18.10.2024
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil03.11.2009

EGMR: In Klassenzimmern aufgehängte Kreuze verletzen Glaubens- und Religi­o­ns­freiheitKeine Kruzifixe in italienischen Klassenzimmern

In Klassenzimmern italienischer Schulen dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Kruzifixe mehr aufgehängt werden. Das Gericht sah einen Verstoß gegen die Europäische Menschen­rechts­kon­vention (EMRK).

Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Mutter geklagt, deren Kinder (damals 11 und 13 Jahre alt) im Schuljahr 2001/2002 eine staatliche italienische Schule besucht hatten. In allen Klassenzimmern, in denen die Kinder unterrichtet wurden, hingen Kreuze an der Wand. Die Mutter meinte, dass das Anbringen der Kreuze gegen das Neutra­li­tätsgebot des Staates verstößt. Sie teilte ihre Auffassung der Schule mit und bezog sich auf ein Urteil des italienischen Kassa­ti­o­ns­ge­richts aus dem Jahr 2000, wonach Kreuze in Wahllokalen gegen das staatliche Neutra­li­tätsgebot verstoßen. Im Mai 2002 entschied die Schulleitung, die Kreuze hängen zu lassen. Hiergegen klagte die Mutter vor den italienischen Gerichten. Stets wurde ihre Klage abgewiesen.

Italienisches Gericht: Kruzifix in der Schule ist ein Symbol der italienischen Geschichte und Kultur

2005 stellte ein Verwal­tungs­gericht fest, das das Kruzifix in der Schule ein Symbol der italienischen Geschichte und Kultur und folglich der italienischen Identität sei. Schließlich beschäftigte der Streit auch das italienische Verfas­sungs­gericht. Auch dieses wies in seiner Entscheidung vom 13. Februar 2006 die Klage ab. Die Kreuze seien in der verfas­sungs­mäßigen Trennung von Staat und Kirche zu einem eigenen Wert geworden.

EGMR: Kreuz kann leicht als religiöses Zeichen interpretiert werden

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR ) gab dagegen der Mutter Recht. Die Schüler könnten das Kreuz leicht als religiöses Zeichen interpretieren. Für Schüler anderer Religionen oder für bekenntnislose Kinder könne dies störend sein. Die Freiheit, keiner Religion anzugehören, brauche jedoch besonderen Schutz. Es sei nicht zu erkennen, wie das Zeigen eines Symbols, das vernünf­ti­gerweise mit dem Katholizismus verbunden werden könne, dem für eine demokratische Gesellschaft wesentlichen Bildungs­plu­ra­lismus dienen könne.

Verstoß gegen das Recht der Eltern, Kinder nach ihren Überzeugungen zu erziehen

Nach Ansicht des Europäischem Gerichtshofs für Menschenrechte verstoßen die Kreuze gegen das Recht der Eltern, ihre Kinder ihren Überzeugungen entsprechend zu erziehen. Auch sei die Freiheit der Kinder verletzt, zu glauben oder dies nicht zu tun. Art. 2 des Protokolls Nr. 1 der EMRK in Verbindung mit Art. 9 EMRK seien verletzt. Der EGMR sprach der Klägerin 5.000,- Euro Entschädigung zu.

Kruzifix-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

In Deutschland gab es mit dem sog. Kruzifix-Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG, Urteil v. 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -) eine sehr ähnliche Entscheidung. Danach sind in bayerischen Schulen Kreuze/Kruzifixe nur in Bekennt­nis­schulen zulässig.

Nachtrag vom 04.03.2010 und 18.03.2011

Italien hat gegen die obige Entscheidung des EGMR Ende Januar 2010 Widerspruch eingelegt. Daher wird über die Sache vor einer Großen Kammer - mit 17 Richtern - neu verhandelt werden. Lesen Sie hier das Urteil v. 18.03.2011 - 30814/06 - der Großen Kammer.

Quelle: ra-online, EGMR (pt)

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