Kammergericht Berlin Urteil19.04.2016
Sturz an nicht winterdienstpflichtiger, gestreuter und schnee- sowie eisglatter Stelle kann dennoch Verletzung der Verkehrssicherungspflicht begründenVerkehrssicherungspflichtverletzung aufgrund fehlender Erfüllung der Winterdienstpflicht in der Umgebung der Sturzstelle
Stürzt eine Person an einer nicht winterdienstpflichtigen, nicht gestreuten und daher schnee- sowie eisglatten Stelle, so kommt dennoch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Betracht. Dies ist dann der Fall, wenn der Winterdienstpflichtige seiner in der Umgebung der Sturzstelle bestehenden Winterdienstpflicht nicht nachgekommen ist. Ein Schadenersatzanspruch besteht aber nur dann, wenn der Geschädigte nachweisen kann, dass er bei Erfüllung der Winterdienstpflicht eine gestreute Stelle benutzt hätte. Dies geht aus einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer wurde von seinem Kollegen auf einer schnee- und eisglatten Parkplatzzufahrt in Berlin abgesetzt und ist dort ausgerutscht. Aufgrund des Sturzes war der Arbeitnehmer mehrere Wochen arbeitsunfähig gewesen. Das Land Berlin war zwar für den schnee- und eisglatten Parkplatz sowie den ebenfalls schnee- und eisglatten angrenzenden Gehwegen winterdienstpflichtig gewesen, nicht jedoch für die Parkplatzzufahrt. Der Arbeitgeber des Gestürzten verklagte schließlich das Land Berlin auf Ersatz der Aufwendungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Landgericht Berlin wies Schadensersatzklage ab
Das Landgericht Berlin wies die Schadensersatzklage ab. Denn der Arbeitnehmer habe den Sturz ganz überwiegend selbst verschuldet. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.
Kammergericht verneint ebenfalls Schadensersatzanspruch
Das Kammergericht Berlin folgte zwar nicht der Argumentation des Landgerichts hinsichtlich des Mitverschuldens, bestätigte aber dennoch dessen Entscheidung und wies daher die Berufung des Klägers zurück. Ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG habe nicht bestanden.
Fehlende Vornahme der Winterdienstpflicht begründete Verkehrssicherungspflichtverletzung
Zwar habe keine Winterdienstpflicht an der Sturzstelle bestanden, so das Kammergericht. Das Land Berlin sei aber verpflichtet gewesen, auf dem Parkplatz gestreute Pfade anzulegen, die ein gefahrloses Betreten und Verlassen des Parkplatzes erlaubt hätten, und auf den an den Parkplatz angrenzenden Fußwegen zu streuen. Da das Land Berlin dem nicht nachgekommen sei, habe eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgelegen.
Kein Zusammenhang zwischen Verkehrssicherungspflichtverletzung und Sturz
Nach Ansicht des Kammergerichts habe jedoch kein Zusammenhang zwischen der Verkehrssicherungspflichtverletzung und dem Sturz des Arbeitnehmers bestanden. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass der Arbeitnehmer bei Erfüllung der Winterdienstpflicht durch das Land Berlin an einer gestreuten Stelle ausgestiegen wäre. Vielmehr haben der Arbeitnehmer und der Kollege ausgesagt, dass sie sich keine Gedanken über den Ausstiegsort gemacht haben. Für sie haben die Witterungsverhältnisse keine Bedeutung für den Ort des Absetzens gehabt.
Keine Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises
Die Grundsätze des Anscheinsbeweises seien dem Kläger nach Ansicht des Kammergerichts nicht zugutegekommen. Denn insofern fehle es an dem erforderlichen typischen Geschehensablauf, dass ein Geschädigter, der sich an einer nicht streupflichtigen Stelle eines Parkplatzes absetzen lasse, bei Erfüllung der Streupflicht dann an einer gestreuten Stelle auf dem Parkplatz oder einem angrenzenden Gehweg ausgestiegen wäre. Diese Fallgestaltung unterscheide sich von einem nicht gestreuten Gehweg, bei dem als typischer Geschehensablauf angenommen werden könne, dass ein Fußgänger bei pflichtgemäßen Verhalten die gestreute Schneise nutzen würde (vgl. KG, Urt. v. 02.06.2015 - 7 U 102/14 -).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 01.12.2016
Quelle: Kammergericht Berlin, ra-online (vt/rb)