15.11.2024
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Dokument-Nr. 3425

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Beschluss29.11.2006Landgericht Düsseldorf
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Landgericht Düsseldorf Beschluss29.11.2006

"Mannesmann-Verfahren" gegen Millionen-Auflagen vorläufig eingestelltAngeklagte müssen 6 Mio € Geldauflagen zahlen

Das Landgericht Düsseldorf hat das sogenannte "Mannesmann-Verfahren" vorläufig eingestellt (§ 153 a Abs. 1 und 2 StPO) und ist damit den Einstel­lungs­an­trägen der sechs Angeklagten, denen zuvor bereits die Staats­an­walt­schaft Düsseldorf zugestimmt hatte, gefolgt.

Die Wirtschaftss­traf­kammer hat die vorläufige Einstellung mit der Auflage verbunden, dass der Angeklagte Prof. Dr. Dr. Funk 1, Mio. €, der Angeklagte Zwickel 60.000 €, der Angeklagte Ladberg 12.500 €, der Angeklagte Dr. Esser 1,5 Mio. €, der Angeklagte Dr. Ackermann 3,2 Mio. € und der Angeklagte Dr. Droste 30.000 € zahlt. Die Zahlungen sollen zu 60 % der Staatskasse und im Übrigen gemeinnützigen Einrichtungen zufließen.

Zur Begründung der Entscheidung hat die 10. große Wirtschaftss­traf­kammer in ihrem Beschluss u.a. ausgeführt:

"Nach § 153 a Abs. 1, 2 StPO kann das Gericht mit Zustimmung der Staats­an­walt­schaft und der Angeklagten bei einem Vergehen das Verfahren vorläufig einstellen und den Angeklagten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Die für eine vorläufige Einstellung erforderlichen Zustimmungen liegen vor. Den Angeklagten wird auch (lediglich) vorgeworfen, Vergehen begangen zu haben, also solche Straftaten, für deren Grundtatbestand das Gesetz eine Mindeststrafe unter einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe vorsieht (§ 12 StGB).

Der Kammer erscheinen die den Angeklagten auferlegten Zahlungen ferner geeignet, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen.

Die diesem Strafverfahren zugrunde liegenden Taten sollen vor weit mehr als sechs Jahren begangen worden sein. Es ist nicht zu übersehen, dass die - sämtlich nicht vorbestraften - Angeklagten durch das Strafverfahren an sich und das überragende öffentliche Interesse im Besonderen über einen langen Zeitraum hinweg einer überdurch­schnitt­lichen Belastung ausgesetzt sind. Dies gilt namentlich für den Angeklagten Ladberg, gegen den Tatvorwürfe nur im Zusammenhang mit der Abgeltung der Alter­na­tiv­pen­sionen erhoben werden.

Für die Kammer ist ferner entscheidend, dass bedeutsame - über das vorliegende Strafverfahren hinaus relevante - Rechtsfragen durch das Urteil des Bundes­ge­richtshofs vom 21. Dezember 2005 beantwortet worden sind.

Die Bedeutung dieses Urteils, insbesondere für die objektiv bestehenden Pflichten von Aufsichts­rats­mit­gliedern bei der Betreuung des ihnen anvertrauten fremden Vermögens, wird durch die vorliegende Entscheidung in keiner Weise in Frage gestellt. Die bisherige Beweisaufnahme hat indes bestätigt, dass Anfang des Jahres 2000, als die Taten begangen worden sein sollen, zahlreiche Rechtsfragen, die für das vorliegende Verfahren relevant sind, ungeklärt waren. Die Bandbreite der Auffassungen ernst zu nehmender Juristen zur Zulässigkeit der Handlungsweise der Angeklagten war - und ist immer noch - groß. Die bisherige Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass keiner der von der Mannesmann AG zu Rate gezogenen Juristen und Wirtschafts­prüfer den konkreten Rat gegeben hat, auf die Zuwendungen gänzlich zu verzichten. Überdies hatte der zuständige Abtei­lungs­leiter der Staats­an­walt­schaft die Zuwendung einer Anerken­nungs­prämie an den Angeklagten Dr. Esser - noch vor deren Auszahlung - auf eine Strafanzeige hin überprüft, für zulässig und der Höhe nach für unbedenklich angesehen.

Gerade diese Umstände sind ein maßgeblicher Grund dafür, dass die Schwere der (möglichen) Schuld der Angeklagten einer vorläufigen Verfah­ren­s­ein­stellung nicht entgegen steht.

Bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses an einer weiteren Strafverfolgung ist überdies zu berücksichtigen, dass ungeachtet der richtung­wei­senden Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs tatsächliche und rechtliche Fragen offen geblieben sind, deren rechtskräftige Klärung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ersichtlich nicht möglich wäre. Insofern ist anerkannt, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und die mögliche Schuld der Angeklagten mit zunehmender Verfahrensdauer geringer werden. Die Hinzuziehung einer Ergän­zungs­richterin und zweier Ergän­zungs­schöffen, die Terminierung vorläufig bis Ende Februar 2007 und die Beauftragung eines Sachver­ständigen für die versi­che­rungs­ma­the­ma­tischen Grundsätze der betrieblichen Alters­ver­sorgung mögen verdeutlichen, dass die Kammer der Klärung der noch offen gebliebenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu keinem Zeitpunkt ausweichen wollte. Die Angeklagten und die Staats­an­walt­schaft haben durch ihre Anträge in der Haupt­ver­handlung vom 24. November 2006 indes deutlich gemacht, dass sie auf eine endgültige Klärung über Schuld oder Unschuld verzichten. Der Kammer ist bewusst, dass sie an diese Anträge nicht gebunden ist. Sie hält unter den gegebenen Umständen in Übereinstimmung mit der Staats­an­walt­schaft eine endgültige Klärung der offen gebliebenen Fragen dieses Falles im Interesse der Öffentlichkeit letztlich deshalb nicht für zwingend geboten, weil es sich dabei ganz überwiegend um solche Fragen handelt, die über den vorliegenden Fall hinaus nicht von allgemeiner Bedeutung sind. Nach dem Urteil des Bundes­ge­richtshofs vom 21. Dezember 2005 handelt es sich im Wesentlichen um Fragen des subjektiven Tatbestandes sowie um den Komplex der Abfindung der Alter­na­tiv­pen­sionen. Angesichts der außer­ge­wöhn­lichen Regelung der Alter­na­tiv­pen­sionen bei der Mannesmann AG wären insoweit durch die weitere Durchführung des Strafverfahrens keine Erkenntnisse zu erwarten, die von allgemeiner Bedeutung sind.

Auf die Beweisanträge der Angeklagten hin wären zwar weitere durchaus allgemein interessierende tatsächliche und rechtliche Fragen, namentlich zur Vertrags­grundlage, der Anreizwirkung und der Frage, ob aus konzern­recht­licher Sicht tatsächlich ein Schaden entstanden ist, zu klären gewesen. Für das nach § 153 a StPO maßgebliche öffentliche Interesse an der weiteren Strafverfolgung lässt sich daraus aber nichts herleiten. Denn das öffentliche Interesse an der weiteren Strafverfolgung ist vom öffentlichen Interesse an der Klärung allgemein inter­es­sie­render Rechtsfragen deutlich zu unterscheiden.

Die Höhe der den einzelnen Angeklagten auferlegten Zahlungen berücksichtigt namentlich ihre unter­schied­lichen Einkommens- und Vermö­gens­ver­hältnisse, die Unter­schied­lichkeit der Zahl und der Schwere der ihnen vorgeworfenen Taten und die unter­schied­lichen Betei­li­gungs­formen, die den Angeklagten zur Last gelegt werden.

Die Kammer ist sich bewusst, dass die Höhe der Auflagen nicht die Beträge erreicht, die einzelnen Angeklagten zugeflossen sind. Die Kammer hält dies vor allem deshalb für gerechtfertigt, weil die Vodafone plc, die im Zeitpunkt der Zahlungen die bei weitem überwiegende Zahl der Aktien der Mannesmann AG hielt, sich mit den Zuwendungen einverstanden erklärt hatte. Lediglich etwa 2 % der Aktien wurden im Zeitpunkt der Zahlungen nicht von der Vodafone plc gehalten.

Die Höhe der dem Angeklagten Dr. Ackermann auferlegten Zahlung mag gemessen an seinen außerordentlich guten Einkom­mens­ver­hält­nissen als gering erscheinen. Insoweit konnte die Kammer - auch wenn sich der Angeklagte Dr. Ackermann hierauf nicht berufen hat - nicht unberück­sichtigt lassen, dass gegen ihn als Gesamt­geldstrafe maximal 720 Tagessätze zu je 5.000,- € (§§ 40 Abs. 2 S. 2, 54 Abs. 2 StGB), also insgesamt 3,6 Millionen €, hätten verhängt werden dürfen. Die Begrenzung des einzelnen Tagessatzes auf maximal 5.000,- € mag angesichts der heute erzielten Spitzen­ver­dienste unverständlich erscheinen; sie ist aber geltendes Recht. Die genannten Vorschriften sind für die Bemessung der Geldauflage zwar nicht unmittelbar verbindlich; ihre mittelbare Bedeutung folgt hier aber daraus, dass eine Geldauflage nach § 153 a Abs. 2 S. 2 StPO in einem angemessenen Verhältnis zu der Sanktion stehen muss, die bei einer Verurteilung zu erwarten gewesen wäre.

Die Kammer übersieht nicht, dass gegen eine Verfah­ren­s­ein­stellung nach § 153 a Abs. 2 StPO - gerade in den letzten Tagen - vielfältige Kritik laut geworden ist. Sie hat sich mit den insoweit vorgetragenen Argumenten, soweit sie sachlicher Natur sind, ausein­an­der­gesetzt. Die Einschätzung, die Angeklagten würden sich "freikaufen", teilt die Kammer nicht. Wenn man die in § 153 a StPO getroffene Regelung aber plakativ als ein "Freikaufen" ansieht, so kann nicht unberück­sichtigt bleiben, dass im Jahre 2003 von deutschen Gerichten 126.174 Verfahren gegen Auflagen eingestellt worden sind. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass die in diesen Fällen Angeklagten ganz überwiegend nicht über besonders hohe Einkünfte oder Vermögen verfügten. Es kann deshalb als nachgewiesen angesehen werden, dass § 153 a StPO keine Vorschrift ist, die Reiche begünstigt. Gerade mit Blick auf das in Art. 3 GG verankerte Gleich­heitsgebot teilt die Kammer indes die Einschätzung der Staats­an­walt­schaft, dass von der Anwendung der Vorschrift begüterte Angeklagte auch nicht ausgenommen werden dürfen."

Der Vorsitzende der 10. große Wirtschaftss­traf­kammer, Vorsitzender Richter am Landgericht Stefan Drees, hat in der Haupt­ver­handlung vor der Verkündung des Beschlusses über die vorläufige Verfah­ren­s­ein­stellung angemerkt:

"Bei einigen Prozess­be­ob­achtern ist offenbar zunächst der Eindruck entstanden, die Kammer sei von den am Schluss der Sitzung vom 24. November 2006 gestellten Einstel­lungs­an­trägen überrascht worden.

Tatsächlich haben sämtliche zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Kammer - einschließlich der Hauptschöffen - am 22. November 2006 Kenntnis davon erlangt, dass die Verteidiger beabsichtigten, zum Schluss der Sitzung vom 24. November 2006 eine vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO zu beantragen. Ferner war ihnen bekannt, dass die Staats­an­walt­schaft beabsichtigte, dieser Anregung noch in derselben Sitzung zuzustimmen.

Soweit die Berufsrichter an den in der Erklärung der Staats­an­walt­schaft vom 24. November 2006 erwähnten Vorgesprächen zuvor beteiligt waren, haben sie stets deutlich gemacht, dass sie eine vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO nicht anregen würden. Die Kammer hatte deshalb keine Veranlassung, auf die Vernehmung von Zeugen am 24. November 2006 zu verzichten.

Die Berich­t­er­stattung gibt ferner Veranlassung darauf hinzuweisen, dass die heute zu treffende Entscheidung nach § 76 Abs.1 S.1 GVG nicht von dem Vorsitzenden allein, sondern der Kammer zu treffen ist. Die Hauptschöffen und die beisitzenden Richter sind an ihr mit dem gleichen Stimmrecht beteiligt wie der Vorsitzende."

siehe auch:

Mannesmann-Prozess: Bundes­ge­richtshof hebt Freisprüche auf

OLG Düsseldorf: Kein Schadensersatz für Dr. Esser - das Land NRW muss jedoch "Schmerzensgeld" zahlen

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 09/06 des LG Düsseldorf vom 29.11.2006

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