Im vorliegenden Fall war der Erkrankte von 1948 bis 1993 als Schlosser und später als Elektriker tätig. Bei diesen Tätigkeiten musste er Asbestplatten schneiden und häufig Lötarbeiten mit Asbestband durchführen. Im Jahre 2011 erkrankte er an einem Tumor im Bereich des Brustkorbes. Aufgrund des histologischen Befundes wurden ein Mesotheliom sowie hiervon abweichende Erkrankungen diagnostiziert. Nach wenigen Monaten verstarb der Mann an der Krebserkrankung.
Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4105 mit der Begründung ab, dass ein Mesotheliom lediglich wahrscheinlich, nicht aber im Vollbeweis nachgewiesen sei. Da eine Obduktion nicht erfolgt sei, habe das Tumorbild nicht zweifelsfrei geklärt werden können. Die Witwe des Verstorbenen erhob Klage gegen die Berufsgenossenschaft.
Die Richter verurteilten die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Pleuramesotheliome seien zu ca. 70 - 80 % asbestinduziert. Die Diagnose "Mesotheliom" sei eine Ausschlussdiagnose, zu welcher neben der Histologie auch klinische Angaben zur Tumorerkrankung sowie Angaben zur Asbestexposition gehörten. Erfahrungsgemäß lägen zwischen der beruflichen Asbestexposition und der Entwicklung eines Pleuramesothelioms durchschnittlich mehr als 30 Jahre. Unter Umständen reiche eine nur geringfügig vermehrte Asbestbelastung aus, die nicht mit fibrosierenden Lungenveränderungen einhergehe. Aufgrund des variantenreichen histologischen Tumortyps könnten differenzialdiagnostische Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu anderen Tumorerkrankungen bestehen. Vor diesem Hintergrund habe das Europäische Mesotheliompanel ein Wertungsschema entwickelt. Danach gelte die Diagnose "malignes Mesotheliom" medizinisch als gesichert, sofern die Kategorie A (sicheres Mesotheliom) oder die Kategorie B (wahrscheinliches Mesotheliom) vorliege.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sei im Vollbeweis nachzuweisen, dass die entsprechende Erkrankung vorliege. Der juristische Vollbeweis erfordere jedoch keine absolute Sicherheit. Wenn die Diagnose eines Mesothelioms der Kategorie B medizinisch als gesichert gelte, sei auch der juristische Vollbeweis erbracht. Die Anforderungen an den juristischen Vollbeweis gingen bei den Feststellungen medizinischer Tatsachen grundsätzlich nicht über den aktuellen Kenntnistand der medizinischen Wissenschaft hinaus.
Zudem habe die Berufsgenossenschaft die Angehörigen des Verstorbenen nicht auf die Bedeutung einer Obduktion hingewiesen. Der hierdurch eingetretene Beweisnotstand führe dazu, dass weniger hohe Anforderungen an den Nachweis eines Mesothelioms zu stellen seien.
Erläuterungen
Hinweise zur Rechtslage
§ 7 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)
(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
§ 9 SGB VII
(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; (...)
§ 1 Berufskrankheiten/Verordnung (BKV)
Berufskrankheiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (...).
Anlage 1 zur BKV
Nr. 4105: Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.04.2017
Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ ra-online