18.10.2024
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Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil24.02.2009

Landes­a­r­beits­gericht bestätigt Kündigung einer Kassiererin wegen Verwendung von Leergutbons in Höhe von 1,30 € (Fall "Emmely")Fall machte deutschlandweit Schlagzeilen

Wer als Kassiererin in einem Supermarkt zwei Pfandbons unterschlägt, kann fristlos gekündigt werden. Dies gilt auch, wenn die Pfandbons einen nur geringen Wert haben. Kündigungsgrund sei in einem solchen Fall nicht der Wert der Sache, sondern der Vertrau­ens­verlust, urteilte das Landes­a­r­beits­gericht Berlin.

Das Landes­a­r­beits­gericht Berlin-Brandenburg hat das Urteil im Kündi­gungs­rechtsstreit einer vom Arbeitgeber fristlos gekündigten Kassiererin verkündet und die Kündigung, wie schon das Arbeitsgericht in erster Instanz, auch in zweiter Instanz als rechtmäßig bezeichnet.

Sachverhalt

Die seit 1977 als Kassiererin beschäftigte Klägerin habe zwei ihr nicht gehörende Leergutbons im Werte von ,48 und ,82 Euro unrechtmäßig aus dem Kassenbüro entnommen und für sich selbst eingelöst. Dies stehe zur Überzeugung des Berufungs­ge­richts anhand der von der Klägerin selbst eingeräumten Umstände, anhand der weiteren unstreitigen Umstände wie des Kassenjournals und anhand der Zeugenaussagen fest. Die die Klägerin belastenden Zeugenaussagen hat das Gericht als glaubhaft eingestuft.

Landes­a­r­beits­gericht bejaht wichtigen Kündigungsgrund

Dieses Verhalten der Klägerin stellte auch nach Auffassung des Berufungs­ge­richts einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, der es für den Arbeitgeber als unzumutbar erscheinen ließ, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter­zu­be­schäftigen.

Voraussetzungen für Verdachts­kün­digung sind erfüllt

Das Gericht hat dabei zunächst die Voraussetzungen einer "Verdachts­kün­digung" als erfüllt angesehen. Soweit die Klägerin gegen das in der Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts völlig unangefochtene Institut der Verdachtskündigung Bedenken erhoben hatte, hat es solche als nicht gerechtfertigt angesehen. Anders als von der Klägerin - und in Teilen der Öffentlichkeit - dargestellt, genüge für eine Verdachts­kün­digung nicht ein "bloßer" Verdacht auf eine Straftat. Voraussetzung sei vielmehr das Vorliegen eines "dringenden" Verdachts einer Straftat, der sich auf objektive Tatsachen, nicht aber auf bloße Unterstellungen des Arbeitgebers gründen und die Begehung einer Straftat massiv nahe legen müsse. Das Vorliegen solcher dringender Verdachts­momente (Tatsachen) müsse im Übrigen vom Arbeitgeber bewiesen werden. Es sei völlig falsch, wenn gelegentlich so getan werde, als müsse der Arbeitnehmer seine "Unschuld beweisen". Das oft gebrauchte Argument der "Unschulds­ver­mutung" greife hier im Übrigen nicht; es gehe nicht um eine Verurteilung aufgrund des Strafrechts, vielmehr werde das (arbeits­rechtliche) Kündigungsrecht vom "Prognoseprinzip" beherrscht, das danach frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses angesichts dringender Verdachts­momente für das Vorliegen einer Straftat des Arbeitnehmers noch zumutbar sei oder nicht. Das sei etwas völlig anderes als eine straf­ge­richtliche Verurteilung wegen eines begangenen Vermö­gens­de­liktes.

Gericht sieht nicht nur Verdacht sondern auch Tatbegehung als gegeben an

Im zu entscheidenden Rechtsstreit sei das Berufungs­gericht unter Würdigung aller Umstände dabei unabhängig von der Rechtfertigung der Kündigung bereits als Verdachts­kün­digung sogar davon ausgegangen, dass hier nicht nur ein "Verdacht" gegeben sei, sondern dass die Tatbegehung durch der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts feststehe.

Abmahnung war entbehrlich

Bei Begehung von Straftaten durch den Arbeitnehmer sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich; der Arbeitnehmer könne nicht davon ausgehen, dass der Arbeitgeber gegen sein Vermögen gerichtete Straftaten auch nur einmalig dulden werde.

Kassiererin muss absolut zuverlässig sein

Bei der Inter­es­se­n­ab­wägung sei zwar das Alter der Klägerin und ihre langjährige Beschäf­ti­gungszeit zu ihren Gunsten zu berücksichtigen gewesen. Zu ihren Lasten allerdings sei ins Gewicht gefallen, dass sie als Kassiererin unbedingte Zuverlässigkeit und absolute Korrektheit zeigen müsse. Der ihr obliegende Umgang mit Geld, Bons etc setze absolute Ehrlichkeit voraus, der Arbeitgeber müsse sich bei einer Kassiererin auf diese unabdingbaren Voraussetzungen verlassen können. Insofern könne es auch nicht auf den Wert der entwendeten Ware ankommen, das Eigentum des Arbeitgebers stehe auch nicht für geringe Beträge zur Disposition, und das auch nicht bei längerer Betrie­bs­zu­ge­hö­rigkeit. Durch eine entsprechende Tatbegehung einer Kassiererin entstehe ein irreparabler Vertrau­ens­verlust. Das Gericht wies ausdrücklich darauf hin , dass gerade dieser Vertrau­ens­verlust gegenüber der als Kassiererin beschäftigten Klägerin, nicht aber der wert der Sache (1,30 €) maßgeblicher Kündigungsgrund sei.

Vertrauensverlust

Der Vertrau­ens­verlust sei im zu entscheidenden Fall noch nachhaltiger gewesen, weil die Klägerin im Rahmen der Befragungen durch den Arbeitgeber immer wieder falsche Angaben gemacht habe, die sie dann, als sie vom Arbeitgeber widerlegt waren, einfach fallengelassen hat. So habe sie beispielsweise ohne Grund und Rechtfertigung eine Kollegin belastet, die nichts mit der Sache zu tun gehabt hatte.

Nach alledem sei die Inter­es­se­n­ab­wägung zuungunsten der Klägerin ausgefallen; die Kündigung sei gerechtfertigt gewesen.

Der Arbeitgeber habe sich im Einzelfall nicht anders verhalten, als es Einzel­han­dels­un­ter­nehmen bei Vermö­gens­de­likten einer Kassiererin tun, ein Zusammenhang mit der Teilnahme der Klägerin an Streikaktionen sei nicht erkennbar.

Hintergrund

Die Kassiererin hatte früher an Streikmaßnahmen teilgenommen und erhebt den Vorwurf, dass die Supermarktkette versucht, eine Querulantin billig loszuwerden. Bei drei Streikwellen hatte die Kassiererin ihrem Unternehmen die Stirn geboten und ließ sich auch nicht die "Klappe verbieten". Es ist vorstellbar, dass dieses Verhalten nicht nur der Super­ma­rkt­leitung sondern auch einigen Kollegen missfiel.

Verfas­sungs­be­schwerde und Revision

Die Kassiererin hat am 25. März 2009 mitgeteilt, gegen das Urteil Verfas­sungs­be­schwerde eingelegt zu haben. Außerdem sei eine Beschwerde beim Bundes­a­r­beits­gericht in Erfurt eingereicht worden. Damit will die Frau nun zunächst erreichen, dass in ihrem Fall eine Revision zugelassen wird. Die Revision wurde vom BAG am 28. Juli 2009 zugelassen.

Quelle: ra-online (pt)

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