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Dokument-Nr. 29601

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Urteil04.12.2020Hamburgisches VerfassungsgerichtHVerfG 4/20
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Hamburgisches Verfassungsgericht Urteil04.12.2020

Hamburgisches Verfas­sungs­gericht stoppt Volksbegehren für Streichung der SchuldenbremseHamburger Volksbegehren darf nicht durchgeführt werden

Das Volksbegehren für ein "Gesetz zur Streichung der Schuldenbremse aus der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg" darf nicht durchgeführt werden. Das hat das Hamburgische Verfas­sungs­gericht mit Urteil vom 4. Dezember 2020 entschieden.

Die vorgeschlagene Verfas­sung­s­än­derung könne, so das Gericht, nicht im Wege der Volks­ge­setz­gebung umgesetzt werden, denn sie würde wesentliche verfas­sungs­rechtliche Vorgaben für den Landeshaushalt verändern, deren Aufstellung allein der Bürgerschaft vorbehalten sei. Außerdem sei das vorgeschlagene Gesetz mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, das die sog. Schuldenbremse für Bund und Länder verbindlich vorschreibe. Eine Änderung der Hamburger Landes­ver­fassung, durch die eine grund­ge­set­z­widrige Rechtslage auf Landesebene entstünde, könne nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein. Die Entscheidung des Gerichts ist einstimmig ergangen.

Hamburger Senat legte Rechtsmittel gegen Durchführung des Volksbegehrens ein

Auf Antrag des Senats hatte das Verfas­sungs­gericht über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. Im April 2019 hatten die Initiatoren einen Gesetzentwurf zur Änderung der Hamburgischen Verfassung vorgelegt, wonach die im Jahr 2012 erfolgte Einführung der sog. Schuldenbremse in der Hamburgischen Verfassung rückgängig zu machen sei. Nach Einreichen der erforderlichen Unterschriften hatte der Senat festgestellt, dass die Volksinitiative zustande gekommen sei, die Bürgerschaft hatte das Gesetz in der Folge jedoch nicht verabschiedet. Die Initiatoren beantragten daher im März 2020, ein Volksbegehren nach dem Hamburgischen Volks­ab­stim­mungs­gesetz durchzuführen. Daraufhin hat der Senat im April 2020 das Hamburgische Verfas­sungs­gericht angerufen und die Feststellung beantragt, dass das Volksbegehren nicht durchzuführen sei.

Volksbegehren betraf Haushaltspläne, die landes­ver­fas­sungs­rechtlich der Hamburger Volks­ge­setz­gebung entzogen sind

Nach der Entscheidung des Verfas­sungs­ge­richts fällt die vorgeschlagene Streichung der sog. Schuldenbremse unter den Ausschlussgrund der "Haushaltspläne", die nach Art. 50 der Hamburgischen Landes­ver­fassung der Volks­ge­setz­gebung entzogen sind. Dazu gehörten jedenfalls auch die wesentlichen verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben für die Feststellung der Haushaltspläne, da nur so die Budgethoheit des Parlaments und damit seine haushalts­po­li­tische Gesamt­ver­ant­wortung gewahrt bleibe. Dies gelte auch dann, wenn das vorgeschlagene Gesetz im Einzelfall eine Beschränkung des Parlaments (wie hier das grundsätzliche Verbot der Netto-Kreditaufnahme) beseitigen würde.

Schuldenbremse schützt Hamburger Bürgerschaft vor sich selbst: Entschei­dungs­spielräume sollen nicht durch zu hohe Schulden verengt werden

Denn die sog. Schuldenbremse sichere die Entschei­dungs­spielräume der Bürgerschaft gerade davor, durch besorg­nis­er­regende Schuldenstände in der Zukunft faktisch verengt zu werden. Die Aufnahme der sog. Schuldenbremse in die Landes­ver­fassung als zusätzliche Selbst­be­schränkung neben den Vorgaben des Grundgesetzes unterstreiche den hohen Stellenwert, den die Bürgerschaft ihr beigemessen habe. Die Veränderung wesentlicher verfas­sungs­recht­licher Vorgaben für die Feststellung der Haushaltspläne durch das vorgeschlagene Gesetz zeige sich zudem darin, dass mit seinem Inkrafttreten die Ausnah­me­re­ge­lungen zur sog. Schuldenbremse des Grundgesetzes abgeschafft würden. Ohne eine Änderung der Landes­haus­halts­ordnung verlöre die Bürgerschaft so die Möglichkeit, in außer­ge­wöhn­lichen Notsituationen wie der gegenwärtigen Corona-Pandemie vom grund­ge­setz­lichen Verbot der Netto-Kreditaufnahme abzuweichen.

Streichung der Schuldenbremse auf Landesebene wäre Verstoß gegen Grundgesetz

Dem Volksbegehren stehe auch entgegen, dass die vorgeschlagene Streichung der sog. Schuldenbremse auf Landesebene gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Anders als die Initiatoren argumentiert hatten, habe das Hamburgische Verfas­sungs­gericht das vorgeschlagene Gesetz umfassend auf die Vereinbarkeit mit höherrangigen Recht zu prüfen, wozu auch die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gehöre. Andernfalls könnte ein im Wege der Volks­ge­setz­gebung zustande gekommenes Gesetz erst nachträglich, etwa in einem sog. Normen­kon­troll­ver­fahren, auf seine Konformität mit dem Grundgesetz überprüft werden, was mit einem unangemessen hohen organi­sa­to­rischen und finanziellen Aufwand verbunden wäre. Mit der in Art. 109 Abs. 3 GG verankerten sog. Schuldenbremse mache das Grundgesetz den Ländern rechtlich bindende Vorgaben bei den Möglichkeiten zur Neuverschuldung. Danach gelte ein grundsätzliches Verbot der Kreditaufnahme außerhalb konjunktureller Schwächephasen und von Notsituationen; in Phasen des wirtschaft­lichen Aufschwungs müssten Kredite zurückgeführt werden. Mit diesen Vorgaben wäre eine Wieder­her­stellung der in Hamburg vor Einführung der sog. Schuldenbremse im Jahre 2012 geltenden Rechtslage nicht zu vereinbaren. Denn diese habe schon in der Vergangenheit keinen effektiven Schutz vor Neuver­schul­dungen geboten. Der Geset­zes­vor­schlag könne auch nicht grund­ge­setz­konform ausgelegt werden, weil die Begründung gerade als Ziel vortrage, einen Beitrag zur Abschaffung dieser Beschränkungen leisten zu wollen.

Volksbegehren hatte bundesweite Debatte über Schuldenbremse zum Ziel

Soweit der Senat gegen die Gesetzesvorlage außerdem vorgebracht hatte, sie sei irreführend und verstoße gegen das Demokratie- und Rechts­s­taats­prinzip, da den Stimm­be­rech­tigten suggeriert werde, das vorgeschlagene Gesetz werde die Möglichkeiten einer Netto­kre­dit­aufnahme erweitern, ist das Verfas­sungs­gericht dem nicht gefolgt. Jedenfalls aus der vollständigen Begründung des Gesetzentwurfs ergebe sich ein Hinweis auf die fortbestehende Bindung an die Beschränkungen der Kreditaufnahme aus dem Grundgesetz. Das Ziel der Initiative, eine bundesweite Debatte über die sog. Schuldenbremse anzustoßen, ohne sie in Hamburg jedoch unmittelbar außer Kraft setzen zu können, werde ausreichend deutlich.

Volksbegehren in der Hamburger Landes­ver­fassung

Zum Hintergrund: Nach der Landes­ver­fassung und dem Volks­ab­stim­mungs­gesetz gilt ein dreistufiges Verfahren für Geset­ze­s­entwürfe und andere Vorlagen, die von Bürgern in der vorgesehenen Form eingereicht werden. Für das Zustandekommen einer Volksinitiative ist die Unterstützung von 10.000 Wahlbe­rech­tigten erforderlich. Auf der nächsten Stufe eines Volksbegehrens sind Unterschriften von 1/20 der Wahlbe­rech­tigten erforderlich. Das Hamburgische Verfas­sungs­gericht hat auf Antrag über die Durchführung eines Volksbegehrens zu entscheiden und zu prüfen, ob es einen zulässigen Gegenstand hat und auch im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Beschließt die Bürgerschaft auch nach einem zustande gekommenen Volksbegehren kein entsprechendes Gesetz, kann es auf der dritten Stufe zu einem Volksentscheid kommen, bei dem alle Wahlberechtigen aufgerufen sind, gemeinsam über das Zustandekommen des Gesetzes zu entscheiden. Für eine Verfas­sung­s­än­derung ist beim Volksentscheid eine qualifizierte Zweidrit­tel­mehrheit erforderlich.

Quelle: Hamburgisches Verfassungsgericht, ra-online (pm/we)

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