Ein 54jähriger Arbeitnehmer hatte gegen seine Kündigung geklagt. Der Mann hatte mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass er kurze Raucherpausen einlegen dürfe, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen, also ohne sich offiziell von seinem Arbeitsplatz abzumelden. Je nach Länge der täglichen Arbeitszeit - der Mann arbeitete in Gleitzeit - wurden pauschal einige Minuten Pause abgezogen. Diese Regel nutzte der Arbeitnehmer aus: Mehrmals am Tag verließ er seinen Arbeitsplatz für eine oder mehrere Zigaretten. Zusammengerechnet ergaben die Pausen teils bis zu drei Stunden (und mehr) am Tag.
So war der Mann am 6.3.2008 von 6.37 Uhr bis 14.28 Uhr in der Firma anwesend. Als unbezahlte Pausenzeit wurde ihm 49 Minuten abgezogen. Tatsächlich soll er aber 3 Stunden und 46 Minuten Pause gemacht haben.
Der Arbeitgeber erteilte dem Mann zwei Abmahnungen und kündigte danach das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Er warf dem Arbeitnehmer Arbeitszeitbetrug vor. Vor dem Arbeitsgericht Ludwigshafen und Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (als Berufungsinstanz) hatten die Kündigungen keinen Bestand. Beide Gerichte gaben dem Arbeitnehmer Recht. Weder die fristlose noch die ordentliche Kündigung seien rechtmäßig.
Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, da im Ergebnis kein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorliege.
Zwar liege ein Grund vor, der überhaupt an sich geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dieser Grund führe jedoch im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsprinzips, nicht zum Überwiegen der berechtigten Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger habe erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen begangen, weil er seine unbezahlten Pausenzeiten in gravierendem Umfang überzogen habe. Er habe zusätzlich zu den unbezahlten Pausen weitere Pausen eingelegt, für die er das volle Arbeitsentgelt erhalten habe. Pausen gehörten nicht zur bezahlten Arbeitszeit. Der Kläger habe damit die Beklagte veranlasst, ihm Arbeitsentgelt für Zeiten zu zahlen, ohne die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Den wiederholten Entzug der Arbeitsleistung ohne sachlichen Grund habe der Arbeitgeber auch dann nicht hinzunehmen, wenn er nicht vorsätzlich erfolgt sein sollte. Zumindest die Erbringung der Arbeitsleistung in der geschuldeten Zeit sei die Hauptpflicht, die der Arbeitnehmer schulde. Verstöße in diesem Bereich berührten den Kernbereich des gegenseitigen Austauschverhältnisses. Der Arbeitgeber könne von dem Arbeitnehmer, der keinen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung schulde, wenigstens verlangen, dass er die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich erbringe. Nur für diesen Fall schulde er auch das vollständige Entgelt.
Unterbreche der Arbeitnehmer während der bezahlten Arbeitszeit seine Arbeit und bleibe untätig, weil er sich privaten Dingen widme (z.B. eine Zigarettenpause einlegt, private (Telefon-) Gespräche führe, Karten spiele, privat im Internet surfe, Zeitung lese, etc.) verletze er seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit. In Entscheidungen zur privaten Internetnutzung (BAG, Urteil v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 -, Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 386/05) nehme das Bundesarbeitsgerichts an, dass eine gravierende zeitliche Vernachlässigung der Arbeitspflicht vorliege, wenn sich der Arbeitnehmer z.B. über einen längeren Zeitraum ca. 10 % der Arbeitszeit (BAG 27.04.2006) oder innerhalb eines Zweiwochenzeitraums an zwei Arbeitstagen jeweils ca. 1 ½ Stunden (BAG 07.07.2005) während der bezahlten Arbeitszeit privaten Dingen widme.
Aus dem Umstand, dass die Beklagte in beschränktem Maße kurze Raucherpausen (1 bis 2 Zigaretten täglich) während der bezahlten Arbeitszeit dulde, konnte der Kläger nicht herleiten, ihm sei gestattet, seine Pausenzeiten nach Belieben in erheblichem zeitlichem Umfang auszunutzen. Der Kläger räumte ein, dass er wegen seiner starken Nikotinsucht täglich ca. 50 Zigaretten raucht und deshalb mehrmals täglich für vier bis zehn Minuten den Raucherraum aufsucht. Legt man diese Angaben zugrunde, dann rauche der Kläger (bei einer täglichen Schlafdauer von acht Stunden) in acht Stunden ca. 20 Zigaretten. Selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass er zum Rauchen einer Zigarette nur fünf Minuten benötige (wobei er noch den Arbeitskittel ablegen und den ausgewiesenen Raucherraum aufsuchen müsse), so summieren sich die zusätzlichen Zigarettenpausen auf arbeitstäglich ca. 100 Minuten. Der Kläger könne nicht ernsthaft damit rechnen, dass die Beklagte solche exzessiven Raucherpausen innerhalb der bezahlten Arbeitszeit dulde bzw. gestatte.
Die Pflichtverletzungen des Klägers seien zwar gravierend. Jedoch falle zu seinen Gunsten die immens lange Betriebszugehörigkeit deutlich ins Gewicht. Das im Juli 1970 begründete Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien habe im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung im Januar 2009 bereits über 38 Jahre bestanden. Der Kläger sei seit seinem 15. Lebensjahr bei der Beklagten beschäftigt und habe sein ganzes Arbeitsleben in ihrem Werk verbracht. Zu Gunsten des am 23.01.1955 geborenen Klägers sei außerdem sein Lebensalter zu berücksichtigen. Er sei bei Zugang der Kündigung 54 Jahren alt gewesen und damit in einem Alter, in dem es für ihn praktisch aussichtslos sei, einen auch nur annähernd vergleichbaren Arbeitsplatz wie bei der Beklagten zu finden. Die Folgen der Arbeitslosigkeit träfen den Kläger hart.
Die lange Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Klägers, das seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich beschneidet, rechtfertigten es zwar nicht, dass er seine Arbeitspflicht vernachlässige und während der bezahlten Arbeitszeit in erheblichem Umfang zusätzliche Pausen einlege, jedoch begründen sie ein erhebliches Bestandsschutzinteresse. Das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung zu beenden, trete dahinter zurück.
Das Arbeitsgericht habe ebenfalls zutreffend erkannt, dass auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30.09.2009 nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sei. Nach Lage der Dinge käme vorliegend eine Herausnahme des Klägers aus der Gleitzeitregelung und die Einführung einer generellen Pflicht, zu Beginn und Ende jeder Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen, als mildere Maßnahme als die ordentliche Kündigung in Betracht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 15.03.2010
Quelle: ra-online, LAG Rheinland-Pfalz