21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.04.2013

Arbeitslos gewordener Grenzgänger kann Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung nur vom eigenen Wohnmit­gliedstaat beziehenRegelung zur Gewährung von Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung nur durch Wohnmit­gliedstaat gilt auch für vollarbeitslose Grenzgänger mit enger Bindung zu anderem Mitgliedsstaat

Ein arbeitslos gewordener Grenzgänger kann Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung nur in seinem Wohnmit­gliedstaat beziehen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer zum Staat seiner letzten Beschäftigung besonders enge Bindungen beibehalten hat. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Eine europäische Verordnung von 2004 koordiniert die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit in der Europäischen Union u. a. in Bezug auf Grenzgänger*. Sie ersetzt die frühere Verordnung von 1971** und sieht vor, dass sich vollarbeitslose Grenzgänger der Arbeits­ver­waltung ihres Wohnstaats zur Verfügung stellen. Zusätzlich können sie sich der Arbeits­ver­waltung des Landes zur Verfügung stellen, in dem sie zuletzt beschäftigt waren.

Verordnung gilt nicht ausdrücklich für Vorschriften über Leistungen bei Arbeits­lo­sigkeit

Zudem ist in der neuen Verordnung für die allgemeinen Regeln zur Bestimmung der anwendbaren Rechts­vor­schriften eine Überg­angs­klausel vorgesehen, die aber nicht ausdrücklich auch für die besonderen Vorschriften über Leistungen bei Arbeits­lo­sigkeit gilt.

Niederländische Behörden lehnen Antrag auf Leistung bei Arbeits­lo­sigkeit ab

Herr Jeltes, Frau Peeters und Herr Arnold sind Grenzgänger nieder­län­discher Staats­an­ge­hö­rigkeit, die in den Niederlanden beschäftigt waren, aber in Belgien oder in Deutschland wohnten. Sie alle haben zu den Niederlanden besonders enge Bindungen beibehalten. Herr Jeltes wurde 2010, also nach Inkrafttreten der Verordnung von 2004, arbeitslos. Sein bei den nieder­län­dischen Behörden gestellter Antrag auf eine Leistung bei Arbeits­lo­sigkeit wurde unter Berufung auf die Verordnung abgelehnt. Frau Peeters und Herr Arnold verloren ihren Arbeitsplatz vor Inkrafttreten der neuen Verordnung und erhielten von den nieder­län­dischen Behörden Leistungen bei Arbeits­lo­sigkeit. Sie nahmen beide nach Inkrafttreten dieser Verordnung eine neue Tätigkeit auf und wurden dann wieder arbeitslos. Die nieder­län­dischen Behörden weigerten sich unter Berufung auf das Inkrafttreten der Verordnung, die Zahlung der Leistungen an sie wiederaufleben zu lassen.

Regelung der früheren Verordnung machte Wahl des Mitgliedstaats für Bezug von Leistung bei Arbeits­lo­sigkeit möglich

Diese drei Personen erhoben gegen die fraglichen Bescheide Klage bei der Rechtbank Amsterdam (erstin­sta­nz­liches Gericht von Amsterdam, Niederlande), die den Gerichtshof der Europäischen Union um Auslegung der neuen Verordnung ersucht. Zu der Regelung in der früheren Verordnung hatte der Gerichtshof nämlich die Auffassung vertreten***, dass ein atypischer Grenzgänger, der im Mitgliedstaat seiner letzten Beschäftigung besonders enge persönliche und berufliche Bindungen beibehalten hat, in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wieder­ein­glie­derung hat. Daher konnte er den Mitgliedstaat wählen, in dem er sich der Arbeits­ver­waltung zur Verfügung stellen und von dem er eine Leistung bei Arbeits­lo­sigkeit beziehen wollte.

Grenzgänger können sich Staat ihrer letzten Beschäftigung für mögliche Neube­schäf­tigung zur Verfügung stellen, jedoch keine Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung von dort beziehen

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Bestimmungen der neuen Verordnung nicht im Licht seiner früheren Rechtsprechung auszulegen sind. Er führt aus, dass die fehlende ausdrückliche Erwähnung der Möglichkeit, im Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung zu erhalten, den Willen des Verord­nungs­gebers widerspiegelt, die Berück­sich­tigung der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs zu begrenzen. Folglich gilt die Regel, wonach Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung durch den Wohnmit­gliedstaat gewährt wird, auch für vollarbeitslose Grenzgänger, die Zum Staat ihrer letzten Beschäftigung besonders enge Bindungen beibehalten haben. Die Möglichkeit, sich zusätzlich der Arbeits­ver­waltung dieses Staates zur Verfügung zu stellen, bezieht sich nicht auf die Gewährung von Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung durch diesen Staat, sondern nur auf die Inanspruchnahme seiner Wieder­ein­glie­de­rungs­leis­tungen.

AEU-Vertrag sieht Koordinierung, nicht Harmonisierung nationaler Systeme vor

Zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer stellt der Gerichtshof fest, dass der AEU-Vertrag eine Koordinierung und keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vorsieht. Die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung nicht daran hindern, im Einklang mit seinem nationalen Recht einem volla­r­beitslosen Grenzgänger, der in diesem Mitgliedstaat die besten Aussichten auf berufliche Wieder­ein­glie­derung hat, eine Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung zu versagen, weil er nicht im Inland wohnt, sofern nach den Bestimmungen der Verordnung die Rechts­vor­schriften des Wohnmit­glied­staats zur Anwendung kommen.

Nationales Gericht muss Voraussetzungen für Wiederaufleben der Zahlung von Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung in Einzelfällen prüfen

Das Fehlen einer Überg­angs­be­stimmung für Arbeitnehmer wie Frau Peeters und Herrn Arnold führt der Gerichtshof auf ein Versäumnis während des Recht­set­zungs­ver­fahrens zurück. Die Überg­angs­be­stimmung der neuen Verordnung ist daher auch auf vollarbeitslose Grenzgänger anzuwenden, die wegen der im Mitgliedstaat ihrer letzten Beschäftigung beibehaltenen Bindungen von diesem auf der Grundlage seiner Rechts­vor­schriften Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung erhalten, solange sich der bis dahin vorherrschende Sachverhalt nicht ändert. Der Begriff des unverändert gebliebenen Sachverhalts im Sinne der Überg­angs­be­stimmung der Verordnung ist anhand der nationalen Rechts­vor­schriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu beurteilen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob Arbeitnehmer wie Frau Peeters und Herr Arnold die in diesen Rechts­vor­schriften vorgesehenen Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Zahlung von Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung erfüllen.

Ausnahmen nur bei Anwendbarkeit der Überg­angs­re­gelung der Verordnung von 2004 möglich

Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein volla­r­beitsloser Grenzgänger eine Arbeits­lo­sen­un­ter­stützung nur in seinem Wohnstaat beantragen kann, es sei denn, die Überg­angs­re­gelung der Verordnung von 2004 ist auf ihn anwendbar.

Erläuterungen

* Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1) in der durch die Verordnung Nr. 988/2009 vom 16. September 2009 geänderten Fassung (in Kraft getreten am 31. Oktober 2009).

** Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien­an­ge­hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2).

*** In seinem Urteil vom 12. Juni 1986, Miethe (C-1/85), zur Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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