21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil05.06.2012

Nationale Maßnahmen zum Ausschluss von Beihilfen wegen Subven­ti­o­ns­betrugs sind nicht als strafrechtliche Sanktionen einzustufenStrafrechtliche Maßnahmen und Ausschluss von Gewährung von Agrarbeihilfen bei Subven­ti­o­ns­betrug zulässig

Der Ausschluss eines Betrie­bs­in­habers von der Gewährung von Agrarbeihilfen wegen falscher Angaben über die Fläche seines Betriebs schließt nicht aus, dass wegen desselben Sachverhalts eine strafrechtliche Verurteilung erfolgt. Ein solcher Ausschluss von der Gewährung einer im Unionsrecht vorgesehenen Beihilfe stellt keine strafrechtliche Sanktion dar. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Nach der europäischen Regelung über Agrarbeihilfen* werden diese Beihilfen u. a. nach Maßgabe der vom Landwirt angegebenen Fläche gezahlt (einheitliche Flächenzahlung). Wird bei Kontrollen eine Differenz zwischen der ermittelten und der vom Betriebsinhaber angegebenen Fläche von mehr als 30 % festgestellt, so wird für das betreffende Kalenderjahr keine Beihilfe gezahlt. Darüber hinaus wird der Betriebsinhaber, wenn sich die Differenz auf mehr als 50 % beläuft, auch in den auf das Kalenderjahr der Feststellung folgenden drei Kalenderjahren von der Gewährung der Beihilfe bis zu einem Betrag ausgeschlossen, der der Differenz zwischen der tatsächlichen und der angegebenen Fläche entspricht.

Nationales Recht sieht Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren für Fälschung von Dokumenten für Subventionen vor

Nach dem polnischen Strafgesetzbuch werden Personen, die in der Absicht, eine Subvention zu erlangen, ein gefälschtes oder geändertes Dokument oder ein Dokument, das unwahre oder betrügerische Angaben enthält, oder betrügerische schriftliche Erklärungen vorlegt, die Umstände von wesentlicher Bedeutung betreffen, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Kreisstelle verhängt Sanktionen wegen unrichtiger Angaben in Bezug auf Größe der bestellten landwirt­schaft­lichen Flächen

Herr Bonda stellte 2005 in Polen bei der Kreisstelle der Agentur für Umstruk­tu­rierung und Modernisierung der Landwirtschaft einen Antrag auf Gewährung einer einheitlichen Flächenzahlung für das Jahr 2005. In diesem Antrag machte er unrichtige Angaben in Bezug auf die Größe der bestellten landwirt­schaft­lichen Flächen und die darauf angebauten Kulturen, indem er die landwirt­schaftlich genutzte Fläche mit 212,78 ha statt 113,49 ha zu groß angab. Mit Bescheid von 2006 lehnte der Leiter dieser Kreisstelle die Gewährung einer einheitlichen Flächenzahlung an Herrn Bonda für das Jahr 2005 ab und verhängte gegen ihn eine Sanktion in Gestalt des Verlusts seiner Ansprüche auf einheitliche Flächen­zah­lungen in Höhe der Differenz zwischen der tatsächlichen und der angegebenen Fläche für die drei Folgejahre.

Nationales Gericht verhängt Freiheitsstrafe wegen Subven­ti­o­ns­betrugs

Der Sad Rejonowy w Goleniowie (Rayongericht Goleniów, Polen) verurteilte Herrn Bonda mit Urteil vom 14. Juli 2009 wegen Subven­ti­o­ns­betrugs nach dem Strafgesetzbuch, weil er zum Zweck der Erlangung von Subventionen Tatsachen von wesentlicher Bedeutung für die Erlangung einer einheitlichen Flächenzahlung unrichtig angegeben habe. Herr Bonda wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 PLN (etwa 400 Euro) verurteilt. Gegen dieses Urteil legte Herr Bonda Berufung ein.

Oberstes nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Zulässigkeit nationaler Regelungen für Kürzung und Verrechnung von Beihilfen

Der mit der Kassa­ti­o­ns­be­schwerde befasste Sad Najwyzszy (Oberstes Gericht) möchte vom Gerichtshof wissen, ob Maßnahmen, die darin bestehen, einen Betriebsinhaber von der Gewährung der Beihilfe für das Jahr, in dem er falsche Angaben über die beihilfefähige Fläche gemacht hat, auszuschließen und die Beihilfe, auf die er in den drei folgenden Kalenderjahren Anspruch hätte, um einen Betrag zu kürzen, der der Differenz zwischen der angegebenen und der ermittelten Fläche entspricht, strafrechtliche Sanktionen darstellen, die nach dem in der polnischen Straf­pro­zess­ordnung enthaltenen Grundsatz ne bis in idem (Verbot, zweimal wegen derselben Tat vor Gericht gestellt zu werden) jedes Strafverfahren gegen Herrn Bonda wegen desselben Sachverhalts ausschließen können.

Zeitweiliger Ausschluss eines Wirtschafts­teil­nehmers von Beihil­fe­re­gelung besitzt keinen straf­recht­lichen Charakter

Der Gerichtshof der Europäischen Union weist auf seine bisherige Rechtsprechung hin, wonach in Regelungen der gemeinsamen Agrarpolitik vorgeschriebene Sanktionen wie der zeitweilige Ausschluss eines Wirtschafts­teil­nehmers von der Inanspruchnahme einer Beihil­fe­re­gelung keinen straf­recht­lichen Charakter besitzen. Ein solcher Ausschluss dient nämlich der Bekämpfung der zahlreichen Unregel­mä­ßig­keiten, die im Rahmen der Agrarbeihilfen begangen werden und die durch die von ihnen verursachte erhebliche Belastung des Unionshaushalts die Maßnahmen beeinträchtigen können, die die Unionsorgane auf diesem Gebiet ergriffen haben, um die Märkte zu stabilisieren, die Lebenshaltung der Landwirte zu stützen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.

Maßnahmen dienen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Verwaltung von öffentlichen Mitteln der Union

Der Gerichtshof stellt fest, dass im vorliegenden Fall die fraglichen Maßnahmen nur gegen Wirtschafts­teil­nehmer, die die betreffenden Beihilfen beantragt haben, ergriffen werden können, wenn sich die zur Begründung ihres Antrags gemachten Angaben als falsch erweisen. Außerdem stellen diese Maßnahmen eine spezifische Handhabe für die Verwaltung dar, die Bestandteil einer speziellen Beihil­fe­re­gelung ist und dazu dient, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Union sicherzustellen.

Aufgrund dessen gelangt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die fraglichen Maßnahmen verwal­tungs­recht­licher Natur sind.

EuGH benennt drei Kriterien zur Einordnung des Begriff des Strafverfahrens

Diese Einordnung als verwal­tungs­rechtlich wird durch eine Prüfung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Begriff des Straf­ver­fah­rens** nicht in Frage gestellt. Für die Definition dieses Begriffs sind drei Kriterien heranzuziehen. Das erste ist die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im inner­staat­lichen Recht, das zweite die Art der Zuwiderhandlung und das dritte die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion.

Ausschlusses von Beihil­fen­ge­währung im Unionsrecht keine strafrechtliche Sanktion

Zum ersten Kriterium stellt der Gerichtshof fest, dass die Maßnahmen in Gestalt des Ausschlusses eines Betrie­bs­in­habers von der Beihil­fen­ge­währung im Unionsrecht nicht als strafrechtliche Sanktionen gelten.

Zur Art der Zuwiderhandlung

Hinsichtlich des zweiten Kriteriums führt der Gerichtshof aus, dass diese Maßnahmen nur auf Wirtschafts­teil­nehmer Anwendung finden, die die fragliche Beihil­fe­re­gelung in Anspruch nehmen, und dass sie keine repressive Zielsetzung haben, sondern im Wesentlichen darauf gerichtet sind, durch den zeitweisen Ausschluss eines Beihil­fe­emp­fängers, der in seinem Beihilfeantrag unrichtige Angaben gemacht hat, die Verwaltung der Unionsmittel zu schützen. Gegen den repressiven Charakter dieser Maßnahmen spricht außerdem, dass die Kürzung des Beihil­fen­betrags, der dem Betriebsinhaber in den Folgejahren des Jahres, in dem eine Unregel­mä­ßigkeit festgestellt wurde, eventuell auszuzahlen ist, voraussetzt, dass in diesen Jahren ein Antrag gestellt wird.

Nationale Sanktionen zur Kürzung von Beihil­fe­be­trägen können nicht mit straf­recht­lichen Sanktionen gleichgestellt werden

In Bezug auf das dritte Kriterium weist der Gerichtshof darauf hin, dass die im Unionsrecht vorgesehenen Sanktionen nur zur Folge haben, dass dem betreffenden Betriebsinhaber die Aussicht auf eine Beihilfe genommen wird, und dass die Kürzung des Beihil­fen­betrags, der dem Betriebsinhaber in den Folgejahren des Jahres, in dem eine Unregel­mä­ßigkeit festgestellt wurde, eventuell auszuzahlen ist, voraussetzt, dass in diesen Jahren ein Antrag gestellt wird, so dass diese Sanktionen nicht straf­recht­lichen Sanktionen gleichgestellt werden können.

Daher stellt der Gerichtshof fest, dass solche Sanktionen nicht als strafrechtliche Sanktionen eingeordnet werden können.

Erläuterungen

* Verordnung (EG) Nr. 1973/2004 der Kommission vom 29. Oktober 2004 mit Durch­füh­rungs­vor­schriften zu der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates hinsichtlich der Stützungs­re­ge­lungen nach Titel IV und IVa der Verordnung und der Verwendung von Still­le­gungs­flächen für die Erzeugung von Rohstoffen (ABl. L 345, S. 1).

** Art. 4 Abs. 1 des am 22. November 1984 in Straßburg unterzeichneten Protokolls Nr. 7 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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