21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.09.2007

Schulgeld für ausländische Schule in deutscher Steuererklärung abzugsfähigUnter­schiedliche Behandlung verstößt gegen Gemein­schaftsrecht und Recht auf Freizügigkeit

Die deutschen Rechts­vor­schriften über den Abzug von Schul­geld­zah­lungen im Rahmen der Einkommensteuer verstoßen gegen das Gemein­schaftsrecht. Eine steuerliche Begünstigung von Schuld­geld­zah­lungen an bestimmte Privatschulen darf in Deutschland steuer­pflichtigen Personen bei Schul­geld­zah­lungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten nicht generell versagt werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Nach einer Vorschrift des deutschen Einkom­men­steu­er­ge­setzes dürfen Steuer­pflichtige 30 % des Entgelts abziehen, das sie für unter­halts­be­rechtigte Kinder für den Besuch von Privatschulen entrichten, die in Deutschland bestimmte Voraussetzungen erfüllen (mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung).

Da diese steuerliche Vergünstigung nicht für Schul­geld­zah­lungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten gilt, haben sich das Finanzgericht Köln und die Kommission an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gewandt, damit sich dieser zur Vereinbarkeit der betreffenden Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht äußert.

Rechtssache C-76/05

Die Klage beim Finanzgericht Köln wurde von Herrn Schwarz und Frau Gootjes-Schwarz erhoben. Die Eheleute hatten bei den Finanzbehörden vergeblich die Berück­sich­tigung ihrer Schul­geld­zah­lungen an die von zwei ihrer Kinder besuchte Cademuir International School in Schottland beantragt. Auf die ihm vom Finanzgericht Köln zur Vorab­ent­scheidung vorgelegte Frage entscheidet der Gerichtshof, dass das Gemein­schaftsrecht dem entgegensteht, dass die steuerliche Vergünstigung bei Schul­geld­zah­lungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell versagt wird.

In seiner Begründung unterscheidet der Gerichtshof zwischen zwei Arten der Schul­fi­nan­zierung. Er weist darauf hin, dass sich nur diejenigen Schulen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden, auf die Dienst­leis­tungs­freiheit berufen können. Wollen solche in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland ansässige Schulen den Kindern von in Deutschland wohnenden Steuer­pflichtigen eine Schulausbildung anbieten, beeinträchtigt der Ausschluss der Schulgelder für ausländische Schulen von der steuerlichen Vergünstigung die Dienst­leis­tungs­freiheit dieser Schulen.

Auf Schulen in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland, die nicht im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden, findet die Dienst­leis­tungs­freiheit keine Anwendung. Die steuerliche Vergünstigung darf jedoch in Bezug auf die Schul­geld­zah­lungen an diese Schulen nicht versagt werden. Die Freizügigkeit der Unionsbürger steht einem solchen Ausschluss entgegen. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Kinder der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens mit dem Besuch einer Schule in einem anderen Mitgliedstaat von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben. Eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staats­an­ge­hörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, stellt eine Beschränkung dieser Freiheiten dar.

Die fragliche Regelung, die dazu führt, dass die steuerliche Vergünstigung Steuer­pflichtigen versagt wird, die ihre Kinder zur Schulausbildung in einen anderen Mitgliedstaat geschickt haben, benachteiligt die Kinder eigener Staats­an­ge­höriger allein deswegen, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben.

Die Beein­träch­tigung der Dienst­leis­tungs­freiheit und die Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger lassen sich nicht mit den Argumenten rechtfertigen, die die deutsche Regierung vorgetragen hat.

Insbesondere lässt sich die Beein­träch­tigung der Dienst­leis­tungs­freiheit nicht mit der Begründung rechtfertigen, dem Grundsatz der Dienst­leis­tungs­freiheit könne keine Verpflichtung entnommen werden, die steuerliche Vorzugs­be­handlung bestimmter dem Schulsystem eines Mitgliedstaats zugehörender Schulen auf einem anderen Mitgliedstaat zugehörende Schulen zu erstrecken. Zwar fallen die direkten Steuern wie auch die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemein­schafts­rechts ausüben. Im Übrigen sieht die fragliche Regelung keine Direkt­sub­ven­ti­o­nierung der betreffenden Schulen durch den deutschen Staat vor, sondern vielmehr eine steuerliche Vergünstigung für Eltern wegen der Schul­geld­zah­lungen an diese Schulen.

Die Nichter­streckung der in Rede stehenden steuerlichen Vergünstigung auf Schul­geld­zah­lungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten kann auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, diese Schulen und die von der fraglichen Regelung erfassten deutschen Schulen, denen untersagt sei, Schulgeld in einer Höhe zu erheben, die eine Sonderung der Schüler nach den Besitz­ver­hält­nissen ihrer Eltern zulasse, befänden sich nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation. Die Regelung macht nämlich die steuerliche Vergünstigung davon abhängig, dass die betreffende Privatschule in Deutschland genehmigt, erlaubt oder anerkannt ist, ohne objektive Kriterien aufzustellen, die es ermöglichen würden, zu bestimmen, welche Arten des von deutschen Schulen verlangten Schulgelds abzugsfähig sind. Jede in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland ansässige Privatschule ist somit aufgrund der bloßen Tatsache, dass sie nicht in Deutschland ansässig ist, automatisch von der steuerlichen Vergünstigung ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankäme, ob sie Kriterien erfüllt wie die Erhebung von Schulgeld in einer Höhe, die keine Sonderung der Schüler nach den Besitz­ver­hält­nissen ihrer Eltern zulässt.

Schließlich können die festgestellten Beein­träch­ti­gungen auch nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine übermäßige finanzielle Belastung zu vermeiden. Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass die Beschränkung der Abzugsfähigkeit des Schulgelds auf einen bestimmten Betrag, der der steuerlichen Vergünstigung entspricht, die der deutsche Staat gemäß bestimmten eigenen Wertvor­stel­lungen für den Besuch von Schulen im Inland gewährt, ein milderes Mittel als die Versagung der betreffenden Steuer­ver­güns­tigung wäre. Es ist jedenfalls offenkundig unver­hält­nismäßig, Schul­geld­zah­lungen von Steuer­pflichtigen an Schulen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, von der steuerlichen Vergünstigung vollständig auszuschließen. Dadurch werden nämlich die Schul­geld­zah­lungen dieser Steuer­pflichtigen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten von der steuerlichen Vergünstigung unabhängig davon ausgeschlossen, ob die betreffenden Schulen objektive Kriterien erfüllen, die nach inner­staat­lichen Grundsätzen aufgestellt worden sind und anhand deren sich bestimmen lässt, welche Arten von Schulgeld einen Anspruch auf die Steuer­ver­güns­tigung geben.

Rechtssache C-318/05

Auf die Vertrags­ver­let­zungsklage der Kommission hin hat der Gerichtshof entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Freizü­gig­keits­rechten der Unionsbürger und der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit sowie der Dienst­leis­tungs­freiheit verstoßen hat, dass sie Schul­geld­zah­lungen für den Besuch von Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell von dem im deutschen Einkom­men­steu­er­gesetz vorgesehenen Sonder­aus­ga­be­nabzug ausgeschlossen hat. Zusätzlich zu den in der Rechtssache C-76/05 festgestellten Beein­träch­ti­gungen stellt der Gerichtshof fest, dass die deutsche Regelung die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Nieder­las­sungs­freiheit der steuer­pflichtigen Eltern verletzt. Die Regelung benachteiligt insbesondere Arbeitnehmer und Selbständige, die nach Deutschland gezogen sind oder dort ihren Arbeitsplatz haben und deren Kinder weiterhin eine kosten­pflichtige Schule in einem anderen Mitgliedstaat besuchen. Diesen Arbeitnehmern und Selbständigen ist der Sonderabzug verwehrt, anders als wenn ihre Kinder eine Schule in Deutschland besuchten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 54/07 des EuGH vom 11.09.2007

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