14.11.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 7363

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Urteil26.11.2008Hessisches Landesarbeitsgericht6/18 Sa 740/08
Vorinstanz:
  • Arbeitsgericht Marburg, Urteil11.04.2008, 2 Ca 450/07
ergänzende Informationen

Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil26.11.2008

Entgelt­fort­zahlung auch nach Hormon­be­handlungVerhaltensweise der privaten Lebens­ge­staltung

Das Hessische Landes­a­r­beits­gericht hat entschieden, dass Arbeits­un­fä­hig­keiten, die infolge von Erkrankungen auftreten, die auf eine Hormon­be­handlung zur Beseitigung einer Unfruchtbarkeit zurückzuführen sind, nicht verschuldet im Sinne der Vorschriften des Entgelt­fort­zah­lungs­ge­setzes (EFZG) sind. Mithin schulde der Arbeitgeber für diese Arbeits­un­fä­hig­keits­zeiten der Arbeitnehmerin Entgelt­fort­zahlung im Krankheitsfall.

Hintergrund der gerichtlichen Ausein­an­der­setzung in einem Pflegebetrieb war der Umstand, dass der Arbeitgeber im Umfang von ca. € 2.600,00 netto Entgeltfortzahlung für vier Krank­heits­zeiträume an eine Mitarbeiterin geleistet hatte. Nachdem er aufgrund einer Auskunft der Krankenkasse in Erfahrung gebracht hatte, dass die Erkrankungen, die ursächlich für diese Arbeits­un­fä­hig­keits­zeiten waren, auf eine Hormon­be­handlung zurückzuführen waren, der sich die Mitarbeiterin zur Behebung einer Unfruchtbarkeit unterzogen hatte, verlangte der Arbeitgeber die geleistete Entgelt­fort­zahlung zurück. Er vertrat die Ansicht, die Entgelt­fort­zahlung nicht zu schulden, weil die Hormon­be­handlung freiwillig durchgeführt worden sei und nicht zur Gesundung einer etwaigen Krankheit erfolgt sei. Die Behandlung habe lediglich der Verwirklichung des höchst persönlichen Kinderwunsches der Mitarbeiterin gedient, so dass sie ein Verschulden an den zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen, die auf der Hormon­be­handlung beruht haben, treffe.

Gerichte weisen Klage des Arbeitgebers ab

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Das Berufungs­gericht verneinte einen Rückzah­lungs­an­spruch, denn der Arbeitnehmerin habe ein Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung im Krankheitsfall zugestanden, weil sie in den vier Zeiträumen aufgrund von Krank­heits­ur­sachen ohne ihr Verschulden an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert war. Nach § 3 EFZG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung im Krankheitsfall, wenn er durch Arbeits­un­fä­higkeit infolge einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Eine von der Arbeitnehmerin verschuldete Arbeits­un­fä­higkeit verneinte das Berufungs­gericht.

Hormon­be­handlung ist nicht die Krank­heits­ursache - Nebenwirkungen führten zur Arbeits­un­fä­higkeit

Die Hormon­be­handlung selbst sei nicht Krank­heits­ursache in den vier Zeiträumen gewesen, so dass die Mitarbeiterin insofern die Erkrankungen, die zu ihrer Arbeits­un­fä­higkeit geführt haben, auch nicht schuldhaft herbeigeführt habe. Die Beschäftigte habe zur Behebung einer Unfruchtbarkeit im Hinblick auf einen von ihr gehegten Kinderwunsch eine Hormon­be­handlung durchgeführt, die entsprechende Nebenwirkungen und Unver­träg­lich­keiten hatte, die dann zur Arbeits­un­fä­higkeit führten.

Arbeitnehmer sind im Rahmen des Üblichen Entscheidungen der privaten Lebensführung gestattet, die mittelbar Krankheiten nach sich ziehen können

Formen der privaten Lebens­ver­wirk­lichung seien freiwillige und rein private Entscheidungen, die als mittelbare Folge Krankheiten nach sich ziehen können, die zur Arbeits­un­fä­higkeit führen. Solche Erkrankungen seien jedoch in keiner Weise von dem Arbeitnehmer beabsichtigt. Die Rechtsordnung gestatte ohne Ausschluss des Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruchs, dass ein Arbeitnehmer im Rahmen des Üblichen eine private und von seinen eigenen Interessen getragene Lebensführung haben darf. Lediglich wenn er hierüber hinausgehe, indem er eine besonders gefährliche Lebensweise ausübe, nehme die Rechtsordnung ein Verschulden an, weil der Arbeitnehmer dann grob gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoße.

Hormon­be­handlung unter ärztlicher Anleitung ist erlaubt

Dass eine Arbeitnehmerin sich unter ärztlicher Anleitung einer Hormon­be­handlung unterziehe, sei jedoch eine Verhaltensweise der privaten Lebens­ge­staltung, die in keiner Weise gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoße. Dies könne allenfalls dann angenommen werden, wenn besondere Umstände hinzutreten, in denen beispielsweise der Erfolg der Hormon­be­handlung und die mit ihr einhergehenden voraussehbaren Erkrankungen in keinem Verhältnis mehr stünden, was im Streitfall nicht ersichtlich war.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 02/09 des LAG Hessen vom 30.01.2009

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