18.10.2024
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Gerichtsbescheid03.05.2021Niedersächsisches Finanzgericht9 K 168/20
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Niedersächsisches Finanzgericht Gerichtsbescheid03.05.2021

Wirksame Einspruchs­rü­cknahme am Tag der Bekanntgabe der verbösernden Einspruchs­entscheidung außerhalb der Drei-Tages-FiktionNieder­säch­sisches FG zur zeitlichen Gültigkeit einer Einspruchs­rü­cknahme

Das Nieder­säch­sische FG hat - soweit ersichtlich - als erstes Finanzgericht zu der Frage Stellung genommen, ob eine Einspruchs­rü­cknahme (§ 362 Abs. 1 AO) auch dann noch bis zum Ablauf des Tages des tatsächlichen Zugangs der verbösernden Einspruchs­entscheidung wirksam ist, wenn deren Bekanntgabe nach Ablauf der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgt. Zuvor hatte der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 26.2.2002 entschieden, dass - bei Zugang der verbösernden Einspruchs­entscheidung innerhalb der Drei-Tages-Bekannt­ga­befrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO - eine vorherige Kenntnis des Inhalts unschädlich und Rücknahme des Einspruchs noch bis zum Ablauf der Drei-Tages-Frist zulässig ist.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die steuerlichen Berater des Klägers - nach vorheriger Androhung einer Verböserung durch das beklagte Finanzamt (FA) - den Einspruch am 22.10.2019 (Faxeingang beim FA um 18.57 Uhr) zurückgenommen. Nachdem das FA den Kläger auf die vermeintlich zuvor erfolgte Bekanntgabe mit Ablauf des drittens Tages nach der Aufgabe zur Post (21.10.2019) und die Unwirksamkeit der Rücknahme hingewiesen hatten, erbrachten die steuerlichen Berater den Nachweis, dass die Einspruch­s­ent­scheidung erst am 22.10.2019 tatsächlich in ihrem Büro eingegangen war. Der genaue Zeitpunkt des Zugangs innerhalb des Tages konnte nicht festgestellt werden.

Finanzamt lehnte Aufhebung der Einspruch­s­ent­scheidung ab

Das FA ging jedoch davon aus, dass der tatsächliche Zugang der Einspruch­s­ent­scheidung jedenfalls vor dem Eingang der Rücknahme erfolgt sein müsse und lehnte aufgrund dessen eine Aufhebung der Einspruch­s­ent­scheidung ab. Selbst bei Wirksamkeit der Rücknahme müsse die Einspruch­s­ent­scheidung bestehen bleiben, denn hierin sei gleichzeitig eine ändernde Festsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu sehen, die noch vor Ablauf der Festset­zungs­ver­jäh­rungsfrist erfolgt sei. Der Kläger vertrat dagegen die Auffassung, dass eine Rücknahme aus Gleich­be­hand­lungs­gründen auch bei Bekanntgabe außerhalb der Drei-Tages-Frist noch bis zum Ablauf des Zugangstages möglich sein müsse. In der verbösernden Einspruch­s­ent­scheidung sei zugleich kein Änderungs­be­scheid zu sehen. Ein solcher könne auch nicht mehr ergehen, weil die reguläre Festset­zungsfrist bereits abgelaufen und Festset­zungs­ver­jährung nur wegen des zuvor noch laufenden Einspruchs­ver­fahrens noch nicht eingetreten sei (§ 171 Abs. 3a AO).

Rücknahme des Einspruchs bis zum Ablauf des Bekannt­ga­betages möglich

Das FG hat der Klage stattgegeben. Aus teleologischen, geset­zes­sys­te­ma­tischen und letztlich auch verfas­sungs­recht­lichen Erwägungen heraus ist es aus des FG geboten, § 362 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO so auszulegen, dass eine Rücknahme des Einspruchs zur Vermeidung einer verbösernden Einspruch­s­ent­scheidung auch dann noch bis zum Ablauf des Bekannt­ga­betages wirksam ist, wenn der tatsächliche Zugang außerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 AO erfolgt. Das FG geht davon aus, dass der Gesetzgeber in der Vorschrift des § 362 Abs. 1 AO, die die Rücknahme eines Einspruchs "bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch" ermöglicht, durch die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe den Ablauf des Tages der Bekanntgabe gemeint hat und nicht den stunden-, minuten- und sekundengenauen Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs. Da die Verfah­rens­ordnung ein Festhalten eines exakten Zugangs­zeit­punktes nicht vorsieht und dieses von den Beteiligten daher in der Regel auch nicht vorgenommen wird, würde eine andere Auslegung im Übrigen letztlich immer darauf hinauslaufen, dass im Konfliktfall eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Rücknahme mangels tatsächlicher Feststellungen zu einer Beweislastfrage würde.

Verbösernde Einspruch­s­ent­scheidung kein Änderungs­be­scheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

Eine solche Geset­zes­aus­legung, die als Folge in der Rechtsanwendung nicht praktisch handhabbar ist und - abgesehen von krassen Ausnahmefällen - in Konfliktfällen nur zu Beweis­las­tent­schei­dungen führen kann, kann - so das FG - gerade auch angesichts des Gesetzeszwecks des § 362 Abs. 1 AO nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Das FG hat schließlich ausgeschlossen, dass eine verbösernde Einspruch­s­ent­scheidung gleichzeitig ein Änderungs­be­scheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist.

Quelle: Niedersächsisches Finanzgericht, ra-online (pm/aw)

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