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- Arbeitsgericht Herne, Urteil, 4 Ca 3415/06 und 6 Ca 649/07
Landesarbeitsgericht Hamm Urteil16.10.2008
NRW: Lehrerin, die während des Unterrichts ein Kopftuch trägt, verstößt gegen Verhaltensregel und darf abgemahnt und gekündigt werdenLehrerin verliert Streit um Kopftuchverbot
Auch eine Lehrerin für muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache darf während des Unterrichts kein Kopftuch tragen. Dies gilt auch dann, wenn an dem Unterricht ausschließlich Schüler islamischer Religionsausrichtung teilnehmen. Das hat das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Abmahnung und nachfolgenden Kündigung, die das beklagte Land ausgesprochen hat, weil die als Lehrerin angestellte Klägerin während des von ihr erteilten Unterrichts ein Kopftuch getragen hat.
Lehrerin erteilt muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache
Die 1977 geborene Klägerin ist seit September 2001 beim beklagten Land als Lehrerin beschäftigt. Sie unterrichtet muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache, an dem ausschließlich Schüler islamischer Religionsausrichtung teilnehmen.
Schulleiter verbot Tragen des Kopftuches
Im August 2006 teilte der Schulleiter der Klägerin mit, dass das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts mit der Neufassung des § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW nicht vereinbar sei. Die Klägerin hielt daran fest, während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Das beklagte Land mahnte das Verhalten der Klägerin unter dem 21.11.2008 schriftlich ab und sprach sodann mit Schreiben vom 20.02.2007 eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2007 aus. Der zuvor beteiligte Personalrat stimmte der Kündigung zu.
Lehrerin klagt gegen Abmahnung und Kündigung
Die Klägerin wendet sich gegen die Rechtswirksamkeit der Abmahnung und der Kündigung. Sie ist der Auffassung, das Tragen eines Kopftuches verstoße nicht gegen § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW, weil es nicht geeignet sei, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Sie sei eine hoch angesehene Lehrerin, deren Unterricht, Auftreten und äußeres Erscheinungsbild zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben habe. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW verstoße gegen Artikel 4 Abs. 1 GG und sei mit § 7 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht vereinbar. Außerdem leide das Gesetz an einem Vollzugsdefizit. Das Tragen der Ordenstracht oder der jüdischen Kippa werde nämlich nicht als religiöse Bekundung angesehen. Das beklagte Land ist der Meinung, das Tragen des Kopftuches gefährde und störe die Neutralität des Landes und des Schulfriedens. Es könne der Eindruck hervorgerufen werden, dass die Trägerin eines Kopftuches gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich demokratische Grundordnung auftrete. So sei teilweise mit dem Tragen des Kopftuchs die Annahme verbunden, die Trägerin befürworte eine fundamentalistische Einstellung und setze sich für ein theokratisches Staatswesen ein. Nicht von Bedeutung sei es, ob es zu konkreten Störungen gekommen sei. Ein Vollzugsdefizit liege nicht vor. Das Tragen einer Ordenstracht sei mit der christlich abendländischen Kultur, die das Grundgesetz präge, vereinbar.
Arbeitsgericht wies die Klage ab
Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Abzustellen sei nicht darauf, welches subjektive Motiv dem Tragen des Kopftuches zugrunde liege. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW sei als abstrakte Gefährdungsnorm ausgestattet. Entscheidend sei, welche Deutungsmöglichkeit für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern nahe liege. Gefährdungen für den religiösen Schulfrieden könnten sich aus der Besorgnis von Eltern entwickeln, ihre Kinder würden ohne ihren ausdrücklichen Willen religiös beeinflusst. § 57 Schulgesetz NRW sei auch nicht verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber stehe eine Einschätzungsprärogative zu. Er könne daher festlegen, ob er eine eher großzügige oder eine strikte Regelung bevorzuge, um die staatliche Neutralitätspflicht im schulischen Bereich zu gewährleisten. Die Bandbreite seines Gestaltungsermessens habe der Gesetzgeber mit der nun gewählten Regelung nicht verlassen.
Landesarbeitsgericht bestätigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Klägerin zurückgewiesen. Kündigung und vorausgehende Abmahnung seien wirksam.
Neutralität in der Schule
Die Klägerin habe gegen eine Verhaltensregel verstoßen. Das Land sei Schülern sowie Eltern zur Neutralität verpflichtet. Die Bestimmung des im Jahr 2006 neu geschaffenen § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW verbiete es, diese Neutralität dadurch zu stören oder zu gefährden, dass Lehrerinnen oder Lehrer in der Schule religiöse, politische oder weltanschauliche Bekundungen abgäben. Dagegen habe die Klägerin verstoßen, indem sie ein Kopftuch während des Unterrichts getragen habe. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW sei ein abstrakter Gefährdungstatbestand. Es komme daher nicht darauf an, dass die im Übrigen gut beurteilte Lehrerin durch das Tragen des Kopftuchs den Grundsatz staatlicher Neutralität konkret gestört habe. Alleine die abstrakte Gefahr reiche aus.
Keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des Schulgesetz NRW
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW bestünden nicht. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits im Jahr 2003 entschieden (vgl. BverfG, Urteil v. 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -), dass dem Gesetzgeber ein breiter Gestaltungsspielraum eröffnet sei, um den Grundsatz staatlicher Neutralität zu gewährleisten. Er könne auch zu einer restriktiven Handhabung greifen, wie es in Nordrhein-Westfalen geschehen sei.
Das Gericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen zugelassen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 16.10.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Landesarbeitsgerichts Hamm
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