21.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Landgericht Aachen Urteil30.11.2011

700.000 Euro Schmerzensgeld für schwerste dauerhafte Gehirn­schä­digung in Folge ärztlicher Behand­lungs­fehlerLandgericht Aachen verurteilt Kranken­haus­träger zu hohem Schmerzensgeld

Das Landgericht Aachen hat einem Kind, das aufgrund gravierender ärztlicher Behand­lungs­fehler in einer Kinderklinik eine schwere Gehirn­schä­digung mit der Folge lebenslanger geistiger und körperlicher Behinderung, davongetragen hat, ein Schmerzensgeld von 700.000 Euro nebst Zinsen zugesprochen.

Das Kind war mit zweieinhalb Jahren mit Durchfall, Erbrechen und Fieber in die beklagte Kinderklinik eingeliefert worden. Es war an tuberkulöser Meningitis erkrankt, was die behandelnden Ärzte jedoch zunächst nicht erkannten. Ihnen unterliefen vielmehr mehrere grobe Behandlungsfehler. Dies begann bereits mit einer unzureichenden Anamnese bei Aufnahme des Patienten. Trotz erhöhter Tuberkulose-Inzidenz bei Kindern nicht-deutscher Herkunft wurde bei dem Patienten, der türkischer Herkunft ist, nicht nach Tuberkulose-Erkrankungen in der Familie gefragt. Es erfolgte keine ausreichende Anamne­seer­hebung bezüglich Infek­ti­o­ns­krank­heiten und Anste­ckungs­mög­lich­keiten. Dies widersprach bereits dem medizinischen Standard.

Behand­lungs­fehler: Verspätete Diagnose und verspäteter Therapiebeginn

Erst fünf Tage nach Aufnahme in das Krankenhaus wurden die erforderlichen Befunde erhoben, wodurch die zutreffende Diagnose verspätet gestellt und die geeignete Therapie erst später eingeleitet werden konnten.

Ein weiterer Behand­lungs­fehler erfolgte, indem selbst nach der zutreffenden Diagnose zunächst keine geeignete Therapie gegen die tuberkulöse Meningitis eingeleitet wurden.

Das Landgericht Aachen schloss sich der Wertung des Sachver­ständigen an, wonach die festgestellten Verstöße gegen die fachme­di­zi­nischen Standards und bewährten ärztlichen Behand­lungs­regeln objektiv nicht mehr nachvollziehbar und unverständlich seien. Für die Fehler gebe es keine nachvoll­ziehbaren Gründe. Sie hätten einem Facharzt nicht unterlaufen dürfen.

Rechtzeitige Therapie hätte Behinderung verhindert oder gemildert

Die verspätete Einleitung der richtigen Therapie erwies sich als fatal. Zum Zeitpunkt seiner Einlieferung in das Krankenhaus befand sich das Kind bereits in Phase I-II des Stadiums der tuberkulösen Meningitis. Je früher mit der geeigneten Therapie begonnen worden wäre, desto wahrschein­licher hätte der Beginn der Phase II verhindert und das Ausmaß der verbleibenden Behinderung vermieden werden können. Auch wenn die rechtzeitige Diagnose und Einleitung der richtigen Therapie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit zur vollständigen Genesung geführt hätte, so hätte die Ausprägung der verbleibenden Behinderung doch mit überwiegender Wahrschein­lichkeit deutlich reduziert oder verhindert werden können.

Mit der Therapie wurde jedoch erst in einem so weit fortge­schrittenen Krank­heits­s­tadium begonnen, dass eine vollständige Heilung nicht mehr möglich war. Es kam zum Übergang in Stadium III der Krankheit.

Schmer­zens­geld­be­messung orientiert sich vornehmlich an erlittenen Schäden

Bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes von 700.000 Euro nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz berücksichtigte das Landgericht vornehmlich die Schwere der erlittenen Schäden, das verlet­zungs­be­dingte Leiden und die verbleibenden Dauerschäden.

Schwere körperliche und geistige Behindung aufgrund der Behand­lungs­fehler

Das Kind leidet aufgrund der Behand­lungs­fehler an einer "schweren Mehrfach­be­hin­derung infolge schwerer cerebraler Schädigung mit rechtsbetont spastischer Tetraplegie, einer Oculo­mo­to­ri­usparese, thera­pie­re­sis­tenten Krampfanfällen und schweren Bewusst­seins­s­tö­rungen mit vegetativer Dysregulation". "Es befindet sich motorisch auf dem Entwick­lungsstand eines drei bis vier Monate alten Kindes und ist in erheblichem Umfang pflegebedürftig." Es sitzt oder liegt in einem Rollstuhl mit Sitzschale, wird über eine PEG-Sonde alle zwei Stunden mit Tee versorgt und benötigt in allen Lebensbereichen die Unterstützung eines Pflegers. Der Kläger kann sich nur über mimische Aktivität und Töne in unter­schied­licher Tonart und Lautstärke bemerkbar machen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist schmerzhaft eingeschränkt, er trägt tags und nachts Unter­schen­kelor­thesen. Die zentrale Steuerung der Körper­tem­peratur ist gestört, so dass der Körper schnell auskühlt und eines konti­nu­ier­lichen Wärmens von außen bedarf. Die Belüftung der Lungen ist reduziert. Jeder bronchiale Infekt ist ein gesund­heit­liches Risiko.

Kläger bleibt auf Entwick­lungsstand eines 3-4 Monate alten Kindes

Das Gericht konstatierte, dass dem Kläger aufgrund der Erkrankung ab dem Alter von zweieinhalb Jahren dauerhaft jede Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen sei. Er könne somit keine Lebensphase - Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter - bewusst erleben und seine Persönlichkeit alter­s­ent­sprechend entwickeln. Er sei Zeit seines Lebens in ganz erheblichem Umfang pflegebedürftig und müsse sich in regelmäßigen Abständen gravierenden stationären Behand­lungs­maß­nahmen und operativen Eingriffen unterziehen.

Bedenkliches Regulie­rungs­ver­halten der Beklagten wikt schmer­zens­gel­der­höhend

Als schmer­zens­gel­der­höhend wertete das Gericht ferner das zögerliche Regulie­rungs­ver­halten der beklagten Kranken­haus­trägerin bzw. der dahinter stehenden Haftpflicht­ver­si­cherung. Auch nachdem die Behand­lungs­fehler gutachterlich festgestellt worden waren, hat die Beklagte die Ansprüche nicht einmal dem Grunde nach anerkannt und auch die materiellen Schäden nicht zumindest teilweise reguliert; obwohl es keine ernsthaften fachlichen Bedenken gegen das Gutachten gab.

Bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes orientierte sich das Landgericht Aachen an einer Entscheidung des Landgerichts Kleve (Urteil vom 09.02.2005, Az. 2 O 37/01). Die dort zugesprochene Schmer­zens­geldrente von monatlich 500,00 Euro kapitalisierte das LG Aachen und erhöhte den so ermittelten Schmer­zens­geld­betrag unter Berück­sich­tigung der zwischen­zeitlich eingetretenen Geldentwertung.

Quelle: Landgericht Aachen, ra-online (vt/we)

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