23.11.2024
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Dokument-Nr. 6841

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Landesarbeitsgericht Hamm Urteil16.10.2008

NRW: Lehrerin, die während des Unterrichts ein Kopftuch trägt, verstößt gegen Verhaltensregel und darf abgemahnt und gekündigt werdenLehrerin verliert Streit um Kopftuchverbot

Auch eine Lehrerin für mutter­sprach­lichen Unterricht in türkischer Sprache darf während des Unterrichts kein Kopftuch tragen. Dies gilt auch dann, wenn an dem Unterricht ausschließlich Schüler islamischer Religi­o­ns­aus­richtung teilnehmen. Das hat das Landes­a­r­beits­gericht Hamm entschieden.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Abmahnung und nachfolgenden Kündigung, die das beklagte Land ausgesprochen hat, weil die als Lehrerin angestellte Klägerin während des von ihr erteilten Unterrichts ein Kopftuch getragen hat.

Lehrerin erteilt mutter­sprach­lichen Unterricht in türkischer Sprache

Die 1977 geborene Klägerin ist seit September 2001 beim beklagten Land als Lehrerin beschäftigt. Sie unterrichtet mutter­sprach­lichen Unterricht in türkischer Sprache, an dem ausschließlich Schüler islamischer Religi­o­ns­aus­richtung teilnehmen.

Schulleiter verbot Tragen des Kopftuches

Im August 2006 teilte der Schulleiter der Klägerin mit, dass das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts mit der Neufassung des § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW nicht vereinbar sei. Die Klägerin hielt daran fest, während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Das beklagte Land mahnte das Verhalten der Klägerin unter dem 21.11.2008 schriftlich ab und sprach sodann mit Schreiben vom 20.02.2007 eine Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses zum 30.06.2007 aus. Der zuvor beteiligte Personalrat stimmte der Kündigung zu.

Lehrerin klagt gegen Abmahnung und Kündigung

Die Klägerin wendet sich gegen die Rechts­wirk­samkeit der Abmahnung und der Kündigung. Sie ist der Auffassung, das Tragen eines Kopftuches verstoße nicht gegen § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW, weil es nicht geeignet sei, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltan­schau­lichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Sie sei eine hoch angesehene Lehrerin, deren Unterricht, Auftreten und äußeres Erschei­nungsbild zu keinerlei Beanstandungen Anlass gegeben habe. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW verstoße gegen Artikel 4 Abs. 1 GG und sei mit § 7 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich­be­handlung nicht vereinbar. Außerdem leide das Gesetz an einem Vollzugsdefizit. Das Tragen der Ordenstracht oder der jüdischen Kippa werde nämlich nicht als religiöse Bekundung angesehen. Das beklagte Land ist der Meinung, das Tragen des Kopftuches gefährde und störe die Neutralität des Landes und des Schulfriedens. Es könne der Eindruck hervorgerufen werden, dass die Trägerin eines Kopftuches gegen die Menschenwürde, die Gleich­be­rech­tigung nach Art. 3 GG, die Freiheits­grund­rechte oder die freiheitlich demokratische Grundordnung auftrete. So sei teilweise mit dem Tragen des Kopftuchs die Annahme verbunden, die Trägerin befürworte eine funda­men­ta­lis­tische Einstellung und setze sich für ein theokratisches Staatswesen ein. Nicht von Bedeutung sei es, ob es zu konkreten Störungen gekommen sei. Ein Vollzugsdefizit liege nicht vor. Das Tragen einer Ordenstracht sei mit der christlich abendländischen Kultur, die das Grundgesetz präge, vereinbar.

Arbeitsgericht wies die Klage ab

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Abzustellen sei nicht darauf, welches subjektive Motiv dem Tragen des Kopftuches zugrunde liege. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW sei als abstrakte Gefährdungsnorm ausgestattet. Entscheidend sei, welche Deutungs­mög­lichkeit für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern nahe liege. Gefährdungen für den religiösen Schulfrieden könnten sich aus der Besorgnis von Eltern entwickeln, ihre Kinder würden ohne ihren ausdrücklichen Willen religiös beeinflusst. § 57 Schulgesetz NRW sei auch nicht verfas­sungs­widrig. Dem Gesetzgeber stehe eine Einschät­zungs­prä­ro­gative zu. Er könne daher festlegen, ob er eine eher großzügige oder eine strikte Regelung bevorzuge, um die staatliche Neutra­li­täts­pflicht im schulischen Bereich zu gewährleisten. Die Bandbreite seines Gestal­tungs­er­messens habe der Gesetzgeber mit der nun gewählten Regelung nicht verlassen.

Landes­a­r­beits­gericht bestätigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Landes­a­r­beits­gericht hat die Berufungen der Klägerin zurückgewiesen. Kündigung und vorausgehende Abmahnung seien wirksam.

Neutralität in der Schule

Die Klägerin habe gegen eine Verhaltensregel verstoßen. Das Land sei Schülern sowie Eltern zur Neutralität verpflichtet. Die Bestimmung des im Jahr 2006 neu geschaffenen § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW verbiete es, diese Neutralität dadurch zu stören oder zu gefährden, dass Lehrerinnen oder Lehrer in der Schule religiöse, politische oder weltan­schauliche Bekundungen abgäben. Dagegen habe die Klägerin verstoßen, indem sie ein Kopftuch während des Unterrichts getragen habe. § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW sei ein abstrakter Gefähr­dung­s­tat­bestand. Es komme daher nicht darauf an, dass die im Übrigen gut beurteilte Lehrerin durch das Tragen des Kopftuchs den Grundsatz staatlicher Neutralität konkret gestört habe. Alleine die abstrakte Gefahr reiche aus.

Keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des Schulgesetz NRW

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 57 Abs. 4 Schulgesetz NRW bestünden nicht. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht habe bereits im Jahr 2003 entschieden (vgl. BverfG, Urteil v. 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -), dass dem Gesetzgeber ein breiter Gestal­tungs­spielraum eröffnet sei, um den Grundsatz staatlicher Neutralität zu gewährleisten. Er könne auch zu einer restriktiven Handhabung greifen, wie es in Nordrhein-Westfalen geschehen sei.

Das Gericht hat die Revision an das Bundes­a­r­beits­gericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschei­dungs­er­heb­lichen Rechtsfragen zugelassen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Landesarbeitsgerichts Hamm

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