21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil21.02.2017

Anerkennung eines Rippen­fell­tumors als BerufskrankheitWahrschein­lichkeit eines Mesotheliom genügt als Nachweis

Ein durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells ist eine Berufskrankheit und somit ein Versi­che­rungsfall der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Ein Mesotheliom ist bereits dann nachgewiesen, wenn es aufgrund des aktuellen Kenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft als wahrscheinlich diagnostiziert worden ist. Bei der Feststellung der medizinischen Tatsachen sind insoweit trotz des grundsätzlich erforderlichen juristischen Vollbeweises keine höheren Anforderungen zu stellen. Dies hat das Hessische Landes­so­zi­al­gericht entschieden.

Im vorliegenden Fall war der Erkrankte von 1948 bis 1993 als Schlosser und später als Elektriker tätig. Bei diesen Tätigkeiten musste er Asbestplatten schneiden und häufig Lötarbeiten mit Asbestband durchführen. Im Jahre 2011 erkrankte er an einem Tumor im Bereich des Brustkorbes. Aufgrund des histologischen Befundes wurden ein Mesotheliom sowie hiervon abweichende Erkrankungen diagnostiziert. Nach wenigen Monaten verstarb der Mann an der Krebserkrankung.

Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnt Anerkennung einer Berufskrankheit ab

Die Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnte die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4105 mit der Begründung ab, dass ein Mesotheliom lediglich wahrscheinlich, nicht aber im Vollbeweis nachgewiesen sei. Da eine Obduktion nicht erfolgt sei, habe das Tumorbild nicht zweifelsfrei geklärt werden können. Die Witwe des Verstorbenen erhob Klage gegen die Berufs­ge­nos­sen­schaft.

Medizinisch gesichert bei Diagnose "wahrschein­liches Mesotheliom"

Die Richter verurteilten die Berufs­ge­nos­sen­schaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Pleura­me­so­theliome seien zu ca. 70 - 80 % asbestinduziert. Die Diagnose "Mesotheliom" sei eine Ausschluss­diagnose, zu welcher neben der Histologie auch klinische Angaben zur Tumorerkrankung sowie Angaben zur Asbes­t­ex­po­sition gehörten. Erfahrungsgemäß lägen zwischen der beruflichen Asbes­t­ex­po­sition und der Entwicklung eines Pleura­me­so­thelioms durch­schnittlich mehr als 30 Jahre. Unter Umständen reiche eine nur geringfügig vermehrte Asbestbelastung aus, die nicht mit fibrosierenden Lungen­ver­än­de­rungen einhergehe. Aufgrund des varia­n­ten­reichen histologischen Tumortyps könnten diffe­ren­zi­a­l­dia­gno­s­tische Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu anderen Tumor­er­kran­kungen bestehen. Vor diesem Hintergrund habe das Europäische Mesothe­liompanel ein Wertungsschema entwickelt. Danach gelte die Diagnose "malignes Mesotheliom" medizinisch als gesichert, sofern die Kategorie A (sicheres Mesotheliom) oder die Kategorie B (wahrschein­liches Mesotheliom) vorliege.

Keine absolute Sicherheit für juristischen Vollbeweis erforderlich

Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sei im Vollbeweis nachzuweisen, dass die entsprechende Erkrankung vorliege. Der juristische Vollbeweis erfordere jedoch keine absolute Sicherheit. Wenn die Diagnose eines Mesothelioms der Kategorie B medizinisch als gesichert gelte, sei auch der juristische Vollbeweis erbracht. Die Anforderungen an den juristischen Vollbeweis gingen bei den Feststellungen medizinischer Tatsachen grundsätzlich nicht über den aktuellen Kenntnistand der medizinischen Wissenschaft hinaus.

Fehlender Hinweis auf Bedeutung der Obduktion

Zudem habe die Berufs­ge­nos­sen­schaft die Angehörigen des Verstorbenen nicht auf die Bedeutung einer Obduktion hingewiesen. Der hierdurch eingetretene Beweisnotstand führe dazu, dass weniger hohe Anforderungen an den Nachweis eines Mesothelioms zu stellen seien.

Erläuterungen

Hinweise zur Rechtslage

§ 7 Sozial­ge­setzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Versi­che­rungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufs­krank­heiten.

§ 9 SGB VII

(1) Berufs­krank­heiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufs­krank­heiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechts­ver­ordnung solche Krankheiten als Berufs­krank­heiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; (...)

§ 1 Berufs­krank­heiten/Verordnung (BKV)

Berufs­krank­heiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (...).

Anlage 1 zur BKV

Nr. 4105: Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ ra-online

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