21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen ein Formular für die Steuererklärung.
ergänzende Informationen

Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil04.07.2018

Knappes amtsärztliches Attest kann für steuerliche Absetzbarkeit von Aufwendungen für wissen­schaftlich nicht anerkannte Heilmethoden ausreichend seinAn "Gutachten" eines Amtsarztes sind in Bezug auf Form und Inhalt keine höheren Anforderungen als an eine "Bescheinigung" zu stellen

Mit nun rechtskräftigem Urteil vom 4. Juli 2018 (1 K 1480/16) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) entschieden, dass ein Steuer­pflichtiger Kosten für eine wissen­schaftlich nicht anerkannte Heilmethode auch dann als sog. außer­ge­wöhnliche Belastung steuerlich geltend machen kann, wenn er dem Finanzamt zum Nachweis der Erfor­der­lichkeit der Behandlung nur eine kurze Stellungnahme des Amtsarztes und kein ausführliches Gutachten vorlegt.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ab Februar 2011 ließen die Kläger ihre 2 ½-jährige und wegen Komplikationen bei der Geburt schwer­be­hinderte Tochter in einem von zwei Heilpraktikern betriebenen "Natur­heil­zentrum" behandeln. Nachdem die Krankenkasse die Erstattung der Kosten (16.800 Euro) abgelehnt hatte, machten die Kläger die Aufwendungen im Rahmen ihrer Einkom­men­steu­e­r­er­klärung als außer­ge­wöhnliche Belastung geltend und legten ein priva­t­ärzt­liches Attest einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (Homöopathie) vor. Diese kam zu dem Ergebnis, dass bei dem schweren Krankheitsbild jeder Versuch, das Ergebnis zu verbessern, für die Familie wichtig und auch medizinisch jeder positive Impuls für das Kind zu begrüßen sei, weshalb sie auch ärztlich die Teilnahme am Förderprogramm des Natur­heil­zentrums empfehle. Auf diesem Attest hatte der zuständige Amtsarzt vermerkt: "Die Angaben werden amtsärztlich bestätigt".

Finanzamt erkennt außer­ge­wöhnliche Belastung nicht an

Das beklagte Finanzamt erkannte die Behand­lungs­kosten nicht als außer­ge­wöhnliche Belastung an mit der Begründung, dass die knappe Äußerung des Amtsarztes kein "Gutachten" darstelle.

Nachweis der Erforderlich- bzw. Zwangs­läu­figkeit auch mit Bescheinigung erbracht

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Wie das Finanzamt war auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz der Auffassung, dass die Tochter der Kläger mit wissen­schaftlich nicht anerkannten Methoden behandelt worden sei, so dass der Nachweis der Erforderlich- bzw. Zwangs­läu­figkeit nach § 64 Einkommensteuer-Durch­füh­rungs­ver­ordnung (EStDV) in qualifizierter Form geführt werden müsse. Diese Anforderungen - so das Finanzgericht - seien aber erfüllt. Zwar enthalte der Wortlaut des § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStDV tatsächlich den Begriff "amtsärztliches Gutachten". Die Vorschrift ermächtige jedoch nicht nur den Amtsarzt, sondern in gleicher Weise auch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse, die Zwangs­läu­figkeit von Aufwendungen bei unkon­ven­ti­o­nellen Behand­lungs­me­thoden zu bestätigen. Hierfür müsse der medizinische Dienst nur eine "Bescheinigung" ausstellen. Vor diesem Hintergrund und mit Rücksicht auf Sinn, Zweck und historische Entwicklung der Vorschrift seien daher an das "Gutachten" des Amtsarztes in Bezug auf Form und Inhalt keine höheren Anforderungen als an eine "Bescheinigung" zu stellen.

Kontext der Entscheidung: Nach § 33 EStG wird einem Steuer­pflichtigen, dem zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuer­pflichtigen gleicher Einkommens- und Vermö­gens­ver­hältnisse und gleichen Familienstands entstehen, auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der die zumutbare Belastung übersteigende Teil dieser Aufwendungen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Die Zwangs­läu­figkeit von krank­heits­be­dingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel wird i.d.R. durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachgewiesen. Nach dem durch das "Steuer­ver­ein­fa­chungs­gesetz 2011" aufgrund der Ermächtigung in § 33 Abs. 4 EStG eingeführten § 64 EStDV ist bei bestimmten Maßnahmen und Aufwendungen der Nachweis der Zwangs­läu­figkeit allerdings in qualifizierter Form zu führen. § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStDV gibt vor, dass die Zwangs­läu­figkeit "durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Kranken­ver­si­cherung" zu führen ist u.a. bei wissen­schaftlich nicht anerkannten Behand­lungs­me­thoden. Der so zu führende Nachweis muss gem. § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein. Mit Inkrafttreten des Steuer­ver­ein­fa­chungs­ge­setzes 2011 sollten die bis dahin in den Einkom­men­steu­er­richt­linien (R 33.4 EStR) enthaltenen Anforderungen an die Nachweise der Zwangs­läu­figkeit, Notwendigkeit und Angemessenheit von Krank­heits­kosten gesetzlich festgeschrieben werden. R 33.4 EStR in der damals gültigen Fassung verlangte bei wissen­schaftlich nicht anerkannten Behand­lungs­me­thoden den Nachweis der Zwangs­läu­figkeit durch ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest. Diesem wurde eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes gleichgestellt. Bei einer wörtlichen Übernahme dieser Verwal­tungs­an­weisung in die Regelung des § 64 EStDV, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, wäre damit auch weiterhin ein Attest des Amtsarztes ausreichend gewesen. Weshalb im weiteren Verlauf des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens das Wort "Attest" durch das Wort "Gutachten" ausgetauscht wurde (Beschluss­emp­fehlung des Finan­z­aus­schusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 17/6105, S. 23), ist hingegen nicht ersichtlich.

Quelle: Finanzgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil26879

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI