vor dem Persön­lich­keits­schutz des Klägers zuerkannt werden. Besonderes Gewicht kommt dabei im Hinblick auf den konkret anstehenden Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers der durch eine Publikation und Namensnennung drohenden Gefährdung seines Rechts auf Anonymität und Resozi­a­li­sierung zu."

Anders entschied das Landgericht Frankfurt am Main im Verfü­gungs­ver­fahren des zweiten Straftäters, siehe dazu das Urteil in der Paral­le­l­ent­scheidung: Im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens darf namentlich über einen verurteilten Straftäter berichtet werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/06 des LG Frankfurt am Main

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