23.11.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 26182

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Hessisches Landessozialgericht Beschluss17.07.2018

Antivirale Therapie für befristet geduldeten AusländerHepatitis-C-Behandlung für Asylbewerber

Sind Ausländer nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz leistungs­be­rechtigt, dann haben sie aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen Anspruch auf alle Thera­pie­maß­nahmen, die gemäß dem Recht der Gesetzlichen Krankenkassen (SGB V) oder der Sozialhilfe (SGB XII) erforderlich sind, sofern es sich nicht um eine Bagatel­ler­krankung handelt und der Aufenthalt der bedürftigen Person nicht nur kurzzeitig ist. Dies hat das Hessische Landes­so­zi­al­gericht in seiner Entscheidung veröffentlicht.

Im hier zu entscheidenden Fall reiste ein Mann aus Aserbaidschan Ende 2015 mit seiner Frau aus den Niederlanden kommend ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik ein. Er beantragte eine Aufent­halts­be­fugnis aus humanitären Gründen und die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Auslän­der­behörde erteilte ihm befristete Duldungen, aktuell bis zum 6. September 2018.

Kostenübernahme für Hepatitis-Behandlung vom Landkreis abgelehnt

Bereits im Oktober 2016 wurde bei dem im Landkreis Fulda lebenden 54-jährigen Mann eine chronische Hepatitis-C-Infektion diagnostiziert. Ein ärztliches Gutachten ergab eine klare Indikation zu einer antiviralen Therapie mit einer Heilungschance von 90 %. Der Landkreis Fulda lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass das Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz restriktiv auszulegen sei und Leistungen bei Krankheit nur auf niedrigem Niveau erbracht werden sollten. Zudem sei der Mann zur Ausreise in die Niederlande verpflichtet. Über den eingelegten Widerspruch hat der Landkreis bislang nicht entschieden.

Verschlech­terung des Gesund­heits­zu­standes

Im April 2018 beantragte der Mann vor dem Sozialgericht, den Landkreis Fulda durch einstweilige Anordnung zur Kostenübernahme zu verpflichten. Sein Gesund­heits­zustand habe sich weiter verschlechtert, er müsse dringend mit der antiviralen Therapie behandelt werden.

Landkreis zur Kostenübernahme verpflichtet

Beide Instanzen gaben dem erkrankten Mann Recht und verpflichteten den Landkreis, die notwendigen Kosten der antiviralen Therapie der Hepatitis-C-Erkrankung vorläufig zu übernehmen.

Leistungen im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich

Der geduldete Ausländer habe nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz Anspruch auf ärztliche Behandlung von akuten Erkrankungen. Darüber hinaus könnten Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien. Der gesetzliche Begriff der unerlässlichen Leistung sei verfas­sungs­konform auszulegen. Das Grundgesetz gewähre einen Leistungsanspruch auf Sicherstellung eines menschen­würdigen Existenz­mi­nimums. Dies erstrecke sich auch auf die Gewährung von Gesund­heits­leis­tungen. Bei der konkreten Ausgestaltung existenz­si­chernder Leistungen dürfe zudem nicht pauschal nach dem Aufent­halts­status differenziert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts könne eine restriktive Auslegung auch nicht mit den gesetz­ge­be­rischen Zielen begründet werden, Kosten zu sparen und Asylmissbrauch begünstigende wirtschaftliche Anreize zu mindern.

Alle nach SGB V und SGB XII erforderlichen Thera­pie­maß­nahmen sind unerlässliche Leistungen

Zu den unerlässlichen Leistungen gehörten daher alle nach dem Recht der Gesetzlichen Krankenkassen (SGB V) bzw. der Sozialhilfe (SGB XII) erforderlichen Thera­pie­maß­nahmen. Dies gelte zumindest, soweit es sich nicht um die Behandlung einer Bagatel­ler­krankung handle und die bedürftige Person sich nicht lediglich kurzzeitig in der Bundesrepublik aufhalte.

Therapie aufgrund grenzwertigem Gesund­heits­zustand erforderlich

Bei dem betroffenen Mann liege kein akuter Krank­heits­verlauf vor. Die erforderliche antivirale Therapie der chronischen Hepatitis C sei jedoch zur Sicherung seiner Gesundheit unerlässlich. Die Therapie sei u.a. aufgrund der grenzwertig vergrößerten Milz aktuell erforderlich. Ein weiteres Zuwarten sei dem Erkrankten nicht zumutbar. Da nicht absehbar sei, wann eine Abschiebung mit den nötigen Ausrei­se­do­ku­menten vollzogen werden könne, spreche die voraus­sichtliche Therapiedauer von 12 Wochen auch nicht gegen die Erfor­der­lichkeit der Therapie.

Erläuterungen

§ 4 Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz (AsylblG)

(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krank­heits­folgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. (...) Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

§ 6 AsylblG

(1) Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebens­un­terhalts oder der Gesundheit unerläßlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwal­tungs­recht­lichen Mitwir­kungs­pflicht erforderlich sind. (...)

§ 48 Sozial­ge­setzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)

Um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank­heits­be­schwerden zu lindern, werden Leistungen zur Kranken­be­handlung entsprechend dem Dritten Kapitel Fünften Abschnitt Ersten Titel des Fünften Buches erbracht. (...)

Art. 1 Grundgesetz (GG)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 20 GG

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ ra-online

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