18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.12.2012

Illegaler Aufenthalt von Einwanderern kann mit Geldstrafe oder durch Auswei­sungs­strafe sanktioniert werdenDie Rückfüh­rungs­richtlinie verbietet in bestimmten Fällen jedoch die Bestrafung mit Hausarrest

Die Richtlinie über die Rückführung illegaler Einwanderer verbietet es nicht, dass ein Mitgliedstaat den illegalen Aufenthalt mit einer Geldstrafe sanktioniert, die unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Auswei­sungs­strafe ersetzt werden kann. Dagegen verbietet es diese Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat den illegalen Aufenthalt mit Hausarrest bestraft, wenn nicht sichergestellt wird, dass diese Strafe beendet wird, sobald die tatsächliche Verbringung des Betroffenen aus diesem Mitgliedstaat möglich ist. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Richtlinie über die Rückführung illegal aufhältiger Dritt­staats­an­ge­hö­riger* (Rückfüh­rungs­richtlinie) enthält die gemeinsamen Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten für die Abschiebung von Dritt­staats­an­ge­hörigen aus ihrem Hoheitsgebiet gelten, die sich dort illegal aufhalten. Nach der italienischen Regelung kann der illegale Aufenthalt mit einer Geldstrafe bestraft werden, die unter bestimmten Voraussetzungen durch Ausweisung oder Hausarrest ersetzt werden kann.

Straßen­ver­käufer in Italien wird wegen fehlendem Aufent­halt­stitel angeklagt

Md Sagor, der behauptet, in Bangladesch geboren worden zu sein, ist Straßen­ver­käufer ohne festen Wohnsitz in Italien. Da er keinen Aufent­halt­stitel hat, wurde er im Jahr 2010 vor dem Tribunale di Rovigo (Italien) wegen der Straftat des illegalen Aufenthalts angeklagt. Das italienische Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der italienischen Regelung mit dem Unionsrecht und hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Rückfüh­rungs­richtlinie einer solchen nationalen Regelung entgegenstehe.

Nationales Recht darf Anwendung der mit der Richtlinie eingeführten gemeinsamen Normen nicht beeinträchtigen

In seinem Urteil erinnert der Gerichtshof vorab daran, dass die Rückfüh­rungs­richtlinie nicht zum Ziel hat, die nationalen Rechts­vor­schriften über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren, und folglich dem Recht eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, das den illegalen Aufenthalt als Straftat einstuft und strafrechtliche Sanktionen vorsieht, um von der Begehung derartiger Verstöße abzuschrecken und sie zu ahnden (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 06.12.2011 - C-329/11 -). Allerdings darf das nationale Recht nicht die Anwendung der mit der Richtlinie eingeführten gemeinsamen Normen und Verfahren beeinträchtigen und sie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben.

Verletzung der Rückkehr­richtlinie bei Verzögerung der Abschiebung durch vorheriges Strafverfahren

Der Gerichtshof bestätigt zunächst die Rechtsprechung, wonach die Rückkehr­richtlinie verletzt würde, wenn der betreffende Mitgliedstaat, nachdem er den illegalen Aufenthalt eines Dritt­staats­an­ge­hörigen festgestellt hat, vor der Vollstreckung der Rückkeh­rent­scheidung oder gar vor deren Erlass ein Strafverfahren durchführte, das zu einer Freiheitsstrafe während des Rückkehr­ver­fahrens führen könnte, da dies die Abschiebung zu verzögern droht.

Geldstrafe zur Durchführung des Rückkehr­ver­fahrens nicht geeignet

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Rückfüh­rungs­maß­nahmen durch ein Strafverfahren, wie es gegen Herrn Sagor eingeleitet wurde, nicht verzögert oder behindert werde, da die fragliche nationale Regelung es erlaubt, die Rückkehr unabhängig von diesem Strafverfahren und ohne dass dieses abgeschlossen worden sein müsste zu verwirklichen. Auch die Auferlegung einer Geldstrafe sei nicht geeignet, die Durchführung des Rückkehr­ver­fahrens zu behindern.

Strafrichter kann Geldstrafe durch Einreiseverbot ersetzen

Außerdem verstoße auch die dem Strafrichter gebotene Möglichkeit, die Geldstrafe durch eine mit einem Einreiseverbot in das italienische Hoheitsgebiet von mindestens fünf Jahren verbundene Ausweisung zu ersetzen, nicht gegen die Richtlinie, sofern es möglich ist, sofort die Rückkehr des Betroffenen zu bewirken. Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten nämlich, auf der Grundlage einer individuellen Prüfung der Situation des Betroffenen die Ausweisung zu verfügen, ohne eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn die Gefahr besteht, dass der Betroffene flieht, um sich dem Rückkehr­ver­fahren zu entziehen.

Während des Rückkehr­ver­fahrens verhängter Hausarrest trägt nicht zur Bewirkung der tatsächlichen Verbringung bei

Der Gerichtshof weist schließlich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und aus den Erfordernissen der Wirksamkeit der Richtlinie die Abschiebung innerhalb kürzester Frist vorzunehmen habe. Für den Fall aber, dass eine Geldstrafe durch Hausarrest ersetzt wird, stellt der Gerichtshof fest, dass ein während des Rückkehr­ver­fahrens verhängter Hausarrest nicht zur Bewirkung der tatsächlichen Verbringung des illegal aufhältigen Dritt­staats­an­ge­hörigen aus dem betroffenen Mitgliedstaat beitrage. Der Hausarrest könne vielmehr die Maßnahmen der Begleitung an die Grenze oder der Zwangsrückkehr auf dem Luftweg verzögern und behindern.

Rückfüh­rungs­richtlinie steht nationaler Regelung entgegen

Der Gerichtshof ist somit der Auffassung, dass die Rückfüh­rungs­richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehe, die vorsieht, dass der illegale Aufenthalt eines Dritt­staats­an­ge­hörigen mit Hausarrest bestraft werden kann, ohne sicherzustellen, dass der Vollzug dieser Strafe zu beenden ist, sobald die tatsächliche Verbringung des Betroffenen aus diesem Mitgliedstaat möglich ist. Es sei Sache des italienischen Gerichts, zu prüfen, ob es in der nationalen Regelung eine Vorschrift gibt, die den Vorrang der Ausweisung vor dem Vollzug der Hausar­rest­strafe bestimmt.

Erläuterungen
* Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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