14.11.2024
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Dokument-Nr. 6657

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Europäisches Gericht Erster Instanz Urteil06.06.2002

Airtours und First Coice dürfen fusionieren

Das Gericht erster Instanz erklärt die Entscheidung der Kommission für nichtig, mit der der Zusammenschluss von Airtours und First Choice für unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt erklärt worden ist. Angesichts zahlreicher Beurtei­lungs­fehler der Kommission gelangt das Gericht erster Instanz zu der Auffassung, dass diese die negativen Auswirkungen des Zusam­men­schlusses auf den Wettbewerb nicht hinreichend nachgewiesen habe.

Airtours ist eine britische Gesellschaft, die im Vereinigten Königreich Pauschalreisen, bestehend aus Reise und Unterkunft, zu Kurzstre­cken­zielen (Spanien, Griechenland, Türkei usw.) vertreibt. Ihre Haupt­kon­kur­ren­tinnen sind die Gesellschaften Thomson, Thomas Cook und First Choice.

Am 29. April 1999 machte Airtours für First Choice ein öffentliches Übernah­me­angebot. Gemäß den geltenden Gemein­schafts­vor­schriften meldete Airtours dieses Zusam­men­schluss­vorhaben bei der Kommission an.

Mit Entscheidung vom 22. September 1999 erklärte die Kommission den Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt, da er zu einer kollektiven beherrschenden Stellung von Airtours/First Choice und den beiden anderen großen Reise­ver­an­staltern auf dem britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen (Thomson und Thomas Cook) geführt hätte, weil für diese Unternehmen ein Anreiz bestehen würde, das auf den Markt gebrachte Angebot einzuschränken, wodurch es zu einem Anstieg der Preise und Erträge kommen dürfte.

Nach den Angaben der Kommission würde die Übernahme von First Choice durch Airtours zu einer starken Konzentration mit Marktanteilen der drei genannten Reise­ver­an­stalter, die zusammen derzeit 68 % Marktanteile hielten, von insgesamt 79 % führen.

Diese drei Reise­ver­an­stalter könnten dann ihr Verhalten stillschweigend koordinieren (ohne auf eine Vereinbarung oder ein Kartell zurückzugreifen) und aufgrund eines einheitlichen Vorgehens höhere Tarife durchsetzen, als sie sich aus einem wirksamen Wettbewerb ergeben würden. Die kleinen unabhängigen Reise­ver­an­stalter würden durch diese neue Marktstruktur noch weiter marginalisiert.

Airtours wendet sich gegen die Beurteilung der Kommission und hat beim Gericht erster Instanz der EG Klage auf Nichti­g­er­klärung der Entscheidung der Kommission erhoben. Airtours ist nämlich der Auffassung, dass die Kommission mehrere Beurtei­lungs­fehler begangen habe und nicht hinreichend dartue, inwiefern der Zusammenschluss eine kollektive beherrschende Stellung begründen würde.

Das Gericht erster Instanz erinnert daran, dass das Verbot eines Zusam­men­schlusses voraussetze, dass dessen unmittelbare und sofortige Folge die Begründung oder Verstärkung einer kollektiven beherrschenden Stellung wäre, die einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt erheblich und dauerhaft behindern würde.

Nach Ansicht des Gerichts erster Instanz weist die Kommission nicht nach, dass der Zusammenschluss zur Begründung einer wettbe­wer­bs­be­schrän­kenden kollektiven beherrschenden Stellung auf dem britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen geführt hätte.

Für die Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein.

Zunächst müsse jedes Mitglied des Oligopols aufgrund der Merkmale des relevanten Marktes das Verhalten der anderen Mitglieder in Erfahrung bringen können, um einheitlich vorgehen zu können.

Ferner müssten die Mitglieder des Oligopols dauerhaft abgeschreckt werden, vom festgelegten Vorgehen abzuweichen.

Schließlich dürfte dieses Vorgehen von den anderen Konkurrenten (den .kleinen Reise­ver­an­staltern“), den potenziellen Konkurrenten (den Reise­ver­an­staltern auf anderen Märkten) oder den Kunden nicht gefährdet werden können.

Das Gericht erster Instanz ist der Auffassung, dass die Kommission nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - belegt habe, dass der Zusammenschluss die drei großen Reise­ver­an­stalter dazu verleiten würde, einander keine Konkurrenz mehr zu machen. Die drei Voraussetzungen für die kollektive beherrschende Stellung seien nicht erfüllt. Erstens habe die Kommission zu Unrecht angenommen, dass die großen Reise­ver­an­stalter durch den Zusammenschluss ihre jeweiligen Geschäftss­tra­tegien leichter durchschauen und sie übernehmen könnten.

Zweitens seien die Gegenmaßnahmen, denen sich ein Mitglied des Oligopols aussetzen könnte, wenn es vom gemeinsamen Vorgehen abweichen würde, von der Kommission nicht eindeutig festgestellt und bewiesen worden.

Drittens habe die Kommission bei der Einschätzung der Reaktion der kleinen Reise­ver­an­stalter, der potenziellen Konkurrenten und der britischen Verbraucher einen Beurtei­lungs­fehler begangen. Sie habe nämlich deren Rolle als Gegengewicht bei der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung unterschätzt. Die Konkurrenten könnten ihr Angebot erweitern, um die Möglichkeiten zu nutzen, die ein etwaiger Versuch einer Angebots­be­schränkung mit Sicherheit bieten würde. Außerdem bestünde in einer solchen Situation für die Reise­ver­an­stalter auf anderen räumlichen Märkten oder auf dem britischen Markt für Langstrecken-Pauschalreisen ein Anreiz, schnell in den relevanten Markt einzutreten.

Im Hinblick auf die Verbraucher trägt die Kommission vor, dass sie keine signifikante Nachfragemacht hätten. Nach Ansicht des Gerichts erster Instanz muss vor allem geprüft werden, ob sie auf den Preisanstieg reagieren könnten, zu dem es käme, wenn das von den großen Reise­ver­an­staltern auf den Markt gebrachte Angebot beschränkt würde. Diese Reaktion sei möglich, da die Verbraucher Preisvergleiche anstellen würden und sich kleinen Reise­ver­an­staltern oder anderen Reisezielen zuwenden könnten, wenn der Preis für Kurzstrecken-Pauschalreisen auf ein wettbe­wer­bs­widriges Niveau festgesetzt werden sollte.

Aufgrund dieser Beurteilung gelangt das Gericht erster Instanz zu der Feststellung, dass die Entscheidung der Kommission hinsichtlich von Faktoren, die für die Beurteilung der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung wesentlich seien, Beurtei­lungs­fehler aufweise.

Das Gericht erster Instanz der EG stellt fest, dass die Kommission den Zusammenschluss untersagt habe, ohne darzutun, dass er den Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigen würde, und erklärt die Entscheidung für nichtig.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 50/02 des EuG erster Instanz vom 06.06.2002

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