14.11.2024
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Finanzgericht Münster Beschluss01.08.2011

FG Münster äußert erhebliche Zweifel an Verstoß gegen Gemeinschafts­recht durch so genannte Sanierungs­klauselVerlust­ab­zugs­verbot des § 8 c Abs. 1 Satz 2 KStG verstößt möglicherweise gegen Gleich­heits­grundsatz

Das Finanzgericht Münster äußerte erhebliche Zweifel, ob die so genannte Sanie­rungs­klausel des § 8 c Abs. 1a KStG tatsächlich – wie die Europäische Kommission festgestellt hat – als unzulässige Beihilfe anzusehen ist. Das Finanzgericht hat daher im Streitfall die Vollziehung von Steuer­be­scheiden ausgesetzt, in denen das Finanzamt unter Hinweis auf § 8 c Abs. 1 KStG Verluste nicht mehr berücksichtigt hatte, obwohl unstreitig die Voraussetzungen der Sanie­rungs­klausel erfüllt waren.

Körperschaften – wie z.B. im Streitfall eine GmbH – können grundsätzlich nicht genutzte Verluste aus Vorjahren mit Gewinnen verrechnen. Werden jedoch Gesell­schafts­anteile übertragen, d.h. kommt es zu einem Gesellschafterwechsel, so verbietet § 8 c Abs. 1 KStG in bestimmten Fällen ganz oder teilweise den Abzug früherer Verluste. Diese Beschränkung des Verlustabzugs gilt allerdings gem. § 8 c Abs. 1a KStG nicht, wenn der Betei­li­gungs­erwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäfts­be­triebs erfolgt. Daher ist die Verlustnutzung in Sanie­rungs­fällen unter bestimmten Voraussetzungen trotz einer „schädlichen“ Anteils­über­tragung im Sinne des § 8 c Abs. 1 KStG möglich.

Deutsche Finanzämter dürfen Sanie­rungs­klausel aufgrund der Entscheidung der Kommission grundsätzlich nicht mehr anwenden

Die Europäische Kommission sieht allerdings in § 8 c Abs. 1a KStG eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe. Aufgrund einer entsprechenden Entscheidung der Kommission vom 26. Januar 2011 dürfen deutsche Finanzämter die Sanie­rungs­klausel grundsätzlich nicht mehr anwenden – trotz der seitens der Bundesregierung insoweit beim Gericht der Europäischen Union erhobenen Nichtig­keitsklage.

Neuregelung gefährdet Fortbestand des Unternehmens

Im Streitfall hatte die Entscheidung der Europäischen Kommission zur Folge, dass das Finanzamt zunächst bei der Antragstellerin wegen der Geltung der Sanie­rungs­klausel des § 8 c Abs. 1a KStG berücksichtigte Verluste nicht mehr anerkannt hat. Die Antragstellerin sieht sich daher Steuer­for­de­rungen gegenüber, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Sie beantragte deshalb, die Vollziehung der Steuerbescheide trotz der Entscheidung der Europäischen Kommission auszusetzen.

Gericht aufgrund ernstlicher Zweifel in Ausnahmen zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes befugt

Das Finanzgericht Münster hat dem Antrag mit Blick auf den ansonsten für die Antragstellerin drohenden schweren, nicht wieder­gutz­u­ma­chenden Schaden entsprochen und seine Entscheidung mit ernstlichen Zweifeln an der Auffassung der Europäischen Kommission begründet. Nicht nur das Gericht der Europäischen Union, sondern auch die nationalen Gerichte seien in einem solchen Fall zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes befugt. Es sei fraglich, ob die (den Verlustabzug erhaltende) Sanie­rungs­klausel eine begünstigende Ausnahme vom „Normalfall“ der Besteuerung enthalte. Denn zweifelhaft sei, ob als „Normalfall“ der grundsätzlich zugelassene Verlustabzug oder die Abzugs­be­schränkung des § 8 c Abs. 1 KStG angesehen werden müsse. Zudem gelte die Sanie­rungs­klausel für jedes Unternehmen, das sich in finanziellen Schwierigkeiten befinde, ohne dass eine Bevorzugung bestimmter Branchen oder Unternehmen ersichtlich sei.

Finanzgericht hält Verfas­sungs­wid­rigkeit des Verlust­ab­zugs­verbot des § 8 c Abs. 1 Satz 2 KStG nicht für ausgeschlossen

Das Gericht wies zudem darauf hin, dass eine Aussetzung der Vollziehung – ungeachtet der Frage der Gemein­schafts­wid­rigkeit der Sanie­rungs­klausel – auch deshalb geboten sei, weil das Verlust­ab­zugs­verbot des § 8 c Abs. 1 Satz 2 KStG möglicherweise gegen den Gleich­heits­grundsatz des Art. 3 GG verstoße und verfassungswidrig sei. Entsprechende Bedenken ergäben sich jedenfalls mit Blick auf den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 4. April 2011, mit dem die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 8 c Abs. 1 Satz 1 KStG dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vorgelegt worden sei. Auch bestehe ein besonders gewichtiges Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung, weil ihr andernfalls irreparable Nachteile drohten.

Quelle: Finanzgericht Münster/ra-online

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