Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls hatte 1993 die Gesellschaftsanteile an einer in der ehemaligen DDR enteigneten Kommanditgesellschaft erworben und sich Rückübertragungsansprüche abtreten lassen. Allerdings waren die Vermögensgegenstände der Gesellschaft bereits 1991 vom damaligen Betreiber veräußert worden. Seine Zivilklage gegen die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) auf Zahlung des Veräußerungserlöses und einer Entschädigung blieb erfolglos, weil der Kläger den von ihm behaupteten Verkehrswert des Unternehmens nicht nachweisen konnte. Weil das Finanzamt seine Prozesskosten von rund 5.000 Euro weder als Betriebsausgaben noch als außergewöhnliche Ausgaben berücksichtigte, zog er vor das Finanzgericht.
Das Finanzgericht Hamburg wies seine Klage jedoch ab. Bei den Kosten handele es sich nicht um Betriebsausgaben. Der Zivilprozess sei nicht betrieblich veranlasst gewesen, weil eine Rückübertragung des Unternehmens von vornherein ausgeschlossen gewesen sei. Diese Kosten seien allerdings auch keine "außergewöhnliche Belastung" im Sinne des Einkommensteuergesetzes.
Außergewöhnliche Belastungen sind private Aufwendungen, die ausnahmsweise steuerlich zu berücksichtigen sind, weil sie zwangsläufig und notwendig sind. Nach Ansicht des Gerichts sind die Prozesskosten des Klägers nicht zwangsläufig gewesen. Er habe die Ansprüche gegen die BvS freiwillig erworben und damit auch freiwillig das Risiko übernommen, ob die Ansprüche durchgesetzt werden können, gegebenenfalls durch eine Klage. Ein Zusammenhang mit dem notwendigen Lebensbedarf des Klägers und seiner Familie sei nicht erkennbar.
Mit dieser Entscheidung weicht das Finanzgericht Hamburg ausdrücklich von der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab. Der Bundesfinanzhof hat seine frühere ständige Rechtsprechung, dass bei Kosten eines Zivilprozesses eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit spreche, mit Urteil vom 12. Mai 2011 aufgegeben.
Zivilprozesskosten seien grundsätzlich zwangsläufig, weil der Bürger wegen des staatlichen Gewaltmonopols seine Ansprüche nicht selbst, sondern nur über die Einschaltung der Gerichte durchsetzen dürfe. Etwas anderes gelte nur für den, der sich mutwillig oder leichtfertig auf einen Prozess eingelassen habe. Diese Rechtsprechungsänderung ist auf geteiltes Echo gestoßen. Das Bundesministerium der Finanzen hat die Anwendung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs durch die Finanzverwaltung am 20. Dezember 2011 durch Erlass eines "Nichtanwendungserlasses" unterbunden.
Das Finanzgericht Hamburg ist der Auffassung, dass bei der Frage nach der Zwangsläufigkeit eines Zivilprozesses nicht außer Acht bleiben könne, ob auch das den Prozess auslösende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig gewesen sei. Andernfalls würden Prozesskosten in höherem Maße berücksichtigt als andere privat veranlasste Aufwendungen. Außerdem hat das Gericht Bedenken, ob es angesichts der Vielgestaltigkeit und der möglichen rechtlichen und tatsächlichen Komplexität von Zivilprozessen überhaupt praktikabel ist, dass die Finanzverwaltung die Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses im Rahmen der Veranlagung überprüft.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 23.10.2012
Quelle: Finanzgericht Hamburg/ra-online