21.11.2024
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Dokument-Nr. 34440

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.10.2024

EuGH stuft Umgang von Taliban mit Frauen in Afghanistan als Verfolgung einKeine Notwendigkeit der Prüfung individueller Umstände

Die diskri­mi­nie­renden Maßnahmen des Taliban-Regimes gegen Frauen stellen Verfolgungs­handlungen dar. Bei der individuellen Prüfung des Asylantrags einer afghanischen Frau genügt es, wenn ein Mitgliedstaat lediglich ihr Geschlecht und ihre Staats­an­ge­hö­rigkeit berücksichtigt. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden.

Zwei Frauen mit afghanischer Staats­an­ge­hö­rigkeit wenden sich vor dem öster­rei­chischen Verwal­tungs­ge­richtshof gegen die Weigerung der öster­rei­chischen Behörden, ihnen die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuzuerkennen. Sie machen geltend, die Situation der Frauen unter dem neuen Taliban-Regime in Afghanistan allein rechtfertige schon die Gewährung dieses Status. Nach Ansicht des Verwal­tungs­ge­richtshofs hat die Rückkehr dieses Regimes an die Macht im Jahr 2021 schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundrechte von Frauen.

Das Regime führe zahlreiche diskri­mi­nierende Maßnahmen ein, die beispielsweise darin bestünden, dass Frauen keine rechtlichen Mittel zur Verfügung gestellt würden, um Schutz vor geschlechts­s­pe­zi­fischer und häuslicher Gewalt sowie Zwangs­ver­hei­ra­tungen erhalten zu können, sie ihren Körper vollständig zu bedecken und ihr Gesicht zu verhüllen hätten, ihnen der Zugang zu Gesund­heits­ein­rich­tungen erschwert werde, ihre Bewegungs­freiheit eingeschränkt werde, sie einer Erwer­b­s­tä­tigkeit nicht oder in eingeschränktem Ausmaß nachgehen dürften, der Zugang zu Bildung eingeschränkt werde und sie vom politischen Leben ausgeschlossen würden.

Der Verwal­tungs­ge­richtshof ist der Auffassung, afghanische Frauen gehörten zu einer „bestimmten sozialen Gruppe“ im Sinne der Richtlinie 2011/95. Diese Frauen könnten in Afghanistan Verfol­gungs­hand­lungen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sein. Es möchte daher vom Gerichtshof zum einen wissen, ob die vorstehend beschriebenen diskri­mi­nie­renden Maßnahmen in ihrer Gesamtheit als Verfol­gungs­hand­lungen eingestuft werden können, die die Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft rechtfertigen könnten. Zum anderen möchte es wissen, ob die zuständige nationale Behörde im Rahmen der individuellen Prüfung des Asylantrags einer afghanischen Frau andere Aspekte als deren Staats­an­ge­hö­rigkeit und Geschlecht berücksichtigen muss.

"Kumulierung" von Maßnahmen als Verfolgung

Erstens antwortet der Gerichtshof, dass einige der fraglichen Maßnahmen für sich genommen als „Verfolgung“ einzustufen sind, da sie eine schwerwiegende Verletzung eines Grundrechts darstellen. Dies gilt für die Zwangs­ver­hei­ratung, die einer Form der Sklaverei gleichzustellen ist, und für den fehlenden Schutz vor geschlechts­s­pe­zi­fischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellen. Wenn man annimmt, dass es sich bei den anderen Maßnahmen für sich genommen im Hinblick auf die Einstufung als Verfolgung um keine ausreichend schwerwiegende Verletzung eines Grundrechts handelt, so stellen diese Maßnahmen nach Ansicht des Gerichtshofs in ihrer Gesamtheit doch eine solche Verfolgung dar. Aufgrund ihrer kumulativen Wirkung und ihrer bewussten und systematischen Anwendung führen sie dazu, dass in flagranter Weise die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten werden.

Angabe von Geschlecht und Staats­an­ge­hö­rigkeit reicht

Zweitens berücksichtigt der Gerichtshof in Bezug auf die individuelle Prüfung des Asylantrags einer Frau mit afghanischer Staats­an­ge­hö­rigkeit die Situation von Frauen unter dem derzeitigen Taliban-Regime, wie sie insbesondere in den Berichten der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) und des Hohen Flücht­lings­kom­mis­sariats der Vereinten Nationen (UNHCR) dargelegt wurde. Der Entscheidung des Gerichtshofs zufolge können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass nicht festgestellt werden muss, dass die Antragstellerin bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich und spezifisch Verfol­gungs­hand­lungen zu erleiden droht. Es genügt, lediglich ihre Staats­an­ge­hö­rigkeit und ihr Geschlecht zu berücksichtigen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, ra-online (pm/ab)

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