18.10.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil24.07.2014

Hörgerät muss Schwerhörigkeit weitgehend ausgleichenKrankenkasse muss trotz Festbe­trags­re­gelung Kosten für höherwertiges Hörgerät übernehmen

Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungs­aus­gleich. Insoweit gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funkti­o­ns­de­fizits. Die gesetzliche Krankenkasse kann sich nur dann auf eine Festbe­trags­re­gelung berufen, wenn diese eine sachgerechte Versorgung des Versicherten ermöglicht. Andernfalls muss sie die kompletten Kosten für das erforderliche Hörgerät tragen. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Verwal­tungs­fach­an­ge­stellter aus Nordhessen leidet an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Nach einer entsprechenden Testphase empfahl ihm der Hörge­rä­te­akustiker ein Hörgerät für rund 4.900 Euro, mit welchem er sogar Telefon­ge­spräche führen kann, und zeigte dies der Krankenkasse an. Diese teilte dem 51-jährigen Mann mit, dass sie den Festbetrag von rund 1.200 Euro übernehme. Der Hörgeschädigte erwarb das teure Hörgerät. Seinen Antrag auf Erstattung des Diffe­renz­be­trages von ca. 3.700 Euro lehnte die Krankenkasse ab.

SG weist Klage auf Erstattung des Diffe­renz­be­trages ab

Das Sozialgericht wies die Klage des Mannes mit der Begründung ab, dass dieser bereits vor der ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse das Hörgerät erworben und damit den vorge­schriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe.

Versor­gungs­anzeige beinhaltet umfassenden Leistungsantrag

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht verurteilte hingegen die Krankenkasse zur Erstattung der rund 3.700 Euro. Zunächst stellten die Richter fest, dass die Versor­gungs­anzeige des Hörge­rä­te­akus­tikers einen Leistungsantrag auf bestmögliche Versorgung mit einem Hörgerät beinhalte. Gewähre die Krankenkasse hierauf den Festbetrag, so lehne sie damit inzident die Kostenübernahme für eine höherwertige Hörge­rä­te­ver­sorgung ab. Da die Krankenkasse den Antrag habe prüfen können, sei auch der Beschaffungsweg eingehalten, wenn der Versicherte das Hörgerät kaufe, bevor die Krankenkasse die Kostenübernahme des Diffe­renz­be­trages ausdrücklich abgelehnt habe.

Fehlender Nachweis einer günstigeren Versor­gungs­mög­lichkeit geht zu Lasten der Krankenkasse

Zudem wiesen die Richter darauf hin, dass die Krankenkassen - wie auch die Renten­ver­si­che­rungs­träger - den hörgeschädigten Versicherten keinen Zugang zu unabhängigen Beratungs- und Begut­ach­tungs­stellen böten. Damit erhielten die Versicherten keine von Gewin­n­er­war­tungen unabhängige Untersuchung und Anpassung der in Betracht kommenden Hörgeräte. Diese Aufgabe würden sie vielmehr an die Hörge­rä­te­akustiker "outsourcen". Daher gehe es zu Lasten der Krankenkasse, wenn sich im Gerichts­ver­fahren nicht mehr klären lasse, ob auch ein günstigeres Hörgerät einen möglichst weitgehenden Ausgleich der Funkti­o­ns­de­fizite erzielt hätte.

Vertragliche Verpflichtung des Hörge­rä­te­akus­tikers zur eigen­an­teils­freien Versorgung betrifft nur Vertrags­ver­hältnis zwischen Krankenkasse und Leistungs­er­bringer

Die Krankenkasse könne sich ferner nicht darauf berufen, dass der Hörge­rä­te­akustiker zu einer eigen­an­teils­freien Versorgung verpflichtet sei. Diese vertragliche Verpflichtung betreffe nur das Vertrags­ver­hältnis zwischen Krankenkasse und Leistungs­er­bringer und habe keine Auswirkungen auf den Hilfs­mit­te­l­an­spruch des Versicherten.

Hinweise zur Rechtslage

Erläuterungen

§ 2 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(2) Die Versicherte erhalten die Leistungen als Sach- und Dienst­leis­tungen [...]

§ 13 SGB V

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst­be­schaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. [...]

§ 27 SGB V

(1) Versicherte haben Anspruch auf Kranken­be­handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank­heits­be­schwerden zu lindern. Die Kranken­be­handlung umfasst [...] Versorgung mit [...] Hilfsmitteln, [...].

§ 33 SGB V

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen [...], die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Kranken­be­handlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, [...]

§ 12 SGB V

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirt­schaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungs­er­bringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungs­pflicht mit dem Festbetrag.

§ 36 SGB V

(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. [...]

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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