Dokument-Nr. 26182
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Hessisches Landessozialgericht Beschluss17.07.2018
Antivirale Therapie für befristet geduldeten AusländerHepatitis-C-Behandlung für Asylbewerber
Sind Ausländer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt, dann haben sie aus verfassungsrechtlichen Gründen Anspruch auf alle Therapiemaßnahmen, die gemäß dem Recht der Gesetzlichen Krankenkassen (SGB V) oder der Sozialhilfe (SGB XII) erforderlich sind, sofern es sich nicht um eine Bagatellerkrankung handelt und der Aufenthalt der bedürftigen Person nicht nur kurzzeitig ist. Dies hat das Hessische Landessozialgericht in seiner Entscheidung veröffentlicht.
Im hier zu entscheidenden Fall reiste ein Mann aus Aserbaidschan Ende 2015 mit seiner Frau aus den Niederlanden kommend ohne Ausweispapiere in die Bundesrepublik ein. Er beantragte eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen und die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Ausländerbehörde erteilte ihm befristete Duldungen, aktuell bis zum 6. September 2018.
Kostenübernahme für Hepatitis-Behandlung vom Landkreis abgelehnt
Bereits im Oktober 2016 wurde bei dem im Landkreis Fulda lebenden 54-jährigen Mann eine chronische Hepatitis-C-Infektion diagnostiziert. Ein ärztliches Gutachten ergab eine klare Indikation zu einer antiviralen Therapie mit einer Heilungschance von 90 %. Der Landkreis Fulda lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass das Asylbewerberleistungsgesetz restriktiv auszulegen sei und Leistungen bei Krankheit nur auf niedrigem Niveau erbracht werden sollten. Zudem sei der Mann zur Ausreise in die Niederlande verpflichtet. Über den eingelegten Widerspruch hat der Landkreis bislang nicht entschieden.
Verschlechterung des Gesundheitszustandes
Im April 2018 beantragte der Mann vor dem Sozialgericht, den Landkreis Fulda durch einstweilige Anordnung zur Kostenübernahme zu verpflichten. Sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert, er müsse dringend mit der antiviralen Therapie behandelt werden.
Landkreis zur Kostenübernahme verpflichtet
Beide Instanzen gaben dem erkrankten Mann Recht und verpflichteten den Landkreis, die notwendigen Kosten der antiviralen Therapie der Hepatitis-C-Erkrankung vorläufig zu übernehmen.
Leistungen im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich
Der geduldete Ausländer habe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf ärztliche Behandlung von akuten Erkrankungen. Darüber hinaus könnten Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien. Der gesetzliche Begriff der unerlässlichen Leistung sei verfassungskonform auszulegen. Das Grundgesetz gewähre einen Leistungsanspruch auf Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dies erstrecke sich auch auf die Gewährung von Gesundheitsleistungen. Bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen dürfe zudem nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenziert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne eine restriktive Auslegung auch nicht mit den gesetzgeberischen Zielen begründet werden, Kosten zu sparen und Asylmissbrauch begünstigende wirtschaftliche Anreize zu mindern.
Alle nach SGB V und SGB XII erforderlichen Therapiemaßnahmen sind unerlässliche Leistungen
Zu den unerlässlichen Leistungen gehörten daher alle nach dem Recht der Gesetzlichen Krankenkassen (SGB V) bzw. der Sozialhilfe (SGB XII) erforderlichen Therapiemaßnahmen. Dies gelte zumindest, soweit es sich nicht um die Behandlung einer Bagatellerkrankung handle und die bedürftige Person sich nicht lediglich kurzzeitig in der Bundesrepublik aufhalte.
Therapie aufgrund grenzwertigem Gesundheitszustand erforderlich
Bei dem betroffenen Mann liege kein akuter Krankheitsverlauf vor. Die erforderliche antivirale Therapie der chronischen Hepatitis C sei jedoch zur Sicherung seiner Gesundheit unerlässlich. Die Therapie sei u.a. aufgrund der grenzwertig vergrößerten Milz aktuell erforderlich. Ein weiteres Zuwarten sei dem Erkrankten nicht zumutbar. Da nicht absehbar sei, wann eine Abschiebung mit den nötigen Ausreisedokumenten vollzogen werden könne, spreche die voraussichtliche Therapiedauer von 12 Wochen auch nicht gegen die Erforderlichkeit der Therapie.
Erläuterungen
§ 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG)
(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. (...) Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.
§ 6 AsylblG
(1) Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerläßlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. (...)
§ 48 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)
Um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, werden Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel Fünften Abschnitt Ersten Titel des Fünften Buches erbracht. (...)
Art. 1 Grundgesetz (GG)
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Art. 20 GG
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.07.2018
Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ ra-online
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