22.11.2024
22.11.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.
ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.06.2019

Deutsche Pkw-Maut verstößt gegen UnionsrechtAbgabe diskriminiert Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die deutsche Vignette für die Benutzung von Bundes­fern­straßen durch Perso­nen­kraftwagen gegen das Unionsrecht verstößt. Diese Abgabe ist diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt.

Bereits 2015 hat Deutschland den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infra­s­truk­tu­r­abgabe geschaffen, d.h. einer Abgabe für die Benutzung der Bundes­fern­straßen einschließlich der Autobahnen durch Perso­nen­kraftwagen.

Mautzahlungen sollen Finanzierung der Straße­n­in­fra­s­truktur dienen

Mit dieser Abgabe möchte Deutschland teilweise von einem System der Steuer­fi­nan­zierung zu einem auf das "Benutzerprinzip" und das "Verur­sa­cher­prinzip" gestützten Finan­zie­rungs­system übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollen zur Gänze zur Finanzierung der Straße­n­in­fra­s­truktur verwendet werden und ihre Höhe bemisst sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs.

Halter deutscher Fahrzeuge erhalten Jahresvignette, Halter ausländischer Fahrzeuge zahlen nutzungs­ab­hängig

Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen haben die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 Euro zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge ist die Abgabe (vom Halter oder Fahrer) nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten. Insoweit ist eine Zehnta­ges­vi­gnette (von 2,50 bis 25 Euro), eine Zweimo­nats­vi­gnetten (von 7 bis 50 Euro) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 Euro) verfügbar.

Halter deutscher Fahrzeuge erhalten im Gegenzug Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer

Parallel dazu hat Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infra­s­truk­tu­r­abgabe eine Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer in einer Höhe zugutekommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten mussten.

Österreich rügt Verstoß gegen Unionsrecht

Österreich ist der Ansicht, dass die kombinierte Wirkung der Infra­s­truk­tu­r­abgabe und der Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge sowie die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infra­s­truk­tu­r­abgabe gegen das Unionsrecht, namentlich das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit, verstießen.

Nachdem Österreich die Kommission um eine Stellungnahme ersucht hatte, die Kommission sich jedoch innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen nicht geäußert hatte, erhob dieser Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof eine Vertrags­ver­let­zungsklage gegen Deutschland*. In diesem Verfahren wird Österreich von den Niederlanden unterstützt, während Deutschland von Dänemark unterstützt wird.

Infra­s­truk­tu­r­abgabe in Verbindung mit Steue­r­ent­lastung diskriminierend gegenüber Fahrzeughaltern anderer Mitglieds­s­taaten

In seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Infra­s­truk­tu­r­abgabe in Verbindung mit der Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit darstellt und gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs verstößt.

Wirtschaftliche Last der Abgabe würde allein auf Haltern und Fahrern anderer Mitglieds­s­taaten liegen

Hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit stellt der Gerichtshof fest, dass die Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infra­s­truk­tu­r­abgabe vollständig kompensiert wird, so dass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt.

Diskri­mi­nie­rungs­verbot muss beachtet werden

Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, das System zur Finanzierung ihrer Straße­n­in­fra­s­truktur zu ändern, indem sie ein System der Steuer­fi­nan­zierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzen, damit alle Nutzer in gerechter und verhält­nis­mäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Jedoch ist bei einer solchen Änderung das Unionsrecht, namentlich das Diskri­mi­nie­rungs­verbot, zu beachten.

EuGH kann Argumentation Deutschlands nicht folgen

Im vorliegenden Fall kann Deutschland insbesondere nicht gefolgt werden, wenn es vorträgt, die Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer zugunsten der in diesem Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeuge spiegle den Übergang zur Finanzierung der Straße­n­in­fra­s­truktur durch alle Nutzer nach dem "Benutzerprinzip" und dem "Verur­sa­cher­prinzip" wider. Da Deutschland keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht hat, hat es nämlich in keiner Weise dargetan, dass der den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gewährte Ausgleich in Form einer Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der Infra­s­truk­tu­r­abgabe, die sie entrichten mussten, entspricht, diesen Beitrag nicht übersteigt und somit angemessen ist.

"Benutzerprinzip" und "Verur­sa­cher­prinzip" für deutsche Fahrzeughalter nicht gegeben

Zudem wird die Infra­s­truk­tu­r­abgabe, was die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen anbelangt, jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche. Diese Gesichtspunkte in Verbindung mit der Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infra­s­truk­tu­r­abgabe entspricht, zeigen, dass der Übergang zu einem Finan­zie­rungs­system, das auf das "Benutzerprinzip" und das "Verur­sa­cher­prinzip" gestützt ist, in Wirklichkeit ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuer­fi­nan­zie­rungs­prinzip gilt.

Im Übrigen hat Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelter­wä­gungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.

Maßnahmen könnten freien Warenverkehr behindern

Hinsichtlich des freien Warenverkehrs stellte der Gerichtshof fest, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infra­s­truk­tu­r­abgabe, der tatsächlich ausschließlich die Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, ist nämlich geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen, und beeinträchtigt damit deren Wettbe­wer­bs­fä­higkeit.

Behinderung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs ebenfalls möglich

Hinsichtlich des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs stellte der Gerichtshof fest, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Dienst­leis­tungs­er­bringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern. Die Infra­s­truk­tu­r­abgabe kann nämlich aufgrund der Steue­r­ent­lastung bei der Kraft­fahr­zeug­steuer entweder die Kosten der Dienst­leis­tungen erhöhen, die von diesen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden, oder die Kosten erhöhen, die sich für diese Dienst­leis­tungs­emp­fänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infra­s­truk­tu­r­abgabe nicht diskriminierend

Hingegen entschied der Gerichtshof, dass die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infra­s­truk­tu­r­abgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht diskriminierend sind. Dabei handelt es sich um die stich­pro­ben­artige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infra­s­truk­tu­r­abgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicher­heits­leistung.

Erläuterungen

* Es kommt sehr selten vor, dass ein Mitgliedstaat eine Vertrags­ver­let­zungsklage gegen einen anderen Mitgliedstaat erhebt. Die vorliegende Klage ist die siebte von insgesamt acht in der Geschichte des Gerichtshofs.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil27529

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI