21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil02.04.2019

Blasen­krebs­erkrankung eines Kfz-Mechanikers ist als Berufskrankheit anzuerkennenGefahrstoff o-Toluidin mit hinreichender Wahrschein­lichkeit ursächlich Blasen­krebs­erkrankung

Berufs­krank­heiten sind - ebenso wie Arbeitsunfälle - Versi­che­rungsfälle der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Hierzu zählt nach der BK Nr. 1301 auch ein Blasentumor durch aromatische Amine wie dem o-Toluidin. Was ein Kfz-Mechaniker diesem Gefahrstoff insbesondere vor dem Verbot bleihaltiger Ottokraftstoffe wegen der darin enthaltenen Azofarbstoffe in relevantem Umfang ausgesetzt, ist eine Blasen­krebs­erkrankung des Mechanikers als Berufskrankheit anzuerkennen. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein 1961 geborener Mann aus dem Hochtaunus-Kreis absolvierte ab 1977 eine Kfz-Mechaniker-Ausbildung und arbeitete anschließend als Kunden­dienst­berater und Kfz-Mechaniker, später auch als Werkstatt­meister. Im Alter von 38 Jahren wurde bei ihm ein Blasentumor diagnostiziert.

Der Präven­ti­o­ns­dienst stellte fest, dass in den Jahren 1964 bis 1994 in Ottokraft­stoffen (Normal und Super) Bleive­r­bin­dungen eingesetzt wurden, die regelmäßig zur Kennzeichnung den Farbstoff Sudan Rot enthielten. Hierbei handelt es sich um einen Azofarbstoff, aus welchem das aromatische Amin o-Toluidin freigesetzt werden kann.

Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnt Anerkennung einer Berufskrankheit ab

Die Berufsgenossenschaft lehnte jedoch eine Anerkennung als Berufskrankheit wegen einer zu geringen Exposition ab. Ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten habe ergeben, dass bei Kfz-Mechanikern keine Risiko­ver­dopplung vorläge. Im gerichtlichen Verfahren wurde u.a. ein toxikologisches Gutachten eingeholt, wonach die Exposition des Kfz-Mechanikers gegenüber kanzerogenen Aminen mit hoher Wahrschein­lichkeit den Harnblasenkrebs verursacht habe.

Gefahrstoff o-Toluidin ist als gesichert beim Menschen krebs­er­zeu­gender Arbeitsstoff einzustufen

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht verurteilte - unter Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung des Senats zur BK Nr. 1301 - die Berufs­ge­nos­sen­schaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Gefahrstoff o-Toluidin den Blasenkrebs des Kfz-Mechanikers verursacht habe. Der Gefahrstoff o-Toluidin gehöre zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen werde. Nach Abschnitt III der MAK-Werte-Liste sei dieses Amin in die Kategorie 1 und damit als ein gesichert beim Menschen krebs­er­zeu­gender Arbeitsstoff eingestuft. Dieser Gefahrstoff sei nach dem gegenwärtigen Stand der wissen­schaft­lichen Erkenntnis daher generell geeignet, beim Menschen bösartige Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 zu verursachen.

Auch wenn der Umfang der Gefahrstoff-Exposition des Kfz-Mechanikers nicht mehr genau festzustellen sei, sei in diesem Fall nicht von einer nur geringen Menge auszugehen. Insbesondere für die ersten Jahre der Tätigkeit des Kfz-Mechanikers sei von einer vergleichs­weisen höheren Einwirkung auszugehen. Hierbei sei neben dem Kontakt zu Kraftstoffen auch die Exposition gegenüber Motorenöl wegen des besonders hohen Anteils an dem Farbstoff Sudan Rot zu berücksichtigen.

Risiko­ver­dop­pelung keine Voraussetzung für Anerkennung als Berufskrankheit

Ferner habe der Verord­nungsgeber keinen Schwellenwert festgeschrieben und damit den Gefahrstoff auch niedrig­schwellig als gefährlich eingestuft. Auch in der Wissenschaft gebe es keinen Konsens über eine Forderung nach einer Mindest- oder Schwellendosis. Entgegen der Auffassung der Berufs­ge­nos­sen­schaft sei daher eine Risiko­ver­dop­pelung nicht Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr. 1301.

Mittleres Erkran­kung­salter bei Männern liegt bei 70 Jahren

Zudem erfülle der Kfz-Mechaniker auch weitere Kriterien, die für einen Zusammenhang der Krebserkrankung und der beruflichen Exposition gegenüber relevanten Gefahrstoffen sprechen würden. So sei er bereits im Alter von 38 Jahren erkrankt, während das mittlere Erkran­kung­salter bei Männern 70 Jahre betrage. Auch entspreche die Latenzzeit von 22 Jahren der für beruflich bedingte Harnbla­sen­ka­r­zinome. Außerberufliche Ursachen seien ferner nicht festzustellen. Insbesondere habe der Kfz-Mechaniker nicht geraucht. Tabakkonsum - das wichtigste Risiko für Harnblasenkrebs - scheide damit als Ursache aus.

Hinweise zur Rechtslage

§ 7 Sozial­ge­setzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Versi­che­rungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufs­krank­heiten.

§ 9 SGB VII

(1) Berufs­krank­heiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufs­krank­heiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechts­ver­ordnung solche Krankheiten als Berufs­krank­heiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [...]

§ 1 Berufs­krank­heiten-Verordnung (BKV)

Berufs­krank­heiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten [...].

Anlage 1 zur BKV

Nr. 1301: Schleim­haut­ver­än­de­rungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine

MAK-Werte

Die MAK-Werte der Deutschen Forschungs­ge­sell­schaft sind die maximalen Arbeitsplatz-Konzentrationen, die angeben, welche maximal zulässige Menge eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz langfristig keinen Gesund­heits­schaden verursacht. Arbeitsstoffe, die sich beim Menschen als krebserzeugend erwiesen haben, werden in die Kategorie 1 eingestuft und erhalten keinen MAK-Wert.

Kategorie 1

Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epide­mi­o­lo­gische Untersuchungen geben hinreichende Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer Exposition bei Menschen und dem Auftreten von Krebs. Andernfalls können epide­mi­o­lo­gische Daten durch Informationen zum Wirkungs­me­cha­nismus beim Menschen gestützt werden.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online (pm/kg)

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